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Börsenchaos und Chinas Umbau

Hans Spross8. Januar 2016

"Schlechte" Wirtschaftsdaten seien für die jüngsten Kursverluste an Chinas Börsen und für das DAX-Minus auf unter 10.000 Punkte verantwortlich. Tatsächlich stecken Verwerfungen beim Wirtschaftsumbau Chinas dahinter.

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Elektronische Börsenanzeige in China (Foto: picture-alliance/epa/R. Dela Pena)
Bild: picture-alliance/epa/R. Dela Pena

Fragen an Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank.

Fraglos war das fünfprozentige Minus, das die 300 wichtigsten chinesischen Aktientitel (CSI 300-Index) binnen 13 Minuten nach Eröffnung des Handels am Donnerstag verzeichneten, spektakulär. Allerdings hatte dieser jüngste Einbruch nach Ansicht von China-Experten eher mit börsentechnischen Faktoren und unglücklicher Kommunikation zu tun als mit fundamentalen chinesischen Wirtschaftsdaten.

"Gefühlt ist in China 2015 die Welt untergegangen", sagt Elke Speidel-Walz, Chefökonomin Emerging Markets der Deutschen Asset Management in Frankfurt. Dabei habe die Wachstumsrate zwischen 6,9 und 7 Prozent geschwankt: "Es hat beim Wachstumstrend noch nicht viel bewegt und der chinesische Wirtschaftseinbruch hat nicht stattgefunden." Die China-Expertin vermutet im Gespräch mit DW, dass "vielen die Umstrukturierung, die konsequenten Reformen und die Liberalisierung, welche China derzeit vornimmt, nicht klar sind und was das bedeutet."

So basierten die am meisten beachteten Wirtschaftsindikatoren immer noch auf der "old economy", also den ressourcenintensiven Industriesektoren wie der Stahlindustrie. Diese "old economy nehme aber in der Bedeutung ab, während neue Industriesektoren (Gesundheitssektor, neue Energien, Roboter u.a.) sowie der Dienstleistungssektor und der boomende Internethandel in China immer wichtiger würden. Diese Sektoren stünden aber nicht im Fokus der veröffentlichten Wirtschaftsindikatoren, erläutert Elke Speidel-Walz.

China Alibaba Group - Jack Ma Yun & Feng Xiaogang (Foto: picture-alliance/dpa/L. Hui)
Die aufstrebende Internet-Wirtschaft, für die Gründer wie Alibaba-Chef Jack Ma (Mitte) stehen, befindet sich noch immer im Schatten der "old economy"Bild: picture-alliance/dpa/L. Hui

"Sechs Prozent Wachstum sind völlig OK"

Auch Markus Taube, China-Experte und Dozent für Ostasienwirtschaft an der Uni Duisburg-Essen, haut in die gleiche Kerbe. "Das abgeschwächte Wachstum ist genau das, was China braucht, also die 6,5 Prozent, wo wir mittelfristig hinrutschen." Für China sei die "Phase des nachholenden Wachstums" zu Ende: "Wenn China es schafft, von zehn auf fünf Prozent Wachstum herunterzukommen, würde das implizieren, dass es den Übergang zu nachhaltigem Wachstum geschafft hat. Erst wenn es auf ein oder zwei Prozent Wachstum rutschen würde, erst dann würde es auf einem bestehenden Niveau in der sogenannten 'middle-income trap' vor sich hin dümpeln."

Elke Speidel-Walz von der Deutschen Asset Management hält "sechs Prozent Wachstum bei einem Prozent Inflation angesichts des Entwicklungsstands Chinas und seiner Bevölkerungsentwicklung für vollkommen OK." Der Haupttreiber seien jetzt Konsum und Dienstleistungen wie IT, Internet Handel und Finanzdienstleistungen. Noch hätten aber diese Sektoren der New Economy deutlich weniger Gewicht als die alten Sektoren wie Stahlindustrie und auf Rohstoffen basierende Branchen, insofern sei ein niedrigeres Wachstum normal.

Renminbi, Dollar, Euro, Yen-Noten (Foto: picture alliance/dpa)
Chinas Währung Renminbi ist seit 2015 offizielle Reservewährung des IWF - und hat gegenüber dem Dollar abgewertet. Darin sehen einige Anaylsten aber kein Schwächezeichen, sondern sinnvolle Flexibilisierung.Bild: picture alliance/dpa

Kommunikationsdesaster an Chinas Börsen

Was den aktuellen Börseneinbrüche der ablaufenden Woche betrifft, so sehen beide Experten den Hauptgrund in der fehlenden Kommunikation darüber, was genau an dem Stichtag (8.1.) passieren würde, wenn die seit einem halben Jahr geltenden Verkaufsbeschränkungen für größere Aktienpakte auslaufen sollten. "Dementsprechend haben alle gedacht, bevor jetzt am Freitag der große Verkaufsdruck kommt, fange ich schon mal damit an, und so ist die Welle in Gang gekommen", erklärt Speidel-Walz. "Insofern wäre es klüger gewesen zu sagen, wir wollen Normalität, wir wollen die Eingriffe beenden, aber wir fangen langsam und graduell an, die Restriktionen zurück zu führen."

Tatsächlich hat die chinesische Börsenaufsicht am Donnerstag die genannte Verkaufsbeschränkung konkretisiert: Großanleger dürfen nur das Äqivalent von einem ein Prozent der Aktien eines Unternehmens über einen Zeitraum von drei Monaten abstoßen. Bei einem weiteren umstrittenen Mechanismus ist die Behörde ebenfalls tätig geworden: Der sogenannte "circuit breaker", der am Donnerstag automatisch den Handel nach dem fünfprozentigen Kursrutsch für eine Pause 15 Minuten ausgesetzt hatte, und dann nach weiteren Verlusten von sieben Prozent für den Rest des Tages, soll von Freitag an nicht mehr zum Einsatz kommen. Viele Börsenexperten sahen das Instrument als eine Ursache an für überhastete Verkäufe der Anleger, die es eigentlich verhindern soll.

Anleger an chinesischer Börse (Foto: picture-alliance/Photoshot)
Chinas Anleger gehen 2016 in ein unsicheres JahrBild: picture-alliance/Photoshot

Ansehensverlust der KP und verunsicherte Führungsschichten

Aber selbst mit verbesserter Kommunikation für die Anleger, und mit Sicherungsinstrumenten, die an die "volatilste Börse der Welt" angepasst werden, sei der Schaden da, sagt Markus Taube: "Der Börsenboom war politisch gewollt und erzeugt. Jetzt ist es schwierig: Egal was die Partei oder Regierung macht, es wird nicht mehr ernst genommen. Eine Maßnahme nach anderen hat sich als wirkungslos erwiesen."

Auch Sebastian Heilmann spricht im aktuellen Newsletter des Berliner China-Forschungsinstituts MERICS vom "sichtbaren Kontrollverlust in der Wirtschaftspolitik", der zusammen mit "vergrößerten Risiken für staatsragende Schichten, die infolge der wirtschaftlichen Verlangsamung und Unsicherheit viel zu verlieren haben, eine gefährliche Mischung bilde." Ob diese "gefährliche Mischung" den chinesischen Wirtschaftsumbau nachhaltig gefährden kann, ist die eigentlich spannende Frage für 2016, und nicht so sehr die, wann die nächste chinesische Börsenturbulenz kommt.