Darum ist Leipzig ein Bayern-Konkurrent
7. November 2016Die Kritiker - und davon hat "Rasenballsport Leipzig" viele - scheinen derzeit wie verstummt. Zu überwältigend ist das, was der Aufsteiger derzeit auf dem Rasen bietet. Das junge Team von Trainer Ralph Hasenhüttl begeistert mit seinem erfrischenden Fußball längst nicht mehr nur das eigene Publikum, sondern lässt auch das Fachpublikum staunen. Experten schwärmen von der taktischen Raffinesse der Leipziger Elf und Neu-Wrestler Tim Wiese findet die Roten Bullen einfach nur "geil". Ob er sich damit vielleicht doch noch mal als Torwart-Alternative ins Gespräch bringen möchte, ist nicht überliefert. Doch man möchte Wiese - ausnahmsweise - fast recht geben: Sportlich beeindruckt der Emporkömmling. Punktgleich mit dem großen FC Bayern an der Spitze der Tabelle - wer hätte das gedacht? Zumal das in der zuletzt schon als "Liga Langeweile" titulierten obersten Spielklasse Deutschlands lange keiner geschafft hat. Auch wenn das vielen Fußball-Traditionalisten überhaupt nicht gefällt: Das bei vielen Fans verhasste angeblich "Kunstprodukt" RB Leipzig belebt die Bundesliga. Denn die "Roten Bullen" sind plötzlich zu einem Herausforderer für den eigentlich unantastbaren FCB geworden.
Das merkt man übrigens auch daran, dass Uli Hoeneß sich zu Wort meldet und die sogenannte "Abteilung Attacke" auspackt: "Die haben natürlich den Vorteil, dass sie meiner Meinung nach während der Woche immer auf der Couch liegen, wenn wir im Champions-League-Rhythmus sind", ätzte der designierte Bayern-Präsident und fügte an: "Wie ich den Herrn Mateschitz kenne, wird er, wenn es an Weihnachten notwendig ist, noch ein paar Milliönchen drauflegen." Hoeneß schlug damit in die größte Kerbe im RB Leipzig-Logo: die Abhängigkeit von den Red Bull-Millionen des Brause-Mäzens Dietrich Mateschitz. Die Tatsache, dass auch viele andere Bundesligisten von den Finanzspritzen ihrer Sponsoren leben, verschweigt Hoeneß dabei, gibt aber zu: "Ich muss ehrlich sagen, dass ich Red Bull Leipzig für sehr stark halte." Sind die Leipziger also schon viel schneller zum Bayern-Rivalen gereift als gedacht? Auch wenn der Abstand zwischen beiden Vereinen nach wie vor viel größer ist als aktuell in der Tabelle, sprechen fünf Faktoren dafür:
1. Spielerisches Potential
Timo Werner, Emil Forsberg, Naby Keita und Yussuf Poulsen - alles Namen, die vor dieser Saison wohl kaum jemand in der Bundesliga hätten erzittern lassen. Das ist jetzt anders. Denn diese Offensiv-Achse hat bisher jeden Gegner beeindruckt. Keins der bislang zehn Bundesliga-Teams, die es mit Leipzig zu tun bekamen, konnten den eigenen Kasten sauber halten. Manche Gegner werden schlicht überrannt: "Wir hätten zweistellig verlieren können", staunte Verteidiger Stefan Bell vom FSV Mainz 05, der am vergangenen Sonntag mit dem 1:3 in Leipzig noch gut bedient war. Leipzigs Offensive steht für Konterstärke, schnelles Spiel und Effizienz - obwohl der Kader ein Durschnittsalter von gerade einmal 23,3 Jahren aufweist. Trainer Hasenhüttl kann es sich leisten, Spieler mit Potential wie Davie Selke und Oliver Burke auf der Bank zu lassen - darum wird ihn der eine oder andere Trainer sicher beneiden. Doch auch defensiv beeindrucken die Bullen. Die Abwehrreihe um Marvin Compper und Willi Orban steht meist richtig, lässt nur wenig Chancen zu und kassierte mit sieben Gegentoren nur einen Treffer mehr als der FC Bayern München. Dazu bringen alle Leipziger die Bereitschaft für schnellen und kräftezehrenden Tempofußball mit - ein klarer Vorteil gegenüber vielen anderen Bundesligisten.
