Touristen und der Terroralarm
23. November 2015Viele Kinder in Brüssel freuen sich. Sie haben schulfrei, nicht wegen Hitze oder Kälte, sondern weil in der belgischen Hauptstadt die höchste Terrorwarnstufe gilt. Nicht nur Schulen, Kinderkrippen und Universitäten haben geschlossen, auch große Firmen, Versicherungen und Banken haben ihre Angestellten aufgefordert, zuhause zu arbeiten. Viele Eltern bleiben daheim, einfach weil sie nicht wissen, wohin mit den Kindern. Die Sonne strahlt, eigentlich ein schöner frühwinterlicher Tag. "Nur ein wenig Angst haben wir schon", meinte Lies, eine Mutter von zwei Söhnen, die im Wohnzimmer jetzt am Computer spielen statt Mathe zu büffeln.
Weniger Touristen, viele Journalisten
Auf der Grand Place, dem großen Marktplatz mit den prächtigen Renaissancefassaden, sind trotz des Terroralarms Touristen unterwegs, knipsen das weltberühmte Rathaus und studieren ihre Reiseführer. Anna Makri, eine deutsche Besucherin, die für ein Wochenende aus Griechenland nach Brüssel gereist ist, glaubt, dass die gesuchten Terroristen doch längst geflohen seien. "Die Soldaten mit den Maschinenpistolen - das macht einem schon Angst. Man ist ja eigentlich in der Hauptstadt von Europa und jetzt meint man, man sei hier in einer Geisterstadt unterwegs." Die Sicherheitskontrollen am Flughafen in Brüssel-Zaventem fand Anna Makri bei ihrer Anreise recht lasch. Vor dem Rückflug nach Griechenland in ein paar Stunden habe sie daher ein wenig Angst. Etwa die Hälfte der Geschäfte, Cafés und Restaurants in der Altstadt rund um die Grand Place hat geschlossen. Einige Ladenbesitzer klagen, dass sie 90 Prozent weniger Umsatz haben als gewöhnlich.
Wo man sonst wegen der vielen Menschen nur langsam vorankommt, hat man heute viel Platz. "So gesehen haben wir ja Glück", sagt Gho Jam Phui. Der Tourist aus Singapur ist nicht wirklich besorgt. "Als wir im Restaurant waren, war das fast leer. Es ist schon sehr ruhig. Wir fühlen uns aber immer noch sicher, hier so herum zu spazieren." Vor dem Rathaus ist ein gepanzertes Fahrzeug der Armee aufgefahren. Ab und zu kommt eine Polizeistreife vorbei. Auf der Grand Place werden gerade der riesige Weihnachtsbaum aufgestellt und die Krippe aufgebaut. Neben den wenigen Touristen sind vor allem Journalisten, Kamerateams und Fotografen unterwegs. Neben der Deutschen Welle auch ein Team der BBC, eines von CNN und einige belgische Kollegen.
Geschlossene Läden in Molenbeek
Von den nächtlichen Hausdurchsuchungen in der ganzen Stadt und dem Polizeieinsatz rund um die Grand Place in der Nacht ist nichts mehr zu sehen. 21 Personen waren in der Nacht zu Montag festgenommen worden. Der gesuchte mutmaßliche Mittäter von Paris, Salah Abdeslam, war nicht darunter, bestätigte die Staatsanwaltschaft von Brüssel am Vormittag. Der belgische Innenminister Jan Jambon sagte, dass die Operation noch nicht abgeschlossen sei und die Suche nach Abdeslam weitergehe.
Abdeslam wohnte, wie mindestens drei weitere Attentäter von Paris, im Brüsseler Stadtteil Molenbeek. Auch dort sind viele Geschäfte wegen des Terroralarms geschlossen. Die U-Bahnstationen sind verrammelt. Die Busse fahren unregelmäßig. Polizei patrouilliert in den Straßen.
Ein älterer Flame schüttelt über den ganzen Aufwand den Kopf. Marcel meint, das müsse wahrscheinlich sein, weil Brüssel ja auch Sitz der sicherheitsrelevanten Institutionen wie NATO und Europäische Union sei. "Für mich ist das ein wenig übertrieben. Die Menschen bekommen dadurch ja Angst. Die Probleme sind natürlich jetzt außergewöhnlich, da sind vielleicht auch außergewöhnliche Maßnahmen nötig." Marcel glaubt nicht, dass die Fahndung der Polizei erfolgreich sein wird. Hier könne man wohl leicht untertauchen. "Die Terroristen in Belgien zu finden, ist ein Problem. Denn es gibt auch viele Menschen in Belgien, die sich ohne Papiere hier aufhalten." Viele Menschen in Molenbeek, das nun weltweit als Terrornest gilt, sind genervt über den Ruf ihres Stadtteils. In einigen Fenstern hängen bereits Plakate mit Sprüchen wie "Ich liebe Molenbeek" und "Ich bin Molenbeek". Den entsprechenden hashtag gibt es natürlich auch bei Twitter.
"Mal sehen, wo die Terroristen wohnten"
Auf dem leeren Platz vor dem Rathaus von Molenbeek, auf dem normalerweise Marktstände stehen, kurvt ein Student auf seinem Fahrrad auf und ab. Vor dem Haus Nummer 30 bleibt er stehen. Da hat die Familie von Salah Abdeslam gewohnt. Der junge Mann ist extra aus Leuven angereist, einer Universitätsstadt 30 Kilometer von Brüssel entfernt. "Ich hatte heute keine Vorlesungen und wollte mir mal die Schauplätze ansehen", erzählt er. Also ein Terror-Tourist? "Na ja, so etwas ähnliches. Und gleich schaue ich mir noch den Markt und andere Plätze an, wo sich die Terroristen aufhielten", kündigt der Student an, rückt seinen Fahrradhelm zurecht und radelt los.
Am Abend hat der nationale Sicherheitsrat von Belgien unter Vorsitz von Ministerpräsident Charles Michel entschieden, dass die strikten Sicherheitsmaßnahmen in Brüssel weiter gelten sollen.