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Das neue, schreckliche Leben in Gaza und Israel

14. Mai 2021

Der Konflikt zwischen der Hamas und Israel eskaliert schnell. Und die Angriffe und Raketeneinschläge quälen Menschen auf beiden Seiten. Tania Krämer berichtet aus Ashkelon.

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Palästina Israelischer Luftangriff auf Gaza
Ausgebombt in Gaza: Palästinensische Kinder versuchen ihre Habseligkeiten in Sicherheit zu bringenBild: Mohammed Salem/REUTERS

Am Montag herrschte noch festliche Stimmung in Gaza. Inmitten der Pandemie bereiteten sich die Einwohner so gut es ging auf das Ende des heiligen Fastenmonats Ramadan vor. "Wir haben unsere Häuser geputzt und den Kindern neue Kleider für das Fest gekauft. Aber jetzt ist alles anders", erzählt Mariam Sersawi aus Gaza am Vorabend des dreitägigen Fastenbrechens. 

Sersawi ist 25 Jahre alt und Autorin. Sie lebt in Shejaieh, im Osten der Stadt Gaza. Weder sie noch die anderen hätten sich vorstellen können, wie schlimm es an diesem Tag noch kommen würde. Der neue, rasant eskalierende Konflikt erinnert sie an den Krieg, der 2014 ihr Viertel verwüstete. "Ich bin verzweifelt. Der Lärm der Bomben ist furchtbar", sagt sie und kämpft am Telefon mit den Tränen. "Ich bin erschöpft."

In den folgenden Tagen spitzte sich die Lage immer mehr zu, und die Einwohner beschreiben in den sozialen Medien, wie entsetzlich sich die heftigen Bombardierungen aus Israel anfühlen. In der Nacht auf Freitag griffen 160 israelische Kampfflugzeuge den Gazastreifen an, so die israelische Armee. 

Ashkelon unter ständigem Beschuss

Auch in Israel ist  kein normales  Leben mehr möglich. In der Nacht zum  Freitag schossen die militante Hamas und der Islamische Dschihad über 200 Raketen auf das Territorium. In Ashkelon heulen fast ständig die Sirenen, die vor einem Angriff warnen.

Die Stadt nördlich des Gaza-Streifens war in den vergangenen Tagen unzählige Einschlägen ausgesetzt. Die Besucher eines Einkaufszentrums sowie Menschen aus der Nachbarschaft rennen in die Tiefgarage - sie kennen diese Schutzmaßnahmen, aber sie schüren immer wieder Angst.

Palästina Gazastreifen | Israelischer Luftschlag auf Beit Lahia
Im Gazastreifen schlägt ein israelischer Luftschlag auf Beit Lahia ein Bild: Mohammed Abed/AFP/Getty Images

Die Zeit ist knapp, um Schutz zu suchen - es gibt nur wenige Sekunden. Kaum angekommen, hört man heftige Einschläge. Es ist die sogenannte Eisenkuppel, der Iron Dome.

Mit diesem Abwehrsystem fängt Israel einen Großteil der Raketen aus Gaza ab, aber nicht alle. Vor einem Tag traf ein Geschoss die Straße und beschädigte Häuser und Autos.

"Es ist sehr stressig", sagt uns Shula Elimelech, die erschöpft aussieht. "Aber wir halten uns an die Maßnahmen und vertrauen den israelischen Verteidigungsstreitkräften. Und wir vertrauen auf Gott." 

Oben bereitet Bäcker Shmaayah Sassporta trotz allem das traditionelle Challah-Brot für den Shabbat vor. "Das passiert schon seit vielen Jahren. Und ich glaube nicht, dass es bald aufhört", sagt Sassporta, der kaum Hoffnung hat, dass diese ständige Bedrohung ein Ende hat. 

Keine Luftschutzkeller, keine Sirenen

Drei Kriege und unzählige kürzere militärische Konflikte gab es zwischen Israel und der Hamas. Im nur wenige Kilometer entfernten Gazastreifen hat sich diese Erfahrung ins Gedächtnis gebrannt.

Jetzt müssen sie sich schnell wieder anpassen und zu Hause Schutz suchen. Heraus trauen sie sich nur, um das Nötigste zu kaufen. Denn in Gaza gibt es keine Luftschutzkeller und auch keine Sirenen. Zwei Millionen Einwohner leben in dem von Israel blockierten Gebiet, das die militante Hamas kontrolliert.

Am Montag bereitete Universitätsdozent Abed Shokry im Homeoffice seine Vorlesung vor, als ihm klar wurde, was passierte. "Was wollen die Israelis von uns?" fragt er sich.

Inzwischen wechselt er zuhause ständig von einem Raum in den nächsten, um ein Gefühl von Sicherheit zu finden. Die Bombenangriffe haben auch sein Haus erschüttert.

"Ich fühle mich hilflos"

"Die Angriffe sind stärker, gefährlicher und gewaltiger als 2014", berichtet er am Telefon. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich fühle mich ohnmächtig, hilflos. Wir können nichts machen. Es gibt keinen sicheren Ort. Wir haben keinen Bunker."

Mehr als zehn Jahre lebte Shokry in Deutschland, bevor er 2007 nach Gaza zurückkehrte. Genau zu dieser Zeit verschärften Israel und teilweise auch Ägypten die Blockaden im Gaza-Streifen, nachdem die Hamas die Macht ergriffen hatte. 

Auf WhatsApp schreibt er am Freitag, das israelische Militär habe seine Nachbarn aufgefordert, das Hochhaus nebenan zu evakuieren. "Wenn sie es bombardieren und zerstören, sind auch wir davon betroffen. Ich kann nur versuchen, unsere Kinder zu beruhigen."

