DFB-Frauen: über Sicherheit zum Mut
11. April 2022Aggressives Anlaufen, schnelles Gegenpressing, Tiefenläufe auf die Grundlinien der Gegnerinnen. Es sind diese Dinge, die Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg von ihren Spielerinnen in der DFB-Elf sehen will. Und das klappt bisher wunderbar: 34 Tore wurden in den ersten sieben Spielen der Qualifikation zur WM 2023 erzielt. Dabei gab es nur zwei Gegentore und alle Partien wurden gewonnen. Die Qualifikation für das Turnier in Australien und Neuseeland war nie ernsthaft fraglich.
Aber das ist nur eine Wahrheit, denn die WM-Quali-Siege gegen Portugal, Bulgarien, Serbien und Israel sind allesamt gegen Gegnerinnen erzielt worden, die nicht auf dem Top-Level des Frauenfußballs agieren können. Geht es wie beim hochklassig besetzten Arnold Clark Cup gegen Top-Gegnerinnen wie Spanien, Kanada oder England, hat die DFB-Elf in diesem Jahr noch keinen Sieg aufzuweisen und teilweise enorme Probleme, ihr Spiel aufzuziehen.
Popp und Maroszán zurück
Da Die Europameisterschaft in England aufgrund der Corona-Pandemie um ein Jahr nach hinten in den Sommer 2022 verlegt werden musste, ist die WM-Qualifikation für Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg und ihr Team auch gleichzeitig die Vorbereitung zur Europameisterschaft im Sommer. Und diese wird immer wieder von corona-bedingten Ausfällen gestört. "Es hilft uns nicht zu jammern. Wir versuchen umso mehr, die Spielerinnen, die da sind, ein Stück weiter zu bringen", wiederholte die Bundestrainerin zuletzt in gebetsmühlenartiger Manier.
Für die zwei Partien gegen Portugal (3:0 am 9. April in Bielefeld) und Serbien (12. April in Belgrad) fielen mit Sydney Lohmann und Lena Lattwein kurzfristig zwei Startelfkandidatinnen aus. Dafür kehrten mit Alexandra Popp (nach langer Knieverletzung) und Dzsenifer Maroszán (nach Nationalmannschaftspause wegen des Reiseaufwands während ihres Engagements in den USA) zwei erfahrene Nationalspielerinnen ins Team zurück.
Prinzipien verstehen
Unabhängig vom Personal erwartet die Bundestrainerin von ihrem Team, dass Gegnerinnen früh attackiert und am Spielaufbau gehhindert werden und bei Ballverlusten sofort auf Gegenpressing umgeschaltet wird. Dies versucht die Bundestrainerin spätestens seit dem schmerzlichen WM-Viertelfinal-Aus 2019 in Frankreich konsequent in einem 4-3-3-System mit hängenden Flügelstürmerinnen. Am wichtigsten ist für Voss-Tecklenburg, dass alle Spielerinnen das Prinzip ihres Fußball-Konzepts verstehen.
"Wir arbeiten daran, dass alle Spielerinnen, die die Chance haben, zur EM zu fahren, unsere Spielprinzipien verstehen und sich damit identifizieren." Für Voss-Tecklenburg ist es wichtig, "dass alle das Gefühl haben: 'Ich weiß, was ich hier zu tun habe und was meine Aufgabe ist.'" Dabei dürfe es keine Rolle spielen, ob die Spielerinnen zwei- oder zehnmal miteinander in der Nationalmannschaft gespielt haben. "Diese Verantwortung müssen wir an die Spielerinnen weitergeben, das wollen wir im Spiel sehen. Und zwar in beide Richtungen. Wir haben immer unsere Offensiv- und Defensivthemen“, sagte die Bundestrainerin nach dem Sieg über Portugal in der ARD.
Offensichtliche Problembereiche
Doch klappt das, was gegen Portugal oder Bulgarien gut funktioniert hat, auch gegen große Gegnerinnen? Beim Arnold-Clark-Cup im Februar lautete die Antwort: nein! Die Gegnerinnen wirkten spritziger, wichtige Zweikämpfe wurden zu selten gewonnen, es fehlte die nötige Präzision im letzten Pass und Chancen wurden überhastetet abgeschlossen. Qualitativ hochwertige Gegnerinnen setzten der DFB-Elf ein ähnliches Spielkonzept und damit teilweise große Probleme entgegen - ganz im Gegensatz zu den schwächer einzustufenden Gegnerinnen in der WM-Qualifikation, gegen die für das DFB-Team meist alles aufging.
Immerhin zeigten die Spiele beim Einladungsturnier in England, bei dem Voss-Tecklenburg aufgrund von Corona-Infektionen gleich auf 14 Spielerinnen verzichten musste, offen, woran es dem deutschen Team mangelt: an Lösungen unter Druck und an individueller Durchsetzungsfähigkeit. Dass der Lerneffekt in Testspielen gegen hochwertige Gegnerinnen höher ist als gegen schwächere, ist kein Geheimnis. Doch diese hochwertigen Tests stehen der Mannschaft aufgrund des straffen Post-Corona-Spielplans nur bedingt zur Verfügung. Die Schlüsselfrage im Moment ist also: Hat die DFB-Elf während der souveräne WM-Quali genügend Selbstvertrauen und Spielpraxis aufgebaut, um in Duellen mit den nominell besseren Teams aus England, Frankreich oder Spanien bestehen zu können?
Letzter Testlauf gegen Serbien
Mit einem Sieg in Serbien (Dienstag 16 Uhr MESZ) kann das DFB-Team bereits das Ticket für die WM 2023 lösen. Das Hinspiel gegen Serbien gewannen die deutschen Frauen mit 5 zu 1, doch das Endergebnis täuschte über eine schlechte erste Halbzeit, in der das Team gegen körperlich starke Serbinnen früh in Rückstand und aus dem Konzept geriet, hinweg.
"Da waren wir im Hinspiel vielleicht noch nicht so sicher, wann wir wo anlaufen, wann wir in der Kompaktheit bleiben. Das hat auch was mit Mut zu tun. Mut gewinnst du nur über Sicherheit", betont die Bundestrainerin vor dem Spiel in Serbien und sieht ihre Mannschaft im Vergleich zum Hinspiel weiterentwickelt.
Doch wieder ist die Personalsituation angespannt: Im achten WM-Quali-Spiel werden absprachegemäß die Torschützinnen aus dem Spiel gegen Portugal, Felicitas Rauch und Klara Bühl, sowie die angeschlagene Almuth Schult nicht dabei sein. Giulia Gwinn dürfte für Rauch auf der Linksverteidigerinnen-Position starten und Jule Brand für Klara Bühl auf dem linken Flügel.
Also wieder ein wenig Personalrochade. Doch für das EM-Turnier könnte dies der DFB-Elf am Ende vielleicht sogar einen Vorteil in Sachen Flexibilität bringen, wenn eventuelle Ausfälle kompensiert werden müssen. "Und deshalb wissen wir, dass erstmal wieder die Mentalität stimmen muss. Und wenn die dann stimmt, kommen die anderen Dinge vielleicht etwas leichter dazu", sagte die Bundestrainerin. Am Besten mit der eingeforderten Sicherheit über den offensiven Mut zur spielerischen Dominanz.