1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Mehrheit für Junckers Mannschaft

Bernd Riegert22. Oktober 2014

Der neue EU-Kommissionspräsident verspricht Investitionsprogramme bis Weihnachten und weniger Bürokratie. Das Europa-Parlament billigt die neue Mannschaft mit 27 Kommissaren aus den Mitgliedsländern.

https://p.dw.com/p/1DZqR
Juncker und Schulz im Europaparlament 22.10.2014
Parlament und Kommission auf Tuchfühlung: Präsidenten Schulz (li.) und JunckerBild: Reuters/Christian Hartmann

Die beiden Männer sind Freunde. Nach der Bestätigung der neuen EU-Kommission durch das Parlament umarmten sich der Präsident des Parlments, Martin Schulz, und der künftige Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker herzlich. Obwohl sie unterschiedlichen politischen Lagern angehören und im Europawahlkampf als Spitzenkandidaten gegeneinander antraten, wollen sie jetzt zusammenarbeiten. Jean-Claude Juncker, der konservative Gewinner, hatte in seiner Antrittsrede im Parlament auch für die Sozialisten von Martin Schulz einiges an Versprechen im Gepäck. Folglich stimmte eine große Koaliton aus Christdemokraten, Sozialisten und Liberalen mit einer breiten Mehrheit von 423 von 699 abgegebenen Stimmen für die Juncker-Kommission. Die Umarmung war auch Sinnbild für den kollegialen Umgang, den Jean-Claude Juncker mit dem Plenum pflegen will. Ablehnung kam nur von den Grünen, den extremen Linken und den extremen Rechten. Die Euro-Skeptiker von der "Alternative für Deutschland" und die britischen Konservativen enthielten sich.

Investitionsprogramm zu Weihnachten

In Französisch, Englisch und Deutsch sagte Juncker, seine Kommission werde sich vor allem um Arbeitsplätze und Wachstum kümmern. Dazu will er noch vor Weihnachten ein Investitionsprogramm in Höhe von 300 Milliarden Euro vorlegen. Die Investionen dürfen aber nicht durch neue Schulden finanziert werden, sagte Juncker an die Adresse Frankreichs und Italiens. Andererseits müssten die Fiskalregeln "flexibler" ausgelegt werden, ohne sie zu ändern. Reine Sparpolitik helfe auch nicht weiter. "Volkswirtschaften, in denen nicht investiert wird, können nicht wachsen. Volkswirtschaften, die nicht wachsen, können keine Beschäftigung sicherstellen. Dieses Investitionsprogramm liegt mir sehr am Herzen und ich möchte hier in aller Deutlichkeit sagen, dass die Versuche, mich von diesem Vorhaben abzubringen, nicht fruchten werden. Ich werde dies tun", kündigte Juncker unter Applaus an. Regierungskreise in Berlin hatten unmittelbar nach der Rede verlauten lassen, man wolle erst einmal abwarten, was Jean-Claude Juncker konkret vorschlagen werde. Sinnvollen Vorhaben werde man sich nicht verschließen. Der EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag (23./24.10.) werde sich nicht mit dem Investitionsprogramm und auch nicht mit den hohen Defiziten im französischen Staatshaushalt beschäftigen, hieß es aus Berlin.

Juncker im Europaparlament 22.10.2014 Protest gegen Sparpolitik
Nein zu Austerität: Linke demonstriert gegen JunckerBild: Reuters/Christian Hartmann

Erster Vizepräsident soll Gesetzesflut bremsen

Das Europäische Parlament in Straßburg billigte auch die neue Struktur und Arbeitsweise der Kommission, die sich Jean-Claude Juncker ausgedacht hat, um die Behörde seiner Meinung nach effizienter zu machen. Sieben Vize-Präsidenten sollen die 20 übrigen Kommissare mit ihren Ressorts in ständig wechselnden Arbeitsgruppen koordinieren. Der "Erste Vizepräsident", der ehemalige niederländische Außenminister Frans Timmermans, soll eine Art Veto gegen Gesetzesvorschläge einlegen können, die nicht auf der EU-Ebene, sondern in den Nationalstaaten besser geregelt werden könnten. "Ich habe entschieden, Frans Timmermans als Vizepräsident mit der Wahrung des Subsidiaritätsprinzips zu beauftragen. Es geht um bessere Gesetzgebung. Das haben wir alle den europäischen Bürgern versprochen. Wir wollen aus Europa eine Instanz, eine Haltung, eine Fabrik machen, die sich mit den großen Problemen beschäftigt und die kleinen Probleme anderen überlässt", sagte Juncker in Straßburg.

Der neue Kommissionspräsident, der sich seit dreißig Jahren mit Europapolitik beschäftigt und 18 Jahre lang Ministerpräsident des kleinen Luxemburg war, will die soziale Verantwortung Europas stärken. Juncker sagte, wegen der Schuldenkrise hätten nur noch zwei Staaten, nämlich Deutschland und Luxemburg, die höchste Bewertung durch die Ratingagenturen, das dreifache A. Natürlich sei es gut, wenn mehr Länder wieder auf ein AAA-Urteil der Finanzmärkte kommen würden, aber noch wichtiger sei, dass die sozialen Standards in ganz Europa ein AAA in den Augen der Bürger erreichten. Arbeit zu guten Bedingungen und zu guten Löhnen sei sein Ziel.

Keine Schiedsgerichte und keine Geschlechtsumwandlung

Die neue EU-Kommission wird weiter das Freihandels- und Investitionsabkommen TTIP mit den USA aushandeln. Juncker bekannte sich ausdrücklich zu diesem Abkommen, aber er lehnt, anders als sein Vorgänger José Manuel Barroso, privatrechtlich organisierte Schiedsgerichte zum Schutz von Investoren in ihrer heutigen Form ab. "Ich werden nicht akzeptieren, dass die Rechtsprechung von Gerichten in der EU durch irgendwelche Schiedsgerichte für Investorenschutz eingeschränkt wird. Die Herrschaft des Rechts und die Gleichheit vor dem Gesetz muss auch in diesem Bereich gelten." Juncker sagte, bei diesem Punkt müsse bei den TTIP-Verhandlungen nachgebessert werden. Das hatten viele TTIP-Kritiker und auch der sozialdemokratische Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel gefordert.

EU Berlaymont Gebäude
Junckers neuer Arbeitsplatz: Hauptquartier, EU-Kommission, BrüsselBild: picture-alliance/ dpa

Jean-Claude Juncker, den selbst die linke Oppostion als "schlauen Fuchs" bezeichnet, lieferte im Parlament einen Beweis für seinen Witz und seine Schlagfertigkeit. Als er sich beklagte, dass die Mitgliedsstaaten zu wenige Frauen, nur neun von 28 Kandidaten, in die EU-Kommission entsandt hätten, rief ein Abgeordneter: "Der Kommissar aus Luxemburg, also Juncker selbst, ist ja auch ein Mann!" Juncker antwortete unter dem Gelächter des Saals: "Auf kurze Sicht werde ich nicht in der Lage sein, mein Geschlecht zu ändern. Auf lange Sicht vielleicht, aber nicht kurzfristig." Jetzt muss die neue EU-Kommission noch vom Rat der Staats- und Regierungschefs bestätigt werden. Dann wird sie vor dem Europäischen Gerichtshof ihren Amtseid ablegen und vom 01. November an für fünf Jahre arbeiten.