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Brexit: Schadenfreude und Durchhalteparolen

Benjamin Pargan28. Juni 2016

In offiziellen Erklärungen wird auch nach dem Brexit-Referendum weiterhin die EU-Beitrittsperspektive der Balkanländer betont. Doch die Anziehungskraft der EU hat in der Region deutlich nachgelassen.

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EU-Parlament in Brüssel (Foto: EPA/OLIVIER HOSLET +++(c) dpa - Bildfunk)
Bild: picture-alliance/dpa/O. Hoslet

Mit Galgenhumor reagierten einige Kroaten auf das Brexit-Votum. Jede Staatengemeinschaft schmiere früher oder später ab, wenn Kroatien eintritt, hieß es in Internetforen in Anspielung auf das ehemalige Jugoslawien und Österreich-Ungarn. Die offiziellen Reaktionen verbreiteten hingegen wohldosierten Zweckoptimismus. So nannte der kroatische Außenminister Miro Kovac die Entscheidung der Briten einen heftigen Schlag für die Einheit der EU, sprach sich aber gleichzeitig für eine öffentliche Debatte über die Zukunft des von der Krise erschütterten Staatenbündnisses aus.

Auf diese Debatte kann Kroatien als jüngstes Mitglied der EU mit einer gewissen Lässigkeit warten, anders als die Länder des westlichen Balkans, die erst am Anfang des Weges in Richtung einer EU-Mitgliedschaft stehen. In Serbien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Montenegro, Albanien und im Kosovo reichten die Reaktionen auf das britische Referendum von Schadenfreude und Zynismus über demonstrative Unbeirrtheit bis zur Verunsicherung und Ratlosigkeit. Denn auch vor dem Referendum gab es in der EU kaum noch eine echte Erweiterungsbereitschaft. Nun wird den Europafreunden in vielen Hauptstädten auf dem Balkan klar, dass die Aufnahme neuer Mitgliedsländer auf der Brüsseler Prioritätenliste noch weiter nach hinten rutschen könnte.

Bosnien und Herzegowina Christian Schwarz-Schilling (Foto: ELVIS BARUKCIC/AFP/Getty Images)
Schwarz-Schilling: "Beitrittsperspektive der Balkanländer in Gefahr"Bild: Getty Images/E. Barukcic

"Balkanisierung Europas"

Der ehemalige Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina, Christian Schwarz-Schilling, sieht die Beitrittsperspektive der Balkanländer durch den britischen Austritt in Gefahr. Er erwartet, dass in der Region nun die anti-europäischen politischen Kräfte auch medial die Oberhand gewinnen und den Brexit für ihre Propaganda nutzen. "Damit müssen wir rechnen und deshalb sehr viel klarer unsere Verantwortung aufnehmen", so Schwarz-Schilling. "Wir sehen es ja, dass im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina, also in den Ländern, wo wir stark interveniert haben, chaotische Verhältnisse entstehen, weil man in Brüssel glaubt, man muss ein paar Jahre dort sein und dann wird alles in Ordnung gehen. Das war eine falsche Überlegung." Schwarz-Schilling kritisiert die EU-Politik der vergangenen Jahre, weil eine "Balkanisierung Europas häufiger auf der Tagesordnung stand, als die notwendige Europäisierung des Balkans".

Hoffnung auf deutsche Unterstützung

Die Gefahr einer Instrumentalisierung des Brexit-Votums durch nationalistische und anti-europäische Kräfte haben auch die Regierenden im EU-Kandidatenland Serbien erkannt. Ministerpräsident Aleksander Vucic beeilte sich zu betonen, dass sein Land auf Europa-Kurs bleiben werde. Er lehnte ein von serbischen EU-Skeptikern gefordertes Referendum über die EU-Annäherung kategorisch ab - und wies darauf hin, dass die Parlamentswahl im April eine große Mehrheit für seine EU-freundliche Politik bestätigt hätte. Außerdem betonte Vucic: "Für die Stabilität Serbiens ist es sehr wichtig, dass das kleine serbische Schiff mit dem großen deutschen Schiff durch eine Bootsleine verbunden bleibt." Das Ergebnis des Referendums in Großbritannien erklärte er kurzerhand für das "größte politische Erdbeben seit dem Mauerfall".

Serbien Premierminister Aleksandar Vucic (Foto: EPA/STEPHANIE LECOCQ )
Aleksandar Vucic: "Serbien bleibt auf Europa-Kurs"Bild: picture-alliance/dpa/S. Lecocq

Die ersten negativen Folgen dieses Erdbebens erreichten Belgrad schon am Montag: Bis auf Weiteres ist die Eröffnung des Kapitels 23 in den Verhandlungen zwischen Serbien und der EU verschoben worden. Kroatien war schon früher zurückhaltend, nun lehnt auch Großbritannien die Verhandlungen ab - wegen des Brexit.

Verhaltener Optimismus

Ähnliche Beteuerungen, dass ihre Länder auch nach dem Brexit unbeirrt auf dem europäischen Weg voranschreiten wollen, gab es von Regierenden aus allen anderen Hauptstädten der Westbalkan-Staaten. So betonte der kosovarische Parlamentspräsident Kadri Veseli: "Für Kosovo sind sowohl die gute Zusammenarbeit mit Großbritannien als auch die Fortsetzung der EU-Annäherung unantastbar." Auch für den Chef der größten Oppositionspartei Mazedoniens, Zoran Zaev, bleibt die EU-Mitgliedschaft seines Landes alternativlos. Er sei, genau wie die große Mehrheit der Bürger, fest davon überzeugt, dass die europäischen Werte und die EU-Integration entscheidend seien für eine bessere und sicherere Zukunft Mazedoniens.

Doch die Anziehungskraft der EU in der Region hat bereits vor dem Referendum nachgelassen. Nationalistische Politiker behaupten schon seit Jahren, dass die EU zerfallen wird, bevor die Westbalkan-Staaten ihr beitreten. Und die Regierungsparteien in Bosnien-Herzegowina und Mazedonien haben nun noch bessere Ausreden für die Verschiebung von notwendigen politischen und wirtschaftlichen Reformen.

Zoran Zaev Oppositionsführer Mazedoniens (Foto: Getty Images/AFP/R. Atanasovski)
Zoran Zaev: "EU-Mitgliedschaft ist alternativlos"Bild: Getty Images/AFP/R. Atanasovski

Im Hinblick auf die komplizierte geopolitische Lage, auf die türkischen und russischen Interessen auf dem Balkan, wagt kaum jemand eine ernsthafte Einschätzung der direkten außenpolitischen Auswirkungen des britischen Referendums auf die Region. Nur die größten EU-Gegner glauben, genau zu wissen, wie es weiter gehen soll. Der serbische Ultranationalist Vojislav Seselj feierte die Ergebnisse des Referendums als Todesstoß für die verhasste Europäische Union und sprach von einer wunderschönen Nachricht, über die sich alle Serben freuten. Über einen Kurznachrichtendienst ließ er ausrichten: "Die Engländer schlugen einen Holzpfahl mitten durchs Herz der EU-Leiche."