"Nordkorea so akzeptieren, wie es ist"
3. März 2016Deutsche Welle: Herr Frank, gestern hat der UN-Sicherheitsrat die Sanktionen gegen Nordkorea deutlich verschärft, jetzt hat Nordkorea mehrere Kurzstreckenraketen ins Meer geschossen - hätten Sie mit dieser schnellen und direkten Antwort auf die Abstimmung in New York gerechnet?
Prof. Rüdiger Frank: Ja, sie kam praktisch mit Ansage. Der Sicherheitsrat hat sich ja doch einige Zeit gelassen, bevor diese Resolution veröffentlicht wurde. Es ist vorher auch schon deutlich geworden, dass sie offensichtlich eine Verschärfung darstellt, und es ist relativ klar, dass Nordkorea darauf reagiert, insbesondere, weil ja auch gleichzeitig die gemeinsamen Militärmanöver seitens der USA und Südkorea vorbereitet werden.
Worum geht es Nordkorea mit dieser Reaktion auf die Verschärfung der Sanktionen? Geht es mehr um die Wirkung nach innen oder nach außen?
Ich gehe davon aus, dass Nordkorea der Internationalen Gemeinschaft zeigen möchte, wie unzufrieden es mit den Sanktionen ist, weil es sich in seinen Rechten als souveräner Staat beschränkt sieht. Viele Möglichkeiten haben sie nicht, und dementsprechend ist so ein Kurzstreckenraketentest eigentlich die klassische Antwort.
Sie haben die jährlichen amerikanisch-südkoreanischen Frühlings-Militärmanöver angesprochen, die am kommenden Montag beginnen und sich über acht Wochen hinziehen. Die Manöver fallen in diesem Jahr deutlich größer aus als in der Vergangenheit. Wie viel Spannungspotenzial liegt darin?
Meiner Meinung nach kann man das mit einem brennenden Feuer vergleichen, in das man dann noch kräftig Öl hineingießt. Ich denke, anders kann man das nicht sehen. Die Spannungen sind bereits auf einem relativ hohen Level: Es gibt jetzt die Sanktionen, und Nordkorea braucht sowieso noch eine größere Gegenreaktion. Man spricht von einem nächsten Atomtest – wenn sie technisch dazu bereit sind. Und diese Manöver sind sicherlich nicht hilfreich. Es kann also durchaus sein, dass Nordkorea sich dann zu einer begrenzten militärischen Gegenreaktion hinreißen lässt.
2013 im Umfeld des dritten nordkoreanischen Atomtests gab es die letzte große Krise auf der Koreanischen Halbinsel. Wenn Sie die Situation mit der heute vergleichen – wie brisant ist die Lage jetzt?
Die Lage ist sicherlich ähnlich brisant. Ein Unterschied besteht darin, dass Kim Jong Un jetzt drei Jahre länger an der Macht und nicht mehr neu im Amt ist. Wir kennen ihn schon etwas besser. Nordkorea fühlt sich auch noch etwas mehr bedrängt von außen, weil die Chinesen zumindest formal den Sanktionen jetzt zugestimmt haben. Wir werden also sehen, inwiefern es eine ähnliche Eskalation – zumindest verbaler Natur – gibt und müssen die Daumen gedrückt halten, dass es nicht auch zu einer militärischen Konfrontation kommt.
Teil der Sanktionen sind drastische Exportbeschränkungen – wie sehr treffen die das Land?
Besonders interessant finde ich diesbezüglich, dass China dafür gesorgt hat, dass auch solche Güter nicht mehr exportiert werden dürfen, wo Nordkorea mit China konkurriert – insbesondere bei Seltenen Erden. Das heißt, China hat daraus einen ganz klaren wirtschaftlichen Gewinn, weil Peking bis jetzt eine Monopolstellung auf dem Markt hatte, die sie damit jetzt weiter verteidigen. Ansonsten ist es mit den Exporten so eine Sache. Neu ist, dass sämtliche Exporte Nordkoreas und auch die Importe betroffen sind. Damit ist quasi der komplette nordkoreanische Außenhandel mindestens behindert und verzögert, wenn nicht sogar teilweise unterbunden.
Das trifft alle, die davon abhängen. Ich bin mir nicht sicher, ob das für das Atom- und das Raketenprogramm gilt, denn soweit ich weiß, werden dafür keine Teile importiert. Es wird darauf hinauslaufen, dass die wirtschaftliche Situation schwieriger wird. Und klassischerweise wird in Diktaturen der Druck dann immer nach unten an die Schwächeren weitergegeben. Dass das dann wiederum zu einer politischen Gegenbewegung führt, die das Regime hinwegfegt, das ist sicherlich die Hoffnung derer, die die Sanktionen beschlossen haben, aber bis jetzt ist so etwas noch nicht passiert in Nordkorea.
Was müsste ihrer Meinung nach passieren, damit sich die aufgeheizte Situation auf der koreanischen Halbinsel wieder beruhigt?
Es ist sicherlich so, dass man irgendwann in den sauren Apfel beißen und Nordkorea so akzeptieren muss, wie es ist – auch wenn es uns nicht gefällt. Dazu ist bis jetzt meiner Ansicht nach niemand in der Lage, insbesondere Washington und Seoul nicht. Beide Regierungen stellen sich Nordkorea immer so vor, wie sie es gern hätten und versuchen eben, durch solche Maßnahmen diesen Zustand zu erreichen. Und das ist schwierig. Davon auszugehen, dass Nordkorea sich selbst seiner Waffen und seines Führers entledigt und auf die Gnade der "Sieger" hofft, das halte ich für relativ unrealistisch. Das bedeutet, es wird höchstwahrscheinlich so weitergehen wie bisher, mit der versteckten Hoffnung im Westen, dass Nordkorea irgendwann dem Beispiel Osteuropas folgt und quasi von selbst implodiert. Aber darauf warten wir schon seit 25 Jahren.
Rüdiger Frank ist Professor für Ostasienwissenschaften an der Universität Wien. Außerdem arbeitet er als außerplanmäßiger Professor an der südkoreanischen Korea University sowie an der University of North Korean Studies (Kyungnam University) in Seoul. 2014 erschien sein Buch: "Nordkorea. Innenansichten eines totalen Staates."