Man habe ahnen können, sagt Shokry, wie sehr die Geschehnisse in Jerusalem auch den Gaza-Konflikt betreffen. Dennoch hat der Ausbruch der Kämpfe die meisten Menschen überrascht. 

Ein Gebäude in Gaza brennt, nachdem es von einer israelischen Rakete getroffen wurde.
Israel hat 160 Kampfflugzeuge nach Gaza geschicktBild: Qusay Dawud/AFP/Getty Images

Zwangsräumungen und Proteste

Seit Wochen gab es Konfrontationen zwischen palästinensischen Einwohnern und israelischen Polizisten in dem Scheich Dscharrah-Viertel in Ost-Jerusalem. Als rechte israelische Politiker die Gegend besuchten, was als Provokation aufgefasst wurde, und schließlich auch rechtsextreme Israelis dort demonstrierten, wurden die Spannungen weiter angeheizt. 

Vier Familien in dem palästinensischen Viertel wehrten sich gegen drohende Zwangsräumungen zugunsten von israelischen Siedlern. Auf dem Harem Al Sharif, den die Juden Tempelberg nennen, und in der Al-Aqsa-Moschee kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern. Hamas drohte mit einem Ultimatum: Israel müsse die Sicherheitskräfte von dem heiligen Gelände abziehen und sich aus dem Scheich Dscharrah zurückziehen. Um 18 Uhr Ortszeit schoss die Hamas schließlich mehrere Raketen nach Jerusalem. 

Israel hat Berichten zufolge mehr als 600 Luftangriffe auf Gaza gestartet. Palästinensische Kämpfer haben nach israelischer Zählung insgesamt 1800 Raketen Richtung Südisrael und in die Landesmitte geschossen. Das ist der Stand am Freitag. 

"Wir setzen Angriffe fort"

Im Ausland werden die intensiven Angriffe mit Sorge verfolgt. Aber ein Waffenstillstand erscheint zur Zeit unwahrscheinlich. 

"Ich habe gesagt, dass die Hamas und die anderen Terrororganisationen einen sehr hohen Preis zahlen werden. Dafür sorgen wir gerade, und wir werden die Angriffe mit großer Intensität fortsetzen", sagte Premierminister Benjamin Netanjahu am Donnerstagabend.

"Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, und diese Operation wird so lange wie nötig weitergehen, bis wieder Ruhe und Sicherheit in Israel herrscht."

Doch er betonte, dass Israel an "zwei Fronten" kämpfe. Damit meint er die inländischen Konflikte zwischen jüdischen und arabischen Israelis oder Palästinensern mit israelischer Staatsangehörigkeit.

In vielen "gemischten" Städten in Israel kam es zu erheblichen Unruhen mit Sachschäden und Attacken auf Einzelpersonen. Die Gewaltausbrüche kamen ebenso von rechtsextremen wie von arabischen Israelis. In der Stadt Lod musste eine Ausgangssperre verhängt werden. 

Rauch steigt aus einem Gebäude in der israelischen Stadt Sderot, das von einer Rakete getroffen wurde.
Von einer Rakete aus dem Gazastreifen getroffenes Haus in der israelischen Stadt SderotBild: Yehuda Perez/AFP/Getty Images

Weiter südlich, in einem kleinen Moshav in der Nähe des Grenzzauns zwischen Gaza und Israel, spricht Yoga-Lehrerin Anat Partoush per Videoanruf mit uns. Gerade habe sie sich daran gewöhnt, nach der Pandemie wieder arbeiten zu gehen. Nun müsse sie erneut zu Hause bleiben.

"Wenn der Bombenalarm losgeht, hat man nur wenige Sekunden, um Schutz zu finden", sagt sie. "Ich habe Angst und bin frustriert. Aber wir setzen auf  die Bunker, und der Iron Dome gibt mir ein sicheres Gefühl. Es ist nicht einfach, all diese Raketen zu hören, aber ich weiß, das ist nur vorübergehend so."

Israels Abwehrsystem, der Iron Dome, fängt eine Rakete ab.
Der Iron Dome, Israels Abwehrsystem, fängt Raketen abBild: Jack Guez/AFP/Getty Images

Noch ein langer Weg zum Frieden

Partoush unterstützt Netanjahus Likud-Partei und freut sich, dass der Premier immer noch an der Macht ist. "Wir haben schließlich keinen Zauberstab. Viele geben Netanjahu die Schuld, und alle fühlen sich so schlau. Dabei ist es kompliziert, und ich bin froh, dass Bibi Netanjahu einen klaren Kopf behält."

Der amtierende Premier hat es nach der Wahl nicht rechtzeitig geschafft, eine neue Koalition zu formen. Seine Rivalen, Yair Lapid von der Yesh Atid-Partei und Naftali Bennett von der Yamina-Allianz, haben sich an einem breiteren politischen Bündnis versucht.

Doch am Donnerstag berichteten israelische Medien, so eine Regierung käme für Bennett doch nicht mehr in Frage. Er wolle nun wieder mit Netanjahu eine rechte, nationalistische und religiös orientierte Regierung bilden. 

Yoga-Lehrerin Partoush setzt auf arabische Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate oder Bahrain, mit denen Israel seine Beziehungen kürzlich normalisiert hat, um eine langfristige Lösung für den Konflikt mit den Palästinensern zu finden.

Aber solange Gaza von der Hamas kontrolliert werde, da ist sie sich sicher, könne es keine politische Lösung geben. Und von daher ist es noch ein langer Weg zum Frieden.

Der Text wurde aus dem Englischen adaptiert.

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin