G20 in der Krise
18. Februar 2013Die wichtigste Schaltstelle im Kampf gegen existenzbedrohende Krisen des globalen Finanzsystems, die Gruppe der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G20), ist in Schwierigkeiten. Ihr Problem lautet: Sie tut sich immer schwerer, ihre Versprechen zu erfüllen.
Schlimmer noch, sie gerät immer häufiger in die Gefahr, hinter das zurückzufallen, was sie schon einmal als gemeinsame Position festgeschrieben hat. Beim einen oder anderen Veteranen der sieben G20-Gipfel sowie der vor- und nachbereitenden Konferenzen schleichen sich Frustrationen ein. "Der Schwung ist verloren gegangen", heißt es, oder "es wird immer zäher", bis hin zu "man muss sich echt Sorgen um die G20 machen", so lauten inzwischen manche Kommentare.
Keine Alternative in Sicht
Das stärkste Argument, die G20 weiter als das Zentrum im weltweiten Kampf gegen Gefahren für das Welt-Finanzsystem zu nutzen, ist zwar ein eher defensives, aber schlagendes: keinem fällt eine Alternative ein. Dass es in einer globalisierten Welt, in der Volkswirtschaften, Märkte und Akteure in einer bislang ungekannten Art und Weise miteinander vernetzt sind, einer globalen Schlichtungsstelle bedarf, bestreitet kaum jemand. Und dass der Rahmen der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer mit allen wichtigen und wichtig werdenden Schwergewichten der globalen Wirtschaft dafür wohl der angemessene und praktikabelste Rahmen ist, auch das spricht für die G20. Ein solcher Kreis sei gerade noch arbeitsfähig, sagen die Befürworter, auch wenn da manche ins Zweifeln kommen.
Allerdings: Ihre Bedeutung kann die G20 als das zentrale Krisenlösungsforum in der Welt von Wirtschaft und Finanzen nur bewahren, wenn sie ihren hohen Ansprüchen und Versprechungen gerecht wird, wenn die von ihr aufgezeigten Lösungswege beschritten werden und ihre Mitglieder dafür einstehen. Denn die Gruppe der 20 ist ein informelles Gremium - keines, das verbindliche Beschlüsse fassen und umsetzen kann. Entfalten die oft nach langem Ringen getroffenen Verabredungen keine Bindungswirkung, leiden Bedeutung und Glaubwürdigkeit der G20. Und diese Falle ist eine, in die der Staaten-Verband zu geraten droht.
Welthandesrunde als Negativ-Beispiel
Ein Kardinalbeispiel sind die gescheiterten Bemühungen im Rahmen der Welthandelsorganisation zum Abbau weltweiter Handelsschranken. Über Jahre war in jedem G20-Kommunique die Rede davon, dass sich die Länder für einen Erfolg dieser sogenannten Doha-Runde stark machen wollen, dass sie ein Zeitfenster für einen Erfolg sehen, dass nun die Staats- und Regierungschefs ihr ganzes Gewicht in die Waagschale werfen werden, um den Durchbruch zu erzielen. Gewürzt wurde das alles noch mit der rosigen Aussicht auf ein kräftiges Zusatzwachstum in der Welt und damit mehr Wohlstand. Doch all das blieb folgenlos. Die, die in der G20 solche Kommuniques mit verabschiedet hatten, schaffen es bei der Doha-Runde nicht, über ihre regionalen Schatten zu springen.
Dem Thema "Toronto-Ziele" des G20-Gipfels von 2010 droht ein ähnliches Schicksal. Beschlossen wurde damals, dass die großen Wirtschaftsmächte - mit Ausnahme Japans - ihre Defizite bis 2013 halbieren und bis 2016 stabilisieren. Vor einem Jahr in Mexiko verabredeten die G20 dann ergänzend, eine Anschlussregelung für die Zeit nach 2016 zu treffen. Inzwischen zeichnet sich ab, dass das erste der beiden Toronto-Ziele nur von einigen der Länder erfüllt werden wird. Derweil diskutiert man über die Definition des "richtigen" Defizitbegriffs und bestimmte Bereinigungen der Zahlen. Und von einer Anschlussregelung würden inzwischen manche am liebsten gar nichts mehr wissen, etwa die USA, denen ihr Wachstums- und Beschäftigungsproblem viel näher ist.
Staatsschulden, IWF-Reform: Alles offen
Immerhin schaffte man es nun in Moskau, den drohenden Rückschritt zu vermeiden. Die Einigungsformel lautet: Man belässt es erst einmal bei dem, was schon verabredet war. Was dann passiert, wenn der eine oder andere tatsächlich ein Toronto-Ziel verfehlt, bleibt offen. Das gleiche gilt für die Frage, ob die Anschlussregelung, die nun beim G20-Gipfel in St. Petersburg im September vereinbart werden soll, konkrete Zahlen und Termine enthält oder nur allgemein die Richtung vorgibt.
Ebenfalls "nicht geliefert" hat die G20 bei ihrer Verabredung, bis Januar 2013 eine neue Quotenformel im IWF zu entscheiden. Es geht dabei um die Machtverhältnisse zwischen aufstrebenden und etablierten Wirtschaftsnationen im Internationalen Währungsfonds (IWF), dem Welt-Krisenhelfer Nummer Eins. Auch die generelle Quotenreform des IWF ist - anders als festgelegt - noch immer nicht abgeschlossen. Neben diesen Zielverfehlungen gibt es einen riesigen Berg von unerledigten Ewigkeitsdiskussionen - über ein ausgewogenes, nachhaltiges Wachstum, über das Verhältnis von Budgetsanierung und Wachstumsförderung oder über die Finanzregulierung.
Als im November 2008 erstmals die Chefs der 20 führenden Wirtschafts- und Industrieländer in Washington zusammenkamen, steckte das Weltfinanzsystem mitten in seiner tiefsten Krise seit Jahrzehnten, in einer Art Todeskampf. Das konnte mit maßgeblichem Beitrag der G20 bewältigt werden. Doch nun, mit etwas Abstand zu dieser Krise, scheinen die Recht zu behalten, die behaupten: "Nur in der Krise gelingen dramatische Änderungen." Womöglich muss sich die Lage erst wieder zuspitzen, bis die G20 Tempo aufnimmt.