Medienboom in Syrien
26. Januar 2014In ihrer aktuellen Ausgabe berichtet die syrische Zeitschrift "Hentah" über viele Themen: die humanitäre Situation in den von Regierungstruppen umzingelten Gebieten im Süden der Hauptstadt Damaskus, die Lage der Schulen im Osten Syriens oder die Schwierigkeiten, mit denen syrische Studenten an türkischen Universitäten zu kämpfen haben. Das monatlich erscheinende Magazin ist noch jung: Es entstand im Sommer 2012 in der Kleinstadt Salamiyeh - also mitten im Bürgerkrieg.
"Hentah" ist damit kein Einzelfall. Noch nie gab es so viele syrische Zeitungen, Nachrichtenportale, Radio- und Fernsehsender. Viele entstanden durch Bürgerjournalisten, die über den Aufstand gegen das Regime von Präsident Baschar Al-Assad berichten. Nach Jahrzehnten der staatlichen Gängelung und strenger Zensur ist die Medienlandschaft in Syrien heute kaum wieder zu erkennen.
Hilfe von Organisationen und anderen Medien
Chefredakteur Naji al-Jurf erzählt, dass von "Hentah" jeden Monat 5000 Exemplare gedruckt werden. Die meisten würden in Syrien verteilt, erzählt er. Die Korrespondenten sitzen in Raqqa, im Osten Syriens, in Aleppo im Norden oder in Hama. Von dort schicken sie Nachrichten und Berichte.
Unterstützung bekommt die Zeitschrift von ASML, einer syrischen Organisation mit Sitz in Frankreich, die sich der Förderung neuer Medien verschrieben hat. Weitere Beispiele für junge Printmedien sind "Enab Baladi", die ebenfalls von ASML gefördert wird, und die Nachrichtenagentur Syria News Desk.
Das Trauma des leisen Todes
Für Mohamed Mallak, Chefredakteur der Zeitung "Dawda" und Mitarbeiter von ASML, kommt dieser Medienboom nicht überraschend. Als 1982 die Muslimbruderschaft in Hama Anschläge verübte und die Regierung darauf mit einem Massaker an den Stadtbewohnern reagierte, habe niemand genau gewusst, wie viele Syrer getötet worden seien, sagt Mallak. Es habe Berichte gegeben über 10.000, 20.000 oder 40.000 Tote. "Das war schrecklich, niemand weiß bis heute, wie viele Menschen getötet wurden. Dieses Trauma des leisen Todes hat die Syrer Jahrzehnte lang zum Schweigen gebracht ", erzählt er.
Als die Menschen wieder auf die Straße gingen, hätten sie beschlossen, dass sie nicht wieder eines leisen Todes sterben wollen. Demonstranten hätten Kameras dabei gehabt. "Zu diesen Medienaktivisten gehören Gemüsehändler, viele, die noch nicht mal die Schule abgeschlossen haben. Im Laufe der Zeit hat sich die Medienarbeit weiter entwickelt", berichtet der Journalist.
Fast drei Jahre nach Ausbruch des Aufstandes gegen Assad verstehen sich viele Medien nicht mehr als Sprachrohr der Revolution, sondern wollen journalistische Qualität liefern. Naji Al-Jurf von "Hentah" erinnert sich, dass sich seine Zeitschrift am Anfang als verlängerter Arm des Informationsbüros von Salamiyeh verstanden habe. Dieses Büro vertrete die Ideen der syrischen Revolution. "Nach zwei Ausgaben haben wir uns von diesem Büro getrennt. Denn wir wollten unabhängig von der Revolution Journalismus betreiben und 'Hentah' soll auch nach dem Ende der Revolution weiter existieren", sagt Al-Jurf.
Professioneller Umgang mit Quellen
Die Professionalisierung wurde mit Trainings vorangetrieben, die verschiedene internationale Organisation für syrische Journalisten anbieten. Eine davon ist das IWPR (Institute for War and Peace Reporting). Susanne Fischer leitet das Beiruter Büro. Sie hat die Entwicklung junger syrischer Journalisten aus der Nähe begleitet.
"Am Anfang hatten sie nicht viel Ahnung, wie man recherchiert, Zitate in Geschichten verwendet. Es wurde viel vom Hörensagen berichtet, Gerüchte verbreitet", sagt die erfahrene Journalistin. Da habe sich viel getan. Die Reporter versuchten, sich auf Fakten zu stützen und Aussagen zu überprüfen. Auch das Layout habe sich weiter entwickelt. "Am Anfang sah das mehr aus wie eine Schülerzeitung, die mit Schere zusammengeklebt war. Sie sind deutlich professioneller geworden."
Lebensgefährlicher Journalismus
Die schwierigen Bedingungen für journalistische Arbeit in Syrien sind die größte Herausforderung, mit denen die neuen Medien zu kämpfen haben. Zaina Erhaim, syrische Journalistin und Trainerin für IWPR, berichtet, dass professionelles Arbeiten einem Abenteuer gleiche. Die Position verschiedener Konfliktparteien zu einem Problem einzuholen, sei oft nicht möglich. Auch scheinbar harmlose Themen wie die Versorgungslage mit Diesel, Brot oder Mehl können demnach den Unmut der Milizen heraufbeschwören.
Ungeklärte Morde an Journalisten und Entführungen zeigten, wie gefährlich die Arbeit sei. Sogar Zeitungsverteiler sind von der instabilen Lage betroffen. Naji Al-Jurf berichtet, dass vier "Hentah"-Verteiler von der islamistischen Miliz ISIS entführt worden seien. Die Miliz nahm laut Jurf Anstoß an den Inhalten der Zeitung.
Auch über ihre Zukunft nach einem Ende des Bürgerkriegs machen sich die Medien Gedanken. Journalistin Erhaim geht davon aus, dass die Medienlandschaft sich dann noch mal stark verändern wird. Viele, die durch die Revolution zu Journalisten geworden seien, hörten vielleicht auf und kehrten in ihre ursprünglichen Berufe zurück. Andere, die ihre Arbeit aus Angst an den Nagel gehängt hätten, würden dann wieder als Journalisten tätig. "Einige Medien werden eingehen, aber insgesamt werden wir eine viel größere Auswahl haben. Eins ist sicher - es wird nie mehr so werden wie früher", sagt die junge Journalistin.