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Blair will Referendum zu EU-Verfassung

21. April 2004

Die Briten sollen in einem Referendum über die europäische Verfassung abstimmen. Das kündigte Premierminister Tony Blair im Parlament an. Bislang hatte er die von der Opposition geforderte Volksabstimmung abgelehnt.

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Blair möchte EU-Gegnern den Wind aus den Segeln nehmenBild: AP

Der britische Premierminister Tony Blair hat einen Volksentscheid über eine neue EU-Verfassung angekündigt und damit sein politisches Schicksal in die Hände der euroskeptischen Wähler gelegt. "Lasst das Volk das letzte Wort haben", sagte Blair am Dienstag (20.4.2004) vor dem Unterhaus in London in einer leidenschaftlichen Rede für ein geeintes Europa mit einem starken Großbritannien. Ein Datum für die Abstimmung nannte er nicht.

Politische Kehrtwende

Ein Jahr lang hatte Blair die Forderung der Opposition und der anti-europäischen konservativen Presse nach einem Referendum mit der Begründung abgelehnt, dies sei nicht nötig, weil die geplante europäische Verfassung grundsätzlich nichts am Machtverhältnis zwischen Brüssel und London ändere. Vor dem Parlament gab er seinem plötzlichen Sinneswandel laut und deutlich Ausdruck: "Es ist Zeit, ein für alle Mal zu klären, ob dieses Land, Großbritannien, im Zentrum der Entscheidungen in Europa stehen will oder nicht - Zeit zu entscheiden, ob unser Schicksal ist, ein führender Partner und Verbündeter in Europa zu sein oder an seinem Rand zu stehen", sagte der Regierungschef weiter.

Blairs Ankündigung bedeutet eine deutliche Kehrtwende zu seinem bisherigen Europa-Kurs. Bislang hatte Blair ein Referendum über die EU-Verfassung kategorisch ausgeschlossen. Umfragen zufolge gibt es derzeit keine Mehrheit für den Verfassungsentwurf. Das Referendum wäre das erste auf nationaler Ebene seit 1975. Damals hatten die Wähler über den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Gemeinschaft zu befinden.

Opposition mit den eigenen Mitteln geschlagen?

Die Meinungsänderung für eine Abstimmung kommt nach Ansicht zahlreicher Beobachter nicht von ungefähr. Mit der Ankündigung will Blair der Opposition für den anstehenden Europawahlkampf und für die Unterhauswahlen im Jahr 2005 den Wind aus den Segeln nehmen, insbesondere Michael Howard, dem Chef der Konservativen. Denn Howard versucht seit längerem mit der Forderung nach dem Plebiszit im Lager der euroskeptischen Briten zu punkten.

Die konservative Opposition hat denn auch angekündigt, sie werde das Referendum zum entscheidenden Thema des Wahlkampfs zur Europawahl im Juni machen. Nach Ansicht der Regierung berührt die EU-Verfassung nicht die Souveränität Großbritanniens. Die euroskeptische Konservative Partei hingegen argumentiert, die geplante EU-Verfassung beschneide die Souveränität des Landes.

Hohes politisches Risiko

Mit der Abhaltung eines Referendums über die künftige europäische Verfassung geht Blair ein beträchtliches politisches Risiko ein. Umfragen zufolge ist die Mehrheit der britischen Bevölkerung gegen den vorliegenden Verfassungsentwurf. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergab, dass 53 Prozent der Wähler die Verfassung ablehnen würden, wenn es einen Volksentscheid gebe.

Auch nach Ansicht des politischen Korrespondenten der BBC, Andrew Marr, muss Blair sich warm anziehen, wenn seine Strategie nicht aufgeht: Ein "Nein" zu der EU-Verfassung könne Blair "sehr, sehr schwer beschädigen" und vielleicht sogar zum Rücktritt zwingen. Gewinnt er aber, so glaubt zumindest die "Financial Times", wäre die leidige Europadebatte endgültig vom Tisch und Großbritannien könnte "rosigen Europazeiten" entgegensehen.

Volksentscheid in Deutschland nicht möglich

Bevor es aber überhaupt eine Abstimmung geben kann, müssen sich die Staats- und Regierungschef der EU erst einmal auf eine gemeinsame Verfassung einigen. Über den Verfassungsentwurf wird derzeit in der Europäischen Union noch beraten. Ziel der Verfassung ist es, die Entscheidungsprozesse in der ab 1. Mai 25 Staaten umfassenden EU anzupassen.

Um in Kraft gesetzt zu werden, muss die Verfassung von allen Staaten ratifiziert werden. Auch Dänemark, Irland und Luxemburg haben bereits angekündigt, Referenden abhalten zu wollen, mehrere weitere wie die Niederlande, Polen, Italien, Spanien und Portugal erwägen einen solchen Schritt. Die deutsche Bundesregierung hält unterdessen nichts von einem Volksentscheid über die EU-Verfassung, wie aus Regierungskreisen verlautete. Zudem sei ein Volksentscheid nach der deutschen Verfassung auch gar nicht möglich. (am)