Dialog der Religionen zur Friedenssicherung
6. September 2022"Interreligiöse Arbeit", sagt Azza Karam, "ist nicht optional, sondern zwingend notwendig." Sie diene bei humanitären Einsätzen dazu, allen Formen von Diskriminierung entgegenzuwirken. Karam wirbt für das gemeinsame Engagement verschiedener Religionen.
Die gebürtige Ägypterin lebt seit langem in den USA und ist seit 2019 Generalsekretärin von "Religions for Peace" (RfP). Bei der Vollversammlung des Weltkirchenrats in der Stadt Karlsruhe, im Südwesten von Deutschland, warb sie für mehr interreligiöses Miteinander. Das sei "auch keine Raketenwissenschaft". Religions for Peace sei bereit und in der Lage, Partner des Weltkirchenrats zu werden, um das multireligiöse Element zu stärken.
In Karlsruhe sind bis Donnerstag (8. September 2022) mehr als 3500 Teilnehmende aus 350 Kirchen und 120 Ländern versammelt. Vom Bild her ist es schon eine Welt für sich: orthodoxe Geistliche mit langen Bärten und traditionellen Gewändern, geistliche Frauen aus den Kirchen der Reformation, indigene Kirchenvertreter aus Ozeanien oder vom Amazonas.
Mehr Miteinander gegen Gewalt und Hass
Kirchen begründeten diesen Zusammenschluss 1948 im niederländischen Amsterdam. "Religions for Peace", 1970 im japanischen Kyoto ins Leben gerufen, bezeichnet sich selbst als "weltweit größte multireligiöse Nichtregierungsorganisation". Sie hat 90 nationale und sechs regionale Räte, beispielsweise in Asien oder Europa.
In den vergangenen 25 Jahren ist die Bedeutung des Gesprächs der Religionen gewachsen - nicht erst seit den islamistisch motivierten Terroranschlägen vom 11. September 2001, aber durch diese verstärkt. Auch in Karlsruhe berichten gerade kirchliche Vertreter aus Asien oder Afrika, den religiösen Boom-Gegenden der Welt, vom Miteinander - oder auch von Gewalt und Hass, beispielsweise in Nigeria.
Der interreligiöse Dialog habe "in pluralen Gesellschaften eine sehr hohe Bedeutung", sagt die Vorsitzende von RfP Deutschland, Elisabeth Naurath, in Karlsruhe der Deutschen Welle. "Wir begegnen überall Menschen aus anderen Nationen, Kulturen, Religionen. Deshalb ist es für den sozialen Frieden so wichtig, dass wir von klein auf lernen, auch interreligiös orientiert zu sein. Das heißt, andere Religionen zu kennen, aber auch dialogfähig zu sein." Dazu gehöre die Fähigkeit zur Pluralität, also zur Offenheit für die Verschiedenheit von Menschen.
Neuer Schwung mit Erklärung zum Weltethos
Das sei, so