1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der IWF geht fremd

Astrid Prange28. August 2015

In Lateinamerika und Asien ist man froh, nicht um seine Hilfe bitten zu müssen. In Europa hingegen geht ohne den Internationalen Währungsfonds nichts mehr. Was steckt hinter dem Interesse des IWF an Griechenland?

https://p.dw.com/p/1GNYt
Demonstration von Syriza-Unterstützern in Athen
Syriza-Anhänger in Griechenland protestierten gegen die GeldgeberBild: picture alliance/ZUMAPRESS.com

Mit einem Kreditvolumen von rund 25 Milliarden Dollar ist Griechenland zurzeit der größte Kunde des Internationalen Währungsfonds. "Der IWF hat den 'point of no return' überschritten", meint Rolf J. Langhammer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). "Im Grunde genommen hätte er früher aussteigen müssen. Jetzt ist es zu spät."

Der Ökonom aus Kiel, der internationale Organisationen wie Weltbank, EU und auch deutsche Ministerien beraten hat, kann durchaus nachvollziehen, dass viele der 188 Mitglieder des IWF nicht begeistert von dem außerordentlichen Engagement des Fonds in Athen sind. Griechenland sei aus Sicht vieler Entwicklungsländer ein reiches europäisches Industrieland.

"Viele Entwicklungsländer denken, bei uns wart ihr immer knallhart, aber bei den reichen Europäern, da macht ihr Ausnahmen", erklärt Langhammer. Sie fragten sich, warum ausgerechnet sie für ein Land der Eurozone zahlen sollten. Für den Kieler Professor steht hinter dieser Frage "eine Menge Logik".

Kehrtwende in Washington?

Es scheint paradox: Während das Wort Schuldenerlass in Lateinamerika, Asien und Afrika auf dem Index stand, fordert der IWF für Griechenland genau dies. Das Statement von IWF-Chefin Christine Lagarde am 14. August war eindeutig: "Für die Schuldentragfähigkeit Griechenlands ist es entscheidend, dass seine europäischen Partner sich zu einem signifikanten Schuldenerlass verpflichten, der weit über die bisherigen Maßnahmen hinausgeht."

Argentinien Hedgefonds Proteste (AP Photo/Natacha Pisarenko)
Feindbild USA: In Argentinien gelten IWF und Hedgefonds als Exzesse des amerikanischen KapitalismusBild: picture alliance/AP Photo/Pisarenko

Hinter der Sorge des IWF um die Tragfähigkeit der griechischen Schulden steckten allerdings in erster Linie handfeste Eigeninteressen: "Wir kennen das aus Lateinamerikas Schuldenkrise der 1980er Jahre", erinnert sich Ökonom Langhammer. "Da hat man immer argumentiert, wenn es einen Schuldenschnitt gibt, dann erhöhen sich die Chancen für die Bedienung der Restschulden."

Verteidigt der Fonds schlicht die Interessen seiner Mitglieder, ihr Geld gut anzulegen? "Der IWF schreit so laut er kann, damit keiner auf die Idee kommt, er könnte sich an einem Schuldenschnitt beteiligen", meint Jürgen Kaiser. Der Koordinator des entwicklungspolitischen Bündnisses "Erlassjahr.de" warnt allerdings davor, dass der Schuss auch nach hinten losgehen kann.

Christine Lagarde in Erklärungsnot

"Es kann natürlich eine Situation entstehen, in der die anderen Gläubiger fragen: Wieso seid ihr eigentlich draußen, was einen Schuldenerlass angeht?", erklärt er. Schließlich gebe es keine Regelung, die dem IWF Vorrang vor anderen Gläubigern einräume.

Für den Schuldenexperten Kaiser macht dies die Frage, wie die Lasten bei einem Schuldenschnitt verteilt werden würden, "ziemlich spannend". Sollte es zu einem Schuldenerlass für Griechenland kommen und der IWF würde gefragt, ob er sich daran beteiligt, dann hätte Lagarde einen Erklärungsnotstand, so Kaiser.

Im Erklärungsnotstand befand sich der IWF auch im Jahr 2002. Damals gingen immer mehr Schwellen- und Entwicklungsländer auf Distanz zum Fonds. Anhaltende Wachstumsraten erlaubten es ihnen, Devisenreserven zu bilden und ihre Schulden abzutragen. Der IWF verlor seine Kunden und musste sich nach neuen Geschäftsfeldern umschauen.

Christine Lagarde kritisch
IWF-Chefin Lagarde drängt auf einen Schuldenschnitt, an dem der Fonds sich allerdings nicht beteiligen willBild: Reuters/Y. Gripas

Erst die Weltwirtschaftskrise 2009 öffnete dem Fonds unverhofft wieder ein neues Betätigungsfeld. Der damalige IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn ergriff die Chance. "Im Zuge der Weltwirtschaftskrise gewann der IWF an Einfluss“, erinnert sich Koordinator Kaiser.

Der Fonds verfüge mittlerweile über eine Ausstattung in der Größenordnung von rund 300 Milliarden Dollar: "Selbst wenn woanders Krisen ausbrechen, würde das IWF-Engagement in Griechenland den Fonds nicht daran hindern, Notkredite zu vergeben", meint er. "Es gibt keine Mittelkonkurrenz."

Was sind "tragfähige" Schulden?

Das Thema Schuldenschnitt jedoch ist für Kaiser trotz der wahrscheinlichen Beteiligung des IWF am dritten Hilfspaket für Griechenland noch nicht vom Tisch. "Die haben sich ein bisschen Zeit gekauft. Bis zur nächsten Deadline", vermutet er. Die Programme, die Athen nun umsetzen müsse, seien "die gleichen Luftnummern, die das Land schon seit fünf Jahren aufgedrückt bekommt".

Beim Streit über die Definition von "Schuldentragfähigkeit" waren sich IWF und der Europäische Rettungsschirm ESM in dieser Woche näher gekommen. Danach soll nicht mehr die Höhe der Schulden, sondern die Höhe des Schuldendienstes ausschlaggebend sein. Europas Kreditgeber hätten Athen so gute Konditionen eingeräumt, dass es die Schulden des IWF bedienen könne, lautet die Argumentation des ESM.

Der Kieler Ökonom Langhammer hält diese Abkehr von der Fixierung auf eine Schuldentilgung für überfällig."Der Himmel kann runterfallen auf Griechenland, aber Griechenland besteht weiter als Staat. Ein Land ist ein unendliches Investitionsobjekt", erklärt er, und fügt hinzu: "Es ist ökonomisch völliger Blödsinn, zu sagen, ein Land zahlt seine Schulden zurück. Wichtiger ist es, dass ein Land in der Lage ist, seinen Schuldenverpflichtungen regelmäßig nachzukommen."