Moderne IRIS-T Flugabwehr für die Ukraine
1. Juni 2022Deutschland will das modernste Flugabwehrsystem, über das es verfügt, in die Ukraine liefern. Dabei handelt es sich um die Lenkrakete IRIS-T, die mit einem Infrarot-Suchkopf ausgestattet ist und mit digitaler Signalverarbeitung und sich ihr Ziel selbständig sucht. Damit werde die Ukraine in die Lage versetzt, "eine ganze Großstadt vor russischen Luftangriffen zu schützen", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag.
Außerdem soll die Ukraine ein Ortungsradar erhalten, um feindliche Haubitzen, Mörser und Raketenartillerie aufzuklären. Mit dieser Ankündigung hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag gegen den Vorwurf zur Wehr gesetzt, zu zögernd, zaudernd und abwartend zu sein und den Beschluss des deutschen Parlaments, der Ukraine schwere Waffen zur Verfügung zu stellen, nicht umzusetzen.
Duell im Bundestag
Der Kanzler in Rage, das ist ein Auftritt, den man von Olaf Scholz selten geboten bekommt. Beherrscht, kühl, mit wenig Mimik und Gestik, so tritt der Sozialdemokrat normalerweise auf. Doch wer ihn beobachtete, während CDU-Chef Friedrich Merz redete, der zugleich Vorsitzender der Unionsfraktion von CDU und CSU ist, der konnte sehen, wie es in Scholz arbeitete. Da saß ein Kanzler auf der Regierungsbank, der mit jeder Attacke des Oppositionsführers angefasster wirkte.
Im Plenum wird in dieser Woche der Bundeshaushalt debattiert. Von Dienstag bis Freitag geht es darum, was die Regierung ausgeben darf, die Etats der einzelnen Ministerien werden auch inhaltlich einzeln abgearbeitet. Eine Ausnahme ist der Mittwoch. Wenn der Haushalt des Kanzleramts ansteht, dann liefern sich Regierung und Opposition eine generelle Aussprache zu aktuellen politischen Themen. Traditionell ergreift der Chef der größten Oppositionsfraktion als Erster das Wort.
Verärgert über den Kanzler
Für Friedrich Merz war es die Gelegenheit zu einer umfassenden Anklage. Vorwurfsvoll listete er auf, was Olaf Scholz seit Wochen auch international vorgeworfen wird: Er zögere, die vom Bundestag am 28. April beschlossenen Waffenlieferungen an die Ukraine umzusetzen. "Mehr als einen Monat nach dieser gemeinsamen Entschließung sind die zugesagten Waffen nicht geliefert worden. Mehr als einen Monat!"
Die Regierung bleibe damit auch hinter den eigenen Ansprüchen der von Scholz am 27. Februar verkündeten "Zeitenwende" immer weiter zurück: "Es verdampft und verdunstet alles, was Sie damals angekündigt haben", so Merz. Auch in der EU gebe es "mittlerweile nur noch Verstimmungen, Enttäuschung über die Rolle Deutschlands und es gibt Verärgerungen über Sie und Ihre Regierung."
Der Oppositionsführer stichelt
Scholz sage lediglich, dass Russland den Krieg nicht gewinnen dürfe und die Ukraine bestehen müsse, so Merz weiter. Aber warum sage er nicht, dass die Ukraine den Krieg gewinnen müsse und sich Russland zumindest hinter die Kontaktlinie von vor dem 24. Februar zurückziehen müsse, stichelte Merz. Der Kanzler telefoniere mit Russlands Präsident Wladimir Putin, habe aber keinen Gesprächstermin für den ukrainischen Parlamentspräsidenten, der diese Woche nach Berlin komme, empörte sich Merz, und fragte: "Gibt es eine doppelte Agenda?"
Würde man die Generaldebatte mit einem Wettkampf vergleichen, dann ging Scholz durchaus angeschlagen in seine Redezeit. Wie sehr ihn die Vorwürfe des Oppositionsführers den Kanzler in Rage versetzt hatten, zeigte sich daran, dass er die dunkelblaue Mappe mit dem Bundesadler, in der sein vorformulierter Text lag, erst einmal beiseitelegte. Für den SPD-Politiker ist das unüblich, er liest längere Reden gerne vom Blatt ab.
