Mobiles Bezahlen in Ostafrika
29. April 2019Der Junge hat ein Mobiltelefon in den kleinen Laden mitgebracht, wo es Telefonkarten, Schmuck und Süßigkeiten zu kaufen gibt. Nach den Waren, die es im Laden zu kaufen gibt, steht ihm nicht der Sinn. Stattdessen tippt er etwas in sein Telefon ein und schickt eine Nachricht ab. Adressatin ist die Ladenbesitzerin, die hinter dem vergitterten Tresen steht und wartet.
Sie wirft einen prüfenden Blick auf ihr Telefon, als die SMS eingeht. Dann zählt sie 550 kenianische Schilling (fünf Euro) ab und streckt sie ihm hin. Der Junge grinst kurz, schnappt sich die Scheine und rennt aus dem Laden.
Debora Kumeschi muss lachen. "Ich bin hier ein bisschen wie eine Bank", sagt die Kenianerin aus Kilimambogo, rund anderthalb Stunden Autofahrt von der Hauptstadt Nairobi entfernt. Auf den grün gestrichenen Metalltüren und Fensterläden ihres kleinen Shops prangen fünf Buchstaben: M-Pesa. Das ist der Name des größten mobilen Gelddienstes Afrikas - vor zwölf Jahren von Kenias Mobilfunkanbieter Safaricom ins Leben gerufen. Mit M-Pesa können Kenianer Geld transferieren, Rechnungen bezahlen, im Internet einkaufen; oder eben Geld abheben.
30 Millionen Kenianer nutzen den Dienst, für den sie nicht mehr als ein einfaches Telefon, eine Rufnummer und eine SIM-Karte brauchen. In einem Land, in dem Kreditkarten nur etwas für Reiche sind, ist M-Pesa für viele der erste Zugang zum bargeldlosen Geldverkehr.
Rechnung per Textnachricht
Auch für Straßenhändler Patrick Macharia: Er verkauft an seinem Stand in Nairobi Okraschoten, Hülsenfrüchte und vieles mehr. Gerade ist seine Lieferantin mit dem Lastwagen vorgefahren. Nachdem sie ihm die Ware in die Hand gedrückt hat, zückt sie ihr Mobiltelefon und tippt auf die Tasten. Der Händler schaut drüber und nickt. Wenig später summt sein Handy. Lieferschein und Rechnung sind angekommen. Auch er zahlt mit M-Pesa. "Früher musste ich selbst die Ware einkaufen gehen", erzählt er. "Jetzt bestelle ich am Vortag und werde pünktlich beliefert." Das ist für Nairobis Straßenhändler etwas völlig Neues.
"Gerade, was den informellen Sektor mit den tausenden Straßenhändlern und -küchen betrifft: Es gibt niemanden, der sie just-in-time und mit verlässlicher Qualität beliefert", sagt Peter Njonjo. Er ist Chef des Handelsunternehmen Twiga Foods, das Macharia und 2500 weitere Händler und Gastronomen in Kenias Hauptstadt täglich versorgt.
Twiga kauft bei 17.000 Produzenten im Umland ein. "Am Anfang lief das Geschäft mit den Farmern ausschließlich gegen Cash. Heute wickeln wir 40 Prozent bargeldlos über Mobiltelefon ab." Die Twiga-Mitarbeiter erfassen die Ernte mit dem Tablett und senden die Daten an die Firmenzentrale, die so schon frühzeitig die Ware disponieren kann.
Hohe Zinsen
Das Konzept soll auf andere Städte und Länder in Ost- und Westafrika ausgedehnt werden. Eine Reihe von Geldgebern steht im Hintergrund dafür bereit wie die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG), eine Tochter der staatlichen deutschen KfW-Bank. Njonjo sieht den Agrarhandel in Afrika dank der IT und des bargeldlosen Zahlungsverkehrs vor einer Zeitenwende.
Damit die Vision Wirklichkeit werden kann, muss Twiga beim mobilen Geld nachhelfen. Denn Darlehen, die für die flexible Geschäftsabwicklung wichtig sind, bietet M-Pesa nur zu hohen Zinsen von zwei Prozent pro Tag.
Der Händler entwickelt deshalb - gefördert von der Weltbank - ein eigenes mobiles Zahlungssystem, das Kunden und Lieferanten künftig Kredite zu vergleichsweise günstigen sieben bis acht Prozent im Jahr einräumen würde.
Mobiles Geld gegen Armut
Nach einem Bericht der Weltbank hat das mobile Geld in Kenia 200.000 Menschen aus der Armut geholt. Nach Auskunft der Institution hatten 72 Prozent aller Kenianer 2017 ein mobiles Konto. Das ist Spitze in Afrika und mehr als in Deutschland (61Prozent) und Frankreich (49 Prozent). Auch in den Nachbarländern Uganda (47 Prozent), Tansania (37 Prozent) und Ruanda (29 Prozent) ist die Quote vergleichsweise hoch. In Äthiopien sind es dagegen erst 0,3 Prozent.
Das will Thierry Artaud ändern. Er ist Vorstandsvorsitzender des irischen Finanztechnologieunternehmens Moss, das vor vier Jahren den ersten mobilen Bezahldienst des Landes, M-Birr, lanciert hat. "Die Mentalität ist noch sehr auf Bargeld fokussiert", sagt er am Sitz der Firma in Addis Abeba. So werden selbst die Löhne in vier von fünf Fällen in bar ausgezahlt. Zugleich ist das Land mit einem Durchschnittseinkommen von 715 Euro pro Kopf eines der ärmsten der Welt. Das eine hat mit dem anderen zu tun.
Warten auf den Lohn
Artaud erzählt: "Es kommt immer wieder vor, dass Arbeiter zum Empfang ihres Lohns zu einem bestimmten Zeitpunkt an einen bestimmten Ort bestellt werden. Dort kann es dann aber heißen: der Geldtransporter kommt erst morgen. Manche sind Stunden zu Fuß von ihrem Wohnort angereist. Für sie lohnt es sich nicht, nach Hause zurückzukehren. Also warten sie - manchmal tagelang."
Die Folge: Händler bieten ihnen vor Ort auf den erwarteten Lohn Kredite mit überzogenen Zinsen an, damit sie essen, trinken und schlafen können. Am Ende bleibt vom Lohn nur noch ein Bruchteil übrig. Wenn aber die Menschen einen Teil ihres Einkommens gar nicht erst nach Hause bekommen, verschärft das das Armutsproblem.
Für die wirtschaftliche Entwicklung wäre der Zugang zu Finanzdienstleistungen ein Fortschritt. Prädestiniert dafür: das Mobilfunknetz. Denn während Banken auf dem Land eine Rarität sind, ist Mobilfunk mit einer landesweiten Abdeckung von 95 Prozent verfügbar.
Wo Banken fern sind, übernehmen Agenten wie Demera Kumeschi in Kenia den Job: Reisebüros, Lebensmittelhändler, Friseure. Um diejenigen in die bargeldlose Geldwirtschaft zu integrieren, die sich kein Mobiltelefon leisten können, gibt M-Birr personalisierte PIN-Karten aus. Transaktionen werden dann mit dem Mobiltelefon eines Agenten durchgeführt.
Für Blinde hat die Firma ein Armband entwickelt, das einen NFC-Chip enthält, wie er auch in Kreditkarten mit kontaktloser Bezahlfunktion zu finden ist. So soll sichergestellt werden, dass die Zuwendungen tatsächlich und vollständig bei den Bedürftigen ankommt.