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Das neue Wettrüsten

27. April 2007

Mit der Aussetzung des Abrüstungsvertrages KSE folgt Russlands Präsident Putin einem Trend: Wichtige Verträge zur Rüstungskontrolle sind gekündigt oder laufen aus - zugleich hat ein neues Wettrüsten begonnen.

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Eine US-amerikanische Interkontinentalrakete vom Typ Titan II in ihrem unterirdischen Silo, Quelle: AP
Eine US-amerikanische Interkontinentalrakete vom Typ Titan II in ihrem unterirdischen SiloBild: npb

War es eine Machtdemonstration für das heimische Publikum? War es nur ein Bluff? Oder stecken militärstrategische Motive dahinter? Nach der Ankündigung von Wladimir Putin, den Vertrag über die konventionelle Abrüstung in Europa (KSE) auszusetzen, spekulieren die Beobachter über die Motive des russischen Präsidenten. Die NATO baue Militärstützpunkte an der Grenze zu Russland aus, hatte Putin erklärt und zudem auf den geplanten Raketenschild in Tschechien und Polen verwiesen.

Angst vor einer Übermacht

Wladimir Putin, Quelle: AP
Wladimir PutinBild: AP

Die USA hatten zuvor immer wieder betont, dass die Raketenabwehr nicht in der Lage sei, russische Raketen aufzuhalten. "Moskau sieht darin auch keine direkte Bedrohung, sondern eine weitere in einer Reihe von geostrategischen Veränderungen, die systematisch von den USA betrieben werden, um Russland klein zu halten", glaubt Harald Müller, Leiter der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Zu diesen Schritten zählt etwa die NATO-Osterweiterung, die amerikanische Truppenpräsenz im Kaukasus und in Zentralasien und die angestrebte Vorherrschaft im Weltraum.

Mit einer Aufkündigung des KSE-Abkommens hätte Russland die Möglichkeit, konventionell aufzurüsten. Bedeutsamer für die russische Führung dürfte indessen sein, dass das Verbot großer Truppenkonzentrationen an den Grenzen im Nord- und Südosten außer Kraft gesetzt wäre. Insbesondere in der Unruheregion Kaukasus empfand Moskau dies immer als Sicherheitsproblem.

Gegenseitige Beschuldigungen

Bis heute ist der 1999 ergänzte KSE-Vertrag noch nicht in Kraft getreten, da die NATO-Staaten ihn nicht ratifiziert haben - dies machen sie davon abhängig, dass Russland seine Truppen aus Georgien und der moldawischen Region Transnistrien abzieht. "Wer nun schreit, dass die Russen den Vertrag einfrieren, ist auf einem Auge blind", meint der Harald Müller.

Die tschetschenische Hauptstadt Grosy im Kaukasus, Quelle: AP
Die tschetschenische Hauptstadt Grosy im KaukasusBild: dpa

Ein Ende des KSE-Vertrages würde einen schon länger anhaltenden Trend fortsetzen. "Fast alle Rüstungskontrollverträge wurden gekündigt oder laufen bald aus", erklärt Martin Kalinowski, Physiker und Rüstungsexperte an der Universität Hamburg. So traten die USA 2002 einseitig von dem dreißig Jahre alten ABM-Vertrag zurück, der den USA und Russland den Aufbau einer umfassenden Raketenabwehr verbot. Als Reaktion kündigte Russland den Start II-Vertrag, der weit reichende Abrüstungsschritte vorsah.

Der Start I-Vertrag wiederum, der das amerikanische und russische Atomarsenal auf je 6000 Sprengköpfe begrenzt, läuft 2008 aus. Der Atomteststopp-Vertrag scheiterte 1999 daran, dass der amerikanische Senat die Ratifizierung des bereits unterzeichneten Abkommens ablehnte.

Rüstungskontrolle als Parodie

Damit bleibt nur der "Moskauer Vertrag", auch SORT genannt. Darin haben sich Russland und die USA zwar noch 2002 verpflichtet, die Zahl ihrer Sprengköpfe auf jeweils 1700 bis 2200 Einheiten zu reduzieren. Doch die Waffen werden nicht verschrottet, sondern nur aus dem aktiven Arsenal genommen. Die Vorgaben sollen bis zum 31.12.2012 erfüllt werden - und mit diesem Termin läuft der Vertrag auch aus. "Das ist eine Parodie auf Rüstungskontrolle", meint der Friedensforscher Harald Müller.

Frankreichs Präsident Jacques Chirac (r.) besichtigt das Atomwaffen-U-Boot "Le Vigilant", Quelle: AP
Frankreichs Präsident Jacques Chirac (r.) besichtigt das Atomwaffen-U-Boot "Le Vigilant" (2006)Bild: AP

Der Atomwaffensperrvertrag (NPT) ist seit Jahren in der Krise, weil die Atommächte ihren Abrüstungsverpflichtungen nicht nachkommen - und damit andere Staaten ermuntern, sich ebenfalls nicht mehr an das Abkommen zu halten, das eine Ausbreitung von Nuklearwaffen verhindern soll. Die Argumentation des Westens, dass man an der im NPT festgeschriebenen vollständigen Abrüstung von Kernwaffen langfristig festhalte, werde durch die Erneuerung der Arsenale ad absurdum geführt, sagt Kalinowski.

Le Terrible kommt

Denn nach den weltweiten Abrüstungsbemühungen der neunziger Jahre hat längst wieder ein Wettrüsten eingesetzt: Die USA arbeiten mit den so genannten Reliable Replacement Warheads (RRW) an einer neuen Generation von Sprengköpfen. Großbritanniens Regierung beschloss vor wenigen Wochen, bis zu 30 Milliarden Euro für die Erneuerung seiner Atomwaffen auszugeben.

In Neu Delhi wird die Atomwaffenfähige Agni II-Rakete präsentiert (2002), Quelle: dpa
In Neu Delhi wird die Atomwaffenfähige Agni II-Rakete präsentiert (2002)Bild: dpa

Frankreich baut seine "Force de Frappe" weiter aus: In drei Jahren soll das raketenbestückte Atom-U-Boot "Le Terrible" die anderen drei "unterseeischen Abschussrampen" ergänzen. Russland entwickelt Raketen mit mehreren steuerbaren Sprengköpfen und auch China modernisiert seine Arsenale. Da Indien mit seiner Rüstung auf China reagiert und Pakistan auf Indien, dürften auch diese international nicht anerkannten Atommächte ihre Potenziale weiter ausbauen. (stu)