Scholz ungewohnt angriffslustig
Mit Vehemenz setzte sich der 63-Jährige zur Wehr. "Das ist doch einfach dahergeredetes Zeug, das Sie da vortragen", brach es aus Scholz heraus. Die Vorwürfe stimmten nicht, sagte er mit Nachdruck und listete dezidiert auf was Deutschland bislang geliefert habe und noch liefern werde: Unter anderem Panzerfäuste, Luftabwehrraketen, mehr als 15 Millionen Schuss Munition, 100.000 Handgranaten, über 5000 Panzerabwehrminen, umfangreiches Sprengmaterial, Maschinengewehre und Dutzende Lastwagenladungen mit sonstigen relevanten Gütern, etwa zur Drohnenabwehr.
Deutschland müsse sich nicht verstecken. Was anderes als die Schützenpanzer "Marder" und die Haubitzen seien denn schwere Waffen, fragte Scholz an Friedrich Merz gewandt. Die Bundesregierung habe eine "mutige Entscheidung" getroffen, mit der Tradition zu brechen, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern.
Ukrainische Soldaten in Kürze "fertig ausgebildet"
Für die 50 Flugabwehr-Panzer vom Typ "Gepard" stünde ausreichend Munition für 1200 Kampfhandlungen zur Verfügung. Beim "Marder" sei ein Ringtausch vereinbart. Auch mit Griechenland gebe es jetzt eine entsprechende Vereinbarung.
Zudem liefere Deutschland in den kommenden Wochen zusammen mit den Niederlanden zwölf Panzerhaubitzen, moderne Artilleriegeschütze mit einer Reichweite von 40 Kilometern. Die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland an den Geschützen werde in wenigen Tagen abgeschlossen sein.
Der Kreml warnt die Nato
Scholz kündigte im Bundestag auch an, dass Deutschland die von den USA geplante Lieferung von Mehrfachraketenwerfern in die Ukraine unterstützen werde. Er betonte aber, dass er wie US-Präsident Joe Biden der Meinung sei, dass die Ukraine mit den gelieferten Waffen auf keinen Fall russisches Territorium angreifen dürfe.
Ein Punkt, der das Dilemma umreißt, in dem alle Staaten stecken, welche die Ukraine militärisch unterstützen. Wie ein Mantra betont der deutsche Kanzler immer wieder, dass die Nato auf keinen Fall in den Krieg hineingezogen werden darf. Wenn Russland mit Nato-Waffen beschossen würde, könnte aber genau das die Konsequenz sein.Immer wieder warnt der Kreml davor, dass schwere Waffen als direkte Bedrohung angesehen würden.
"Konzertierte Aktion" gegen Preissteigerungen
Der Krieg in der Ukraine dominierte die Rede des Kanzlers in der Generaldebatte nicht nur außen-, sondern auch innenpolitisch. Die Energie- und Rohstoffpreise steigen, Scholz warnt vor einer "dauerhaften Entwicklung mit zu hohen Inflationsraten". Die Regierung hat Entlastungen beschlossen: Von Juni bis August kann man für neun Euro pro Monat mit Bussen und Bahnen fahren, an den Tankstellen gibt es Rabatt.
Dass das nicht ausreichen wird, zog sich wie ein roter Faden durch die Generaldebatte. Olaf Scholz kündigte eine "konzertierte Aktion" gegen die Preissteigerungen an und erinnerte an das Jahr 1967, als der damalige Wirtschaftsminister Karl Schiller Vertreter von Regierung, Bundesbank, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften in einer vergleichbaren Lage an einen Tisch holte, um sich abzustimmen.
Die Sozialpartner und der Staat hätten in Deutschland "eine lange Tradition, in solchen Lagen eng für das Gemeinwohl zusammenzuarbeiten", so der Kanzler. Gleichwohl müsse man wissen, dass ein solcher Abstimmungsprozess nicht auf Dauer angelegt sein dürfe. Lohnverhandlungen werde es dort auch nicht geben.