Chatten gegen Heimweh
26. Februar 2013Samantha Rouse kennt das Suchtpotenzial der sozialen Netzwerke. Mit Laptop und Smartphone im Gepäck kam die englische Informatikstudentin im Oktober für ein Auslandsjahr an die Freie Universität Berlin. Heimweh hatte sie nicht, schließlich tauschte sie sich auf Facebook ständig mit ihren Freunden zu Hause aus – natürlich auf Englisch.
Der Draht in die Heimat hatte allerdings nicht nur Vorteile. Als Rouse im Dezember immer noch Schwierigkeiten hatte, den Vorlesungen auf Deutsch zu folgen, zog sie die Reißleine: "Es war mein Vorsatz fürs neue Jahr, nicht auf Facebook zu gehen!" Drei Wochen nur hielt die Erasmus-Stipendiatin durch, doch immerhin nutzt sie das soziale Netzwerk jetzt bewusster – nämlich nicht so sehr, um sich mit ihren Freunden in England auszutauschen, sondern um mit ihren neuen Freunden in Berlin zu chatten, Partys zu organisieren und sich mit dem Stoff der Vorlesungen helfen zu lassen.
Einfacher und billiger als Brief und Telefon
Die Möglichkeit, ohne großen Aufwand oder hohe Kosten nach Hause zu telefonieren, kann das Leben im Ausland leichter machen. Für den Brasilianer Phillip Scherk, Bachelorstudent in Jewish Studies und Anglistik, spielten die sozialen Netzwerke sogar eine Rolle bei seinem Entschluss, nach Berlin zu gehen. "Sonst hätte ich gar nicht diese Entscheidung getroffen", gibt er zu. Telefonieren findet er zu teuer, Briefe und E-Mails schreiben zu mühsam.
In neuen und kritischen Lebenssituationen - und dazu gehört ein Auslandsstudium -, verbringen junge Leute besonders viel Zeit im Internet. Das zeigt eine aktuelle Studie. Der Grund: Die virtuellen Kontakt- und Informationsmöglichkeiten vermitteln ihnen Sicherheit. Doch die sozialen Netzwerke haben auch eine Kehrseite. Sie können die Integration am Studienort erschweren.
Sportkurs statt Facebook
"Wenn es in Beratungsgesprächen darum geht, dass sich jemand nicht wohl fühlt und mit dem Studium nicht vorankommt, stellen sich die sozialen Netzwerke häufig als wichtiger Faktor heraus", sagt Hans-Werner Rückert, Leiter der Studien- und psychologischen Beratungsstelle der Freien Universität Berlin. Deshalb sollten sich Studierende schon vor ihrem Auslandsaufenthalt Gedanken darüber machen, wie sie am fremden Ort Kontakte knüpfen können, etwa bei einem Sportkurs oder einer anderen Freizeitaktivität. "Und sie sollten sich fragen, ob sie mit ihren Facebook-Chats fehlende Kontakte an ihrem Studienort kompensieren", rät Rückert.
Auch in den psychologischen Beratungsstellen anderer Hochschulen gibt es immer wieder internationale Studierende, die Probleme bei der Integration haben und einen Grund dafür in ihrer Internetnutzung sehen. Stefan Grob, Pressesprecher des Deutschen Studentenwerks, richtet seinen Appell jedoch nicht an die Studierenden, sondern an die Universitäten. Sie sollten die Vorliebe ihrer Studenten für die sozialen Medien stärker nutzen und beispielsweise über Facebook nicht nur Informationen vermitteln, sondern auch in einen Austausch mit den Nutzern treten.
"Wenn man wirklich einen Dialog will, führt kein Weg an den sozialen Netzwerken vorbei", meint Grob. Noch erfüllten die Online-Angebote der meisten Hochschulen aber nicht die Bedürfnisse der Studierenden – auch weil die personellen Ressourcen in der Öffentlichkeitsarbeit meist zu knapp seien, kritisiert der Sprecher.
Das Internet als Kontaktbörse nutzen
Die Bedürfnisse sind natürlich ohnehin ganz unterschiedlich. Was die einen davon abhält, neue Freunde zu finden, empfinden andere als durchaus förderlich für ihre Integration am Studienort. Die Bulgarin Sibila Atanasova etwa, die an der Freien Universität Berlin ihren Master in Psychologie macht, ist täglich über Facebook und Skype mit ihrer Familie und alten Freunden in Kontakt – und fühlt sich trotzdem in Berlin zu Hause.
Tatsächlich hat ihr das Internet sogar dabei geholfen, sich ihr Leben in Deutschland aufzubauen, denn die 24-Jährige hat sowohl ihre Wohnung als auch einen Nebenjob über die sozialen Netzwerke gefunden. Für die angehende Psychologin ist das Internet kein Ort der Ablenkung vom Leben und Studieren in Berlin, sondern ein ganz normaler Bestandteil ihres Lebens, das aus realen und virtuellen Begegnungen besteht. "Ich kann mir schon gar nicht mehr vorstellen, ohne Facebook und Skype meinen Alltag zu genießen", sagt sie lachend.