Der Ball im Kasten
2. September 2013Dass man sich an einem Fernsehschirm sprichwörtlich die Nase platt drücken kann, erscheint heute angesichts mannsgroßer Flachbildschirme in deutschen Wohnzimmern kaum mehr nachvollziehbar. Doch diese Aufnahme zeigt, dass dies einst sehr wohl nötig sein konnte. Es ist der 26. Dezember 1952, an dem sich ausgesuchte Einwohner im westfälischen Lippstadt vor einem der noch wenigen Fernseher versammeln. Der Bildschirm ist klein, aber die Aufregung groß: Der NWDR – der "Nordwestdeutsche Rundfunk" – überträgt zum ersten Mal live ein Fußballspiel. Gezeigt wird die Begegnung zwischen dem FC St. Pauli und Hamborn 07, die in der zweiten Runde des DFB-Pokals aufeinander treffen.
Mit dieser Übertragung betritt die Sendeanstalt (die sich ab 1956 in den Westdeutschen – WDR - und Norddeutschen Rundfunk – NDR – teilt) Neuland. Der Probebetrieb des neuen Mediums ist gerade abgeschlossen, noch gibt es immer wieder Probleme. Auch an diesem zweiten Weihnachtstag 1952. Nur in den beiden Sendenetzen Hamburg und Berlin wird das Pokalspiel übertragen, für das Kölner Netz will man das Freundschaftsspiel des 1. FC Köln gegen Roter Stern Belgrad zeigen. Doch das Spiel fällt kurzfristig aus, und ein sportliches Ersatzprogramm ist nicht zur Hand. Da hat Glück, wer in Lippstadt lebt! Das liegt zwar nah an Köln, ist aber mit dem Hamburger Sendenetz verbunden.
Die Live-Übertragung von Sportveranstaltungen wird in den 1950er Jahren in Westdeutschland immer beliebter. Bald gibt es fast nichts mehr, was an den Wochenenden beim WDR nicht gesendet wird: Fußball und Handball, Eiskunstlauf, Fechten und Autorennen. Aber auch andere Sportarten gehen live über den Sender: Rugby, Billard und schließlich sogar Seifenkistenrennen.
Das Spiel am 26. Dezember 1952 gewinnt übrigens die Mannschaft von Hamborn 07 mit 4:3. Die Kicker aus dem Ruhrgebiet hatten Glück, denn es war das Wiederholungsspiel auf gegnerischem Platz – das reguläre Pokalspiel war nach Verlängerung unentschieden geblieben. Doch die Freude hält nicht lange an: Schon in der nächsten Runde muss sich Hamborn gegen Alemannia Aachen geschlagen geben. Den DFP-Pokal, der übrigens zum ersten Mal nach dem Krieg ausgespielt wird, gewinnt die Mannschaft von Rot-Weiß Essen. Die großen Zeiten von Hamborn 07 sind längst vorbei – inzwischen kickt der Verein in der Landesliga Niederrhein, der sechsthöchsten Spielklasse. Aber niemand wird dem Club seine sporthistorische Bedeutung nehmen können, einst als erster live gesendet worden zu sein.