"Das Ende der ersten Mannschaft Putins"
1. November 2003Der 52-jährige Gleb Pawlowski, Präsident der "Stiftung für effektive Politik", hatte als Berater maßgeblichen Anteil am Erfolg der Pro-Putin-Partei bei den Parlamentswahlen 1999 und damit am Aufstieg von Wladimir Putin zum Präsidenten Russlands.
DW-WORLD: Bedeuten die Verhaftung von Chodorkowski, die Beschlagnahmung eines Großteils der Yukos-Aktien und die Entlassung des Krems-Stabschefs Alexander Woloschin den endgültigen Sieg der Gruppe aus Geheimdienstlern und Sicherheitskräften, den so genannten "Silowiki"?
Pawlowski: Nein, es kennzeichnet lediglich eine Zwischenstation und das Ende der ersten Mannschaft Putins. Offenbar hat der Übergang zu einer Art Suche nach einer neuen Konzeption der Kreml-Politik und einer neuen Konzeption für die Politik außerhalb des Kremls begonnen. Ich denke, heute haben alle freie Hand in ihren Handlungen. Die Geheimdienstler-Gruppe, die so genannten "Silowiki", ebenfalls. Doch sind sie lediglich eine der agierenden Gruppen.
Und warum wird der Geheimdienstler-Gruppe freie Hand gelassen?
Das hängt damit zusammen, dass Woloschin ein Bindeglied zwischen den Gruppen innerhalb der Regierungsmannschaft Putins war. Und jetzt fehlt so eine Person, und ich denke, dass dieses Bindeglied nur auf einer ganz anderen Basis wiederhergestellt werden kann. Kaum auf der früheren. Offensichtlich wird eine breitere Basis benötigt.
Wie sehen sie die zukünftige Entwicklung Russlands, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht?
Gegenwärtig gibt es das große Problem um Yukos. Dieses hängt nicht unmittelbar mit den Veränderungen im Kreml zusammen. Der Fall Yukos ist in gewisser Hinsicht sogar umfassender. Denn er ist eine Aktion verantwortungsloser Kräfte in den Strafverfolgungsbehörden und der Staatsanwaltschaft, die versuchen, unrechtmäßige Formen der Einflussnahme auf die Wirtschaft zu erzwingen.
Betrachten Sie den Fall Yukos als das Ende von Yukos oder das Ende der Oligarchen-Wirtschaft oder sogar als das Ende der Marktwirtschaft in Russland?
Es gibt keine Oligarchen. Das ist bei uns ein traditioneller politischer Mythos. Da es keine Oligarchie gibt, gibt es auch keine Oligarchen. Es handelt sich in Wirklichkeit um die Großindustrie, die alte Großindustrie, die in einer engen Verbindung zur Staatsgewalt steht. Bestimmte Kräfte in der Staatsanwaltschaft würden gerne die Oligarchie auf einer neuen Grundlage wiederherstellen, und zwar auf der Grundlage repressiver Staatsorgane. Das heißt, sie wollen um Putin herum ein Gerüst aus Geheimdienst- und Sicherheitsdienst-Strukturen aufbauen, um bei Unternehmen bestimmte Ressourcen mit Gewalt zu beschlagnahmen und diese zum Aufbau einer starken Staatsgewalt zu nutzen. Das ist aber ein verfassungswidriges Projekt. Und ich denke, dass es der politische Instinkt von Putin verhindert, das er unter ihre Kontrolle fällt.
Wie schätzen Sie den neuen Chef der Präsidialverwaltung Dmitri Medwedjew ein?
Er ist ein hervorragender hochqualifizierter junger Administrator und Manager mit einer guten juristischen Ausbildung. Er ist für die Leitung der Präsidialverwaltung meiner Meinung nach sehr gut geeignet.