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Der Putsch musste warten

Martina Farmbauer11. September 2013

Fußball-Rekordmeister CSD Colo-Colo aus Chile soll mit seinen Erfolgen den Putsch vom 11. September 1973 hinausgezögert haben. Sein Heimstadion ist bis heute ein Symbol für Freude - aber auch für großes Leid.

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Rauch steigt 1973 vom Präsidentenpalast in Chile auf. (Foto: AP Photo/El Mercurio, File)
Der brennende Präsidentenpalast in SantiagoBild: picture alliance/AP Photo

Der Chilene Carlos Caszely wäre gerne ein Rebell im positiven Sinne gewesen. Jemand, der sich gegen Ungerechtigkeit, Gewalt, Krieg in seinem Land auflehnt und dem es vielleicht sogar gelingt, zu versöhnen. So weit ging es im Falle des Fußballspielers Carlos Caszely nicht. Aber wenn es nach dem chilenischen Autor Luis Urrutia O'Nell geht, dann zögerte Caszely mit seinem Verein CSD Colo-Colo aus Chiles Hauptstadt Santiago den Putsch vom 11. September 1973 hinaus. Urrutia, einer der renommiertesten Sportjournalisten Chiles, hat darüber auch ein Buch geschrieben, das eben diesen Titel trägt: "Colo-Colo1973 - el equipo que retrasó el golpe." [Anm. d. Red.: "Colo-Colo 1973 - Die Mannschaft, die den Putsch herausgezögert hat"]. In der vergangenen Woche erschien bereits die dritte Auflage.

Die Macht des Fußballs

Es ist eine gewagte These, die Luis Urrutia da vertritt. Die Geschichte von Colo-Colo 1973 ist eine Geschichte von der Macht des Fußballs, die bisweilen größer sein soll als die der Politik. Aber der Fußball hat auf der ganzen Welt immer wieder solche Geschichten geschrieben. So löste ein Spiel zwischen El Salvador und Honduras, bei dem es zu Ausschreitungen kam und es Todesopfer gab, einst einen Krieg zwischen den beiden Ländern aus. Dabei war der Hintergrund ein Streit um Wirtschaftsflüchtlinge.

Der FC Santos wiederum unterbrach vorübergehend Bürgerkriege in Nigeria und im Kongo: Die Menschen hörten auf zu kämpfen, weil sie Pelé spielen sehen wollten und damit der brasilianische Superstar ungehindert reisen konnte. Und Fans von Al-Ahly Kairo halfen erst jüngst mit, den Präsidenten Ägyptens zu stürzen. Erst die Gewalt der Polizei politisierte sie und ließ sie die Revolutionäre unterstützen. In Chile hieß es vor 40 Jahren unter den Anhängern des linksgerichteten Präsidenten Salvador Allendes, die dessen Spitznamen benutzten: "Solange Colo-Colo gewinnt, ist 'Chicho' sicher."

Colo-Colo begeisterte die Menschen. Der chilenische Rekordmeister zog in das Finale der Copa Libertadores ein und gewann dabei in Brasilien, was keiner chilenischen Mannschaft bis dahin gelungen war. Der Fußballverein war zudem ein Bindeglied in dem ansonsten tief zwischen Links und Rechts gespaltenen Land. Chile war wohl nie so gespalten wie zu jener Zeit. "Die US-amerikanischen Berater, die diesen ganzen Aufruhr des Volkes aus strategischer Sicht als Hindernis für ein militärisches Eingreifen sahen, dachten, es wäre besser, auf einen anderen Moment zu warten", sagt Autor Luis Urrutia im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Luis Urrutias These mag gewagt sein, doch die historischen Fakten passen dazu. Colo-Colo verlor das Finale gegen Independiente de Avellaneda aus Argentinien. Danach stellte der Verein einen großen Teil des Nationalteams,das in der Qualifikation zur Weltmeisterschaft in Deutschland 1974 gegen Peru gewann. Eine Woche später putschte das Militär.

Das Emblem des chilenischen Fußballklubs Colo Colo Santiago de Chile.
Ein Verein, der die Menschen begeistert: CSD Colo-ColoBild: picture-alliance/dpa

Aus dem Ort der Erfolge wird ein Folterlager

Vor dem Putsch vom 11. September 1973 war das Nationalstadion in Santiago der Ort, an dem Colo-Colo unvergessliche Siege in der Copa Libertadores feierte: das 4:0 gegen den Club Cerro Porteño, das 5:0 gegen Unión Española S.A.D.P. oder das 5:1 gegen den Club Sport Emelec. Und es gab dabei Momente, die nun zum kollektiven Gedächtnis der Chilenen gehören, wie das Tor Carlos Caszelys gegen Emelec. Er zog an der Hälfte der ecuadorianischen Mannschaft vorbei und die Zuschauer im Stadion standen auf und riefen: "Se pasó! Se pasó!" ["Anm. d. Red.: "Er ist durch!" Im Sinne von: "Er hat sich selbst übertroffen"] Dieser Ruf ist in Chile heute ebenso bekannt wie der Satz der Anhänger Allendes.

Wenn der 63-jährige Caszely 40 Jahre später im Nationalstadion ist, dann vermischen sich in seinem Bewusstsein die Zeit vor dem Putsch und die danach. Die schöne Zeit und die schreckliche. Denn danach hielten die Militärs hier politische Gefangene fest, folterten und ermordeten viele von ihnen in dem Freiluftgefängnis, wo sie viele Menschen zusammentreiben konnten. Unter den Gefangenen waren auch zwei ehemalige Auswahlspieler: Hugo Lepe und Mario Moreno.

Das Land ist immer noch gespalten - oder wieder

Auch wenn es Caszely, dem Fußballvirtuosen, der gerne ein Rebell gewesen wäre, nicht gelungen ist, all dies durch seine Tore zu verhindern, verweigerte er Diktator Augusto Pinochet immerhin bei einem Empfang den Handschlag. Allerdings musste Caszely, der der Regierung Salvador Allendes nahe gestanden hatte, auch sehr dafür büßen: Die Schergen Pinochets nahmen später seine Mutter gefangen und folterten sie.

Eine Demonstration zum Gedenken des Militärputsches in Chile. (Foto: Sebastian Silva/AFP/Getty Images)
Noch heute erinnern die Menschen an den Militärputsch von vor 40 JahrenBild: Sebastian Silva/AFP/Getty Images

Das ist es, was bleibt: "Die Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien ist in der Erinnerung die WM der Diktatur", sagt der argentinische Autor Gustavo Veiga. "Auch in Chile werden die Worte 'Fußball' und '1973' immer mit dem Nationalstadion, das mit politischen Gefangenen gefüllt war, verbunden sein." Und eben nicht mit den Erfolgen Colo-Colos. Chile ist immer noch - oder wieder - ein gespaltenes Land. Gespalten zwischen Siegern und Besiegten.

Antworten, die fehlen

In der Politischen Wissenschaft gibt es dazu die Theorie, dass der Übergang zur Demokratie entweder durch einen Bruch oder einen Pakt erfolgen kann. Und wenn die neu entstehende Demokratie sich mit dem alten, autoritären Regime verbündet, dann kann es sein, dass die Vergangenheit nicht aufgearbeitet und bewältigt wird. Und, sagt Journalist und Autor Luis Urrutia aus Chile, "dass das, was unter den Teppich gekehrt wurde, bei jeder Gelegenheit hochkommt." Wunden, die nicht oder nur oberflächlich verheilt sind, brechen immer wieder auf.

Das war so, als Augusto Pinochet Senator auf Lebenszeit wurde; das war so, als Pinochet in London festgenommen wurde, als Pinochet starb; und natürlich ist es so, wenn der 40. Jahrestag seines Putsches ansteht. Noch nie - weder zehn, noch 20, noch 30 Jahre danach - haben die Medien in Chile so viel über den Putsch berichtet und darüber, dass Colo-Colo diesen hinausgezögert haben soll, wie dieses Mal. Wenn man Fußball nicht als Spiegel der Gesellschaft sieht, sondern als Medium, um darüber zu reflektieren, dann mag es durchaus etwas heißen, wenn Luis Urrutia sagt: "Vielleicht gibt es noch Müll unter dem Teppich. Vielleicht fehlen Antworten."