"Einig in der Vielfalt“
25. Juli 2003Nun liegt also der Verfassungs-Entwurf des EU-Konvents vor. Auch wenn aus einigen Ländern - vor allem aus Großbritannien - kritische Stimmen zu hören sind, so ist das Echo doch insgesamt positiv. Konvents-Präsident Valéry Giscard d'Estaing ist nach den teils heftigen Streitereien mit der Arbeit des Gremiums zufrieden: "Das Ergebnis ist nicht perfekt, aber unverhofft."
Einheit stiftende Symbole
Die Europäische Union setzt auf Symbolisches: Ludwig van Beethovens "Freude schöner Götterfunken" wird zur offiziellen Hymne erklärt, der goldene Sternen-Kreis auf dunkelblauem Grund zur offiziellen Flagge - und der 9. Mai zum offiziellen Europa-Feiertag. Dazu gibt sich die EU das Motto: "Einig in der Vielfalt". Das hat der Konvent in seiner letzten Nachtsitzung beschlossen - und damit das Werk namens "Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa" komplettiert.
Hymne, Flagge, Feiertag - mit diesen Symbolen will man ebenso eine europäische Identität stiften wie mit der künftigen Verfassung selbst: Die Bürger in den Mitgliedstaaten sollen sich als EU-Bürger fühlen - und sie sollen die Union besser verstehen können. Das verspricht sich auch der deutsche Außenminister Joschka Fischer: "Die europäische Verfassung - UNSERE europäische Verfassung - ist ein Jahrhundert-Projekt. Sie muss den Bürgerinnen und Bürgern die Vorteile Europas verdeutlichen, ihnen Vertrauen in die Europäische Union geben und die Europäische Union insgesamt nach innen und außen handlungsfähiger machen."
Ideelle Werte, aber kein Christentum
Der Verfassungs-Entwurf beginnt zunächst mit den ideellen Werten, auf denen Europa fußt: In der Präambel werden humanistische Werte wie Gleichheit, Freiheit und Wahrung der Menschenrechte genannt. Charakteristisch sei zudem die demokratische Tradition und das Streben nach Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität. Hier jedoch gab es bereits ein heftigen Streit im Konvent: Zahlreiche Mitglieder wollten auch die christliche Religion als gemeinsame Grundlage festschreiben. Doch dieser Vorschlag fand im Konvent keine Mehrheit.
Ein erbitterter Gegner war beispielsweise Enrique Baron Crespo. "Mein Land hat eine griechische Geschichte, eine römische, christliche, muslimische und jüdische Geschichte", meinte der spanische Sozialist. Deshalb sei es gut, den laizistischen Charakter Europas zu unterstreichen. Schließlich einigte man sich auf die vage Formulierung: "schöpfend aus den kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas, deren Werte weiter lebendig sind."
Keine Diskriminierung innerhalb der Union
Diese Werte zu achten und den Frieden in aller Welt zu fördern - mit dieser Zielsetzung beginnt der eigentliche Hauptteil der Verfassung. Da ist auch davon die Rede, den EU-Bürgern Sicherheit und Wohlstand zu bieten und sie vor Diskriminierung zu schützen. Soweit die Ziele - es folgen die Rechte, auf die sich jeder Unions-Bürger berufen kann: Wer beispielsweise in ein anderes EU-Land zieht, hat das Recht, dort ebenfalls an den Wahlen zum Europa-Parlament teilzunehmen und auch bei Kommunalwahlen seine Stimme abzugeben.
Und wer Anlass zur Beschwerde hat, kann beim EU-Parlament oder beim Europäischen Bürgerbeauftragten eine Petition einreichen. Den Weg geöffnet hat der Konvent auch für Volksbegehren: Wenn mindestens eine Million EU-Bürger aus mehreren Staaten schriftlich ein Gesetz beantragen, muss die EU-Kommission dazu einen Vorschlag ausarbeiten und dem Rat vorlegen.
Kompetenzgerangel
In welchen Bereichen künftig die EU das gesetzgeberische Sagen hat und wo die Mitgliedstaaten, darum geht es in dem Kapitel "Zuständigkeiten in der Union". Beim Wettbewerbs-Recht sowie bei der Währungs- und Handels-Politik hat beispielsweise die Union die Oberhoheit. Bei Themen wie Landwirtschaft, Umwelt und Sozialpolitik ist die Zuständigkeit geteilt. Das heißt, die Mitgliedstaaten können hier Gesetze erlassen, sofern sie nicht den Beschlüssen der EU widersprechen. In einigen Bereichen wurde im Konvent hart um die Zuständigkeiten gerungen: Lange hatte sich beispielsweise Deutschland dagegen gewehrt, dass die Zuwanderungs- und Asyl-Politik unter die Ägide Brüssels fällt.
Schließlich fand der Konvent einen Kompromiss: Die EU legt per Mehrheits-Beschluss grundlegende Regelungen fest, aber die konkrete Frage, wie viele Einwanderer eine Arbeitsgenehmigung bekommen sollen, entscheidet jedes Mitgliedsland selbst. Weitgehend in nationaler Hand bleibt auch der Bereich Außen- und Sicherheits-Politik. Zwar soll es künftig einen europäischen Außenminister geben, der auch diesen Titel trägt. Doch welche Positionen dieser Außenminister vertreten wird, muss zunächst einstimmig im Rat beschlossen werden.
Neue Ämter
Neben dem neuen Amt des Außenministers wird es künftig auch einen EU-Präsidenten geben. Der wird vom Rat für zweieinhalb Jahre gewählt und ersetzt die bisherigen rotierenden Ratspräsidentschaften. Der neue Präsident soll ein neutraler Vermittler zwischen den nationalen Interessen der EU-Länder sein - und darf deshalb auch kein anderes Amt in einem Mitgliedstaat inne haben.
Wie jede Vereins-Satzung hat auch die Verfassung der Europäischen Union einen Paragraphen, wie ein Land EU-Mitglied werden und wie es wieder austreten kann. Auch steht hier, dass der Rat der EU ein Mitglied wegen Verfassungs-Verstößen bestrafen darf - indem er diesem Land das Stimmrecht entzieht.
Sonderbehandlung für EU-Bedienstete
An diesen Hauptteil der Verfassung schließt sich die "Charta der Grundrechte der Union" an, ein Papier, das noch der erste EU-Konvent unter dem Vorsitz des früheren deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog ausgearbeitet hatte. Dieser Grundrechte-Katalog beginnt bei der Würde des Menschen und ist auch ansonsten weitgehend an die UN-Charta der Menschenrechte angelehnt. Nur hat das Papier einen Nachteil: Diese Rechte gelten nicht etwa für alle EU-Bürger - sondern ausschließlich für die Bediensteten der Europäischen Union.