2. Taktische Disziplin
RB Leipzig ist aber mehr als die Summe der Mannschaftsteile: Sie arbeiten bedingungslos als Kollektiv zusammen und wirken ungemein geschlossen. Und das hat Gründe: Leipzig ist eben kein mit vielen Millionen zusammengekauftes Star-Ensemble, das nur mit individueller Klasse beeindruckt. Ein Großteil der Spieler nahm Leipzig aus der 2. Bundesliga mit ins Oberhaus, auch weil die Verantwortlichen um Sportdirektor Ralf Rangnik ganz offensichtlich eine ganze Reihe leistungsbereiter und lernwilliger Spieler gefunden haben. Sie setzen taktischen Vorgaben von Trainer Hasenhüttl diszipliniert um, halten ihre Formation konsequent ein und verschieben die Mannschaftsteile blitzschnell Richtung Ball. "Mit diesen athletischen Fähigkeiten, die sie besitzen, machen sie der Liga gerade Angst. Das ist etwas ganz Neues", gibt sich Berlins Trainer Pal Dardai in einem Interview mit der "Welt" erst gar nicht die Mühe, seine Bewunderung für den Leipziger Fußball zu verstecken. Bisher konnte noch kein Gegner das Tempo von RB über 90 Minuten mitgehen.
3. Selbstbewusstsein
Leipzigs Aufsteiger haben im Kreise der Topmannschaften der Liga einen psychologischen Vorteil: Sie haben nichts zu verlieren. Niemand hat von ihnen so viel erwartet, wie sie derzeit zeigen. Das offizielle Saisonziel war nur der Klassenerhalt, alles andere ist nun ein freudig angenommener Zugewinn. Noch dazu sind viele Spieler unter 23 Jahren und können völlig unbekümmert an die kommenden Spiele herangehen, niemand macht ihnen Druck. Vielmehr entwickelt sich gerade ein Selbstverständnis, das sich aus den jüngsten Siegen speist: "Unsere Brust wird immer breiter. In dieser Form sind wir schwer zu schlagen", meint Kapitän Dominik Kaiser und Stürmer Yussuf Poulsen ergänzt: "Wenn wir so weiterspielen, dann wird das eine lustige Saison." So klang lange kein Aufsteiger.
4. Der Trainer
Nur ein Jahr Bundesliga-Erfahrung hatte Ralph Hasenhüttl bei Amtsantritt: Den Aufsteiger FC Ingolstadt hielt der Österreicher im Vorjahr mit realistischem Defensivfußball, Härte und taktischer Disziplin erfolgreich in der Liga, dann wechselte er nach Leipzig. Hier fand er ganz andere Möglichkeiten vor, ideale Trainingsbedingungen eine exzellente Jugendausbildung und viele erfolgshungrige Talente - exakt den Nährboden, den Hasenhüttl für seine Vorstellung von Fußball zu brauchen scheint. Sein Tempo-Fußball und das Umschalt-Spiel erinnern manchmal an den Kloppschen Stil zu Dortmunder Zeiten - nur, dass Hasenhüttl (sehr zum Gefallen von Sportdirektor Rangnik) mehr auf Effizienz vor dem Tor setzt. Hasenhüttls Vorteil: Auch die Leipziger Jugendteams üben diese Spielweise ein, so dass ein Nachrücken von jungen Perspektivspielern nahtlos möglich ist. Hasenhüttl selbst übt sich in Demut und sieht seine Elf "noch nicht als Spitzenmannschaft". Er will an den Schwächen seines Teams arbeiten, gibt sich nicht zufrieden mit dem Erreichten. Das wird man in der Konzernzentrale des österreichischen Getränke-Imperiums gerne hören.
5. Das Geld
Von eben diesem Imperium stammt nämlich das Geld des Erfolgsprojekts RB Leipzig. Klub-Mäzen Dietrich Mateschitz investierte seit der Vereinsgründung 2009 viel Geld in den Verein. Natürlich nicht nur aus Liebe zum Fußball, sondern auf Basis eines Marketingkonzepts, wie es für seine Firma schon in vielen Sportarten aufging. Im Sommer gab RB Leipzig rund 50 Millionen Euro für neue Spieler aus - paradiesische Zustände für einen Aufsteiger. Und nicht nur in Spieler wurde investiert: Ein nagelneues Trainingsgelände wurde gebaut, exzellente Trainer geholt, sportwissenschaftliche Kompetenz in Sachen Leistungsdiagnostik und Trainingssteuerung integriert. Der Lizenzspieler-Etat soll rund 40 Millionen Euro betragen, der Marktwert des gesamten Kaders liegt laut transfermarkt.de bereits bei rund 82 Millionen Euro - Tendenz rasant steigend.