Deutsches Geschichtsepos: "Werk ohne Autor"
5. Oktober 2018Für ihn sei es das wichtigste Filmfestival der Welt, hatte Florian Henckel von Donnersmarck vor der Weltpremiere seines neuen Films gegenüber der Deutschen Welle gesagt. Das Festival in Venedig sei ein Spiegel der Geschichte, meinte der Regisseur und verwies auf die langjährige Nähe der Biennale zum Faschismus. Ebenso stehe das Festival aber auch für den Aufbruch des Kinos in den 1960er Jahren. Es symbolisiere - auch durch den Goldenen Löwen für den Deutschen Alexander Kluge - das Umbruch-Jahr 1968.
Faschismus und Kunst als große Filmthemen
Florian Henckel von Donnersmarck, der die große Bühne des Films vor zehn Jahren so fulminant mit seinem später oscargekrönten Stasi-Drama "Das Leben der Anderen" betreten hat, startete seinen neuen Film an einem Mittwoch in den Kinos - ein Novum. Aber der 3. Oktober, der Tag der Deutschen Einheit, bot sich natürlich an für diesen selbstbewussten Regisseur und sein gut dreistündiges Filmepos über deutsche Geschichte im Allgemeinen und die Vita des Malers Gerhard Richter im Besonderen.
Sein Film sei aber kein Schlüssel-Werk, bei dem er "nur aus Höflichkeit die Namen verändert habe", sagt von Donnersmarck. Und doch lehnt sich der Film in entscheidenden Momenten an die Biografie des deutschen Malerstars an. Das sorgte nun für Ärger bei dem weltberühmten Künstler. In einem Interview mit der Deutschen Presse Agentur beurteilte Richter den Film als "zu reißerisch", gab aber auch an, dass er den Film gar nicht gesehen habe - lediglich den Trailer.
Im Film heißt der Künstler, dessen Weg der Zuschauer auf der Kino-Leinwand verfolgt, Kurt Barnert. Der wächst während des Zweiten Weltkriegs in Dresden auf, seine geliebte Tante führt ihn in die Welt der Kunst ein, gemeinsam besuchen sie unter anderem eine von den Nationalsozialisten organisierte "Entartete-Kunst"-Ausstellung. Die Tante, psychisch labil, wird später im Rahmen des NS-Euthanasie-Programms von den Nazis ermordet.
"Werk ohne Autor" ist auch eine große Liebesgeschichte
Jahre später erlebt man den jungen Kurt Barnert wieder, inzwischen ist er Kunststudent in der DDR. Mit den tumben Idealen der sozialistischen Kunst kann er sich nicht anfreunden. Trost spendet ihm die junge Ellie, in die er sich verliebt. Was Kurt nicht ahnt: Ellies Vater, inzwischen in Diensten der SED-Ärzteschaft, war während des Nationalsozialismus verantwortlich für den Tod der geliebten Tante.
In einem weiteren Zeitsprung erlebt der Zuschauer dann, wie Kurt mit Ellie in den Westen flüchtet und dort sein Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie fortsetzt. Dort kommt es zu einer Schlüsselszene, in der Professor Antonius van Verten dem jungen Kurt den entscheidenden Anstoß gibt, sich aus vorgefertigten ästhetischen Bahnen zu befreien. Kurt Barnert beginnt, seine ganz persönlichen Erinnerungen künstlerisch umzusetzen. Er greift das Schicksal seiner von den Nazis ermordeten Tante auf. Es entstehen Bilder, die nicht zufällig stark an die Kunst von Gerhard Richter erinnern, formal und inhaltlich.
Der Film erzählt die frühen Jahre des Gerhard Richter nach
Auch Richter feierte 1964 seine erste Einzelausstellung unter dem Titel "Gerd Richter. Fotobilder, Portraits und Familien". Von da an ging es bergauf mit der Karriere des Künstlers, der heute als einer der weltweit wichtigsten und vor allem teuersten Künstler gilt. Die Anfänge bis zum künstlerischen Durchbruch schildert der Film "Werk ohne Autor", dann ist die Geschichte des Kurt Barnert (alias Gerhard Richter) nach 188 Filmminuten zu Ende.
Er habe sich "bei der Zeichnung der Figuren Freiheiten genommen", die er gebraucht habe, um seine Geschichte zu erzählen, sagt Florian Henckel von Donnersmarck. Der Film habe nicht dokumentarisch werden sollen. Drei Stunden großes Kino, deutsche Geschichte in mehreren Etappen, viele bekannte Schauspieler, dramatische Musik und eine an vielen Stellen effektvolle Regie - niemand käme auf die Idee, dass "Werk ohne Autor" dokumentarisch ist.
Aber die Parallelen sind offensichtlich. Nicht nur die Lebensdaten Richters sind nachzuverfolgen, auch einzelne Personen sind bis ins Detail der Realität abgeschaut. So ist beispielsweise der Düsseldorfer Kunstprofessor Antonius van Verten niemand anderes als Joseph Beuys.
Donnersmarcks Blick auf die deutsche Kunst
"Werk ohne Autor" ist Geschichtskino mit mehreren Facetten - ein Film über nationalsozialistische Verbrechen, über ostdeutsche Kunstdoktrin und politische Gängelung in der DDR, ein Film aber auch über den Aufbruch der Kunst in Westdeutschland, über Beuys und die Abstraktion.
"Ich glaube, dass jedes große Kunstwerk ein Stoff gewordener Beweis dafür ist, dass es möglich ist, einen Traum in etwas Positives zu verwandeln", sagt der Regisseur im Hinblick auf eine Aussage von Gerhard Richter. Der hatte auf die Frage, worin die Macht der Kunst bestehe, geantwortet: Er halte das Wort "Macht" für falsch, für ihn habe Kunst keine Macht, sie sei vielmehr da, um Trost zu spenden.
Eine ergreifende Geschichte über das Leid unter den Nazis
Florian Henckel von Donnersmarck hat mit "Werk ohne Autor" ein deutsches Geschichtsepos fürs Kino gefertigt - das allerdings auch seine Schwächen hat. Einige Sequenzen, wie die Szenen in der Düsseldorfer Kunsthochschule, wirken lehrbuchhaft, streberhaft in ihrem Anspruch, möglichst alle damals aktuellen Kunstdebatten abzubilden. Der Film, der ja während seiner über dreistündigen Laufzeit eine Menge zu erzählen hat, wirkt insgesamt überfrachtet. Auch stört die "saubere" Ausstattung vieler Szenen, die man aus so vielen deutschen Kino- und TV-Geschichtsepen kennt. Das "riecht" eher nach Studio, als dass es echtes Leben anschaulich vermitteln würde.
Das ist schade. Denn "Werk ohne Autor", der die deutsche Vorauswahl für den Auslands-Oscar gewonnen hat, bietet auch großartige Szenen, die zu Herzen gehen. Die Geschichte des kleinen Kurt Barnert und seiner Tante wäre alleine einen eigenen Film wert gewesen. Auch die Wiederbegegnung des jungen Künstlers mit dem früheren Nazi-Arzt, der dann sogar zu Kurts Schwiegervater wird, ist ein emotionales, packendes Stück Kino. Die Schauspieler sind grandios, vor allem Tom Schilling in der Hauptrolle überzeugt mit seiner Mischung aus Sensibilität, stiller Wut und Melancholie.
Jan Motjo: "Ein großer Film über Deutschland"
"'Werk ohne Autor' ist ein großer Film über Deutschland - aus Deutschland heraus und für die Welt", sagt Jan Mojto, der den Film mitproduziert hat. Vielleicht deutet diese Aussage an, warum "Werk ohne Autor" nicht in Gänze zu überzeugen weiß. Es ist ein Film, der zu viel erzählen will. Bei den ersten Vorführungen beim Festival für Journalisten gab es lediglich verhaltenen Applaus. Was letztlich das "ganz normale" Kino-Publikum sagen wird, steht auf einem völlig anderen Blatt. Das entscheidet sich nun in den nächsten Tagen und Wochen.