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Der Torwart ist immer der Blöde

Stefan Nestler4. Dezember 2013

Bundesliga-Torhüter werden immer schneller zu Buhmännern. Kein Wunder, dass ihre Nerven blank liegen. Seid nicht zu streng zur Nummer eins, mahnt DW-Sportreporter Stefan Nestler.

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Themenbild Kolumne Flügelzange. DW-Grafik: Peter Steinmetz
Bild: DW

Das waren noch Zeiten, als Sepp Maier während eines Bundesliga-Spiels nach einer Ente hechten konnte. Die Nation lachte, und niemand wäre auf die Idee gekommen, dem Torwart daraus einen Strick zu drehen. Torleute genossen Narrenfreiheit. Stürmer wurden ausgetauscht, weil sie Ladehemmung hatten, Mittelfeldspieler, wenn ihre Pässe nicht mehr ankamen, Verteidiger, weil sie ihre Gegenspieler laufen ließen. Der Keeper aber war tabu, eine Konstante im Vergleich zum Bäumchen-wechsel-dich auf den anderen Positionen. Die Welt beneidete die Bundesliga um ihre ausgezeichneten Torhüter. Auf der Ersatzbank versauerten manche Keeper, die im Ausland einen Stammplatz sicher gehabt hätten - nur weil in ihren Vereinen Alphatiere wie Toni Schumacher oder Oliver Kahn zwischen den Pfosten standen. Die Nummer eins bedeutete auch Nummer eins.

Keine Blanko-Tickets

Und heute? Da verordnet Werder Bremens Trainer Robin Dutt seinem Torwart Sebastian Mielitz eine Denkpause, damit der bis Weihnachten, so Dutt, in Ruhe "die Dinge reflektieren" könne. Das klingt nach Abstellgleis. Dort könnte sich bald auch der Hoffenheimer Koen Casteels wiederfinden, dessen Kasten die größte Schießbude der Liga ist. Schon 34 Mal hat es dort eingeschlagen. Trainer Markus Gisdol bezeichnete die Kritik an seinem Keeper zwar als "völlig unbegründet", ließ aber im nicht gerade unwichtigen Pokalspiel auf Schalke den unerfahrenen Jens Grahl zwischen die Pfosten. Beim Gegner hütete Ersatzmann Ralf Fährmann das Tor. Gut, Stammtorwart Timo Hildebrand ist angeschlagen. Aber ein Blanko-Ticket hat auch der frühere Nationalkeeper nicht. Hildebrand hat sich in den letzten Monaten einiges an Kritik anhören müssen. Da dürfte ihn kaum beruhigen, dass sein Ersatz Fährmann beim ersten Gegentor der Hoffenheimer schlecht aussah und beim zweiten getunnelt wurde.

Werder-Torwart Mielitz sitzt nach einem Gegentor frustriert am Boden. Foto: dpa-pa
Frust pur bei Werder-Torwart MielitzBild: picture-alliance/dpa

Tausendsassa

Eigentlich ist der moderne Fußball daran schuld, dass die Nerven der Torhüter häufig blank liegen. Früher musste ein Keeper nur gute Reflexe haben, seinen Strafraum beherrschen und sich mutig Gegenspielern in den Weg werfen. Heute muss er ein wahrer Tausendsassa sein. Seine Abstöße sollen zielgenaue Pässe sein, seine Abwürfe Konter einleiten. Und wenn die zunehmend offensiv ausgerichteten Abwehrspieler plötzlich hinten fehlen, soll er auch noch für diese die Kastanien aus dem Feuer holen. Wenn es schief geht, klingelt es in seinem Kasten. Kassiert er erstmals drei oder mehr Treffer in einem Spiel, kann er vielleicht noch Verständnis und Mitleid erwarten. Doch im Wiederholungsfall bleibt es irgendwie auch an ihm hängen - Schuld hin oder her. Der Torwart ist nicht zu beneiden. Lasst ihn doch mal wieder nach einer Ente hechten!