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Einreiseverbot für Erdogan gefordert

12. Juni 2016

Sie erhalten Morddrohungen, werden übelst angefeindet, in türkischen Zeitungen kursieren Steckbriefe von ihnen und ihren Familien. Das lassen sich Dagdelen und andere türkischstämmige Parlamentarier so nicht gefallen.

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Sevim Dagdelen von der Partei Die Linke (Foto: picture alliance)
Die Linken-Politikerin Sevim DagdelenBild: picture-alliance/Eventpress Stauffenberg

Sevim Dagdelen, Abgeordnete der Links-Fraktion, kann sich - wie auch zehn andere türkischstämmige Parlamentarier in Deutschland - ihres Lebens nicht mehr sicher sein. Alle elf erleben eine bundesweite Mobilisierung durch türkische Nationalisten, gesteuert von der türkischen Regierung um Präsident Recep Tayyip Erdogan. Ihr "Vergehen": Vor zehn Tagen stimmten sie wie die große Mehrheit des Bundestags für eine Resolution, in der das Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren als Völkermord eingestuft wird.

Die elf Abgeordneten erhalten jetzt verstärkten Polizeischutz und weitere Sicherheitsmaßnahmen für ihr berufliches und privates Umfeld. Erdogan hatte die Parlamentarier auf eine Stufe mit Terroristen gestellt und Blut-Untersuchungen verlangt, mit denen sie ihre türkische Abstammung beweisen sollten. Ein Istanbuler Privatmann setzte daraufhin laut "Bild am Sonntag" ein Kopfgeld von umgerechnet 100.000 Euro auf Dagdelen aus.

Die in Duisburg geborene Politikerin, die seit 2005 im Deutschen Bundestag sitzt, forderte in der Zeitung eine klare Haltung der Bundesregierung ein und plädierte für ein Einreiseverbot für Erdogan. "Wer in der Türkei zu Gewalt gegen deutsche Bundestagsabgeordnete aufruft, sollte ein Einreiseverbot bekommen. Dazu gehört auch Präsident Erdogan", sagte sie der "Bild am Sonntag".

"Merkel muss sich distanzieren"

Gleichzeitig verlangte die migrationspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, Kanzlerin Angela Merkel müsse die Angriffe Erdogans persönlich zurückweisen. Die bisherige Äußerung der Kanzlerin, die erklärte hatte, das wäre so nicht nachvollziehbar, hatte Dagdelen kürzlich in einem WDR-Interview als absolut beschämend bewertet. Sie bekräftigte, sie werde sich auch künftig in keiner Weise mit ihrer Kritik an den "faschistischen Praktiken und der terroristischen Politik der türkischen Regierung" zurückhalten.

Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan (Archivbild: dpa)
Die türkisch-stämmigen Abgeordneten verlangen, dass Kanzlerin Merkel Erdogans Äußerungen eindeutig zurückweistBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Türkische Verbände sollen sich klar äußern

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), die ebenfalls bedroht wird, rief die türkischen Verbände in Deutschland auf, eindeutig Position zu beziehen. Der "Bild am Sonntag" sagte die Staatsministerin: "Ich erwarte von den türkischen Verbänden in Deutschland, dass sie die Drohungen gegen uns Abgeordnete deutlich verurteilen und zu einer Versachlichung der Debatte beitragen." Spätestens jetzt sollten alle verstehen, dass "wir zu unserer Herkunft stehen, aber gleichzeitig kein verlängerter Arm der Türkei sind".

Diese Haltung vertritt auch der bedrohte Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir. Der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" sagte er: "Man muss die Resolution nicht gut finden. Aber türkische Organisationen müssen ohne jede Hintertür die Mordaufrufe verurteilen. Da kann es keine zwei Meinungen geben." Und er betonte weiter, wer in Deutschland ernst genommen werden und Religionsunterricht an Schulen abhalten wolle,"der kann nicht nur mit den Zehenspitzen auf dem Boden unserer Verfassung stehen."

DITIB verurteilt Bedrohung der Abgeordneten

Rückendeckung erhielten die beiden Abgeordneten vom Sprecher der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB), Murat Kayman. Dieser stellte klar, die Beschimpfung und Bedrohung von Parlamentariern seien nicht hinnehmbar, sondern entschieden zu verurteilen. Der Koordinator der DITIB Landesverbände betonte, niemand dürfe um sein Leben oder körperliches Wohl fürchten müssen, nur weil er eine andere Meinung habe. "Niemand darf entmenschlicht werden, niemand darf bedroht werden. An diesem Punkt kann es keine Diskussion oder Rechtfertigung geben. Das ist der Minimalkonsens zivilisierten gesellschaftlichen Miteinanders."

Die ebenfalls von den Drohungen betroffene CDU-Abgeordnete Cemile Giousouf erwartet auch von den Sicherheitsbehörden ein konsequentes Handeln. Sie wies darauf hin, dass Drohungen und Schmähungen oftmals eindeutig zuzuordnen seien. Polizei und Justiz müssten hart dagegen vorgehen und die Täter zur Rechenschaft ziehen.

se/kle (bams, kna, afp, wdr)