Der Herr der Zahlen - Finanzminister Wolfgang Schäuble
8. November 2010Wolfgang Schäuble gilt als unerschrocken. Doch er hat Angst vor Oma Erna. Sie ist eine Kunstfigur des Bundesfinanzministeriums. Oma Erna bezieht eine kleine Rente und hat einen Dackel. Wenn zum Beispiel die Anhebung der Mehrwertsteuer für alltägliche Nahrungsmittel, Hundefutter und Taxifahrten von sieben auf 19 Prozent zur Diskussion steht, rechnen die Beamten aus, was das für Oma Erna bedeutet: Einen herben finanziellen Rückschlag. Und so schickt der Finanzminister diesen Vorschlag schlicht in den Papierkorb.
Loyal, aber unbequem
Als Wolfgang Schäuble zum Finanzminister bestellt wird, ist er schon zwei Jahre über der in Deutschland üblichen Rentengrenze von 65 Jahren. Als die Bundeskanzlerin ihn fragte, ob er das Amt übernehmen wolle, erzählt Schäuble, habe er gesagt: "Sie wissen, dass ich loyal bin, darauf können sie sich verlassen. Aber sie wissen auch, dass ich unbequem bin." Worauf die Kanzlerin geantwortet habe: "Ja, das weiß ich, deshalb will ich Sie auch dieser Position haben."
In seiner Position als "Herr der Zahlen" ist Schäuble tatsächlich unbequem für den Steuerbürger, indem er weiter an dem Sparkurs festhält, ganze 80 Milliarden Euro bis zum Jahr 2016 im Haushalt einzusparen. "Ungewöhnlich ehrgeizig" sei dieses Ziel, sagt Schäuble. "Viele glauben gar nicht, dass ich das schaffe. Aber wir schaffen das. Es wird eingehalten."
Gelernter Steuerfachmann
Schäuble weiß, wovon er redet: Der im schwäbischen Hornberg aufgewachsene Sohn eines CDU-Landtagsabgeordneten studierte in Freiburg Rechts und Wirtschaftswissenschaften, promovierte im Steuerrecht und landet in der Steuerverwaltung des Landes Baden Württemberg. Schließlich wird er Regierungsrat im Finanzamt. Doch in der Krise ist Fachkompetenz nicht alles, sagt Schäuble. "Ich hab' meinen Vorgänger insbesondere in der Finanz- und Bankenkrise nicht beneidet, und jetzt beneide ich mich nicht einmal selbst."
Zum Selbstmitleid neigt Schäuble allerdings nicht wirklich. Sein eigentliches Lebensmotto sei "Nicht aufgeben. Sich anstrengen".
Schäuble gilt als zäh und intelligent - dafür zollt ihm sogar der politische Gegner Respekt. Nach eigenen Angaben benötigt er nur eine Stunde für seine Steuererklärung, macht die für seine Schwiegermutter gleich mit und schöpft Kraft in seiner Familie, bei seinen vier Kindern und seiner Frau. Aber auch aus dem Glauben. Der Protestant würde nie aus der Kirche austreten, nur um Kirchensteuer zu sparen. Er liebt konservative Werte.
Opfer eines Attentats
Auch persönliche Schicksalsschläge haben ihn nicht zweifeln lassen. 1990 schießt ein geistig verwirrter Mann auf einer Wahlveranstaltung auf Schäuble. Seitdem ist der früher aktive Tennisspieler gelähmt und sitzt im Rollstuhl. Er versuche seitdem zu akzeptieren, dass ein erfülltes Leben nicht nur eines ist, wenn alles hundertprozentig perfekt ist. "Sondern dass man mit Schwierigkeiten, mit Behinderungen auskommt und dass man sie überwinden kann. Und dass man trotzdem sehr viel Lebensfreude haben kann, dass man genauso leistungsfähig ist."
Wegen einer alten Operationswunde musste Schäuble allein in diesem Jahr schon mehrere Wochen im Krankenhaus verbringen. Anfang Mai, als über das Rettungspaket für den Euro verhandelt wird, reist er krank nach Brüssel, muss dort aber umgehend in eine Klinik. Auch beim Treffen der G20-Finanzminister im Oktober fehlt er wegen Krankheit. Trotzdem betont Schäuble, er sei den Anstrengungen gewachsen. "Ich fühle mich fit - körperlich und geistig und auch seelisch – man muss ja auch manche Auseinandersetzung aushalten. Mir macht Politik Freude, und dann ist eine große Herausforderung auch etwas, dem man sich gerne stellt."
Das Amt und die Gesundheit
Das gilt auch für die Reform der Finanzmärkte, die von der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer vorangetrieben werden soll. Im Bundestag erklärt Schäuble, dass er nicht zufrieden ist mit den Konsequenzen, die bisher aus der Finanzkrise gezogen wurden. "Da ist zwar manches schneller auf den Weg gekommen, als man sich das zuvor hätte vorstellen können. Aber es geht immer noch zu langsam. Und manchmal hat man das Gefühl, dass das Momentum doch ein wenig verloren geht."
Autor: Wolfgang Dick
Redaktion: Andreas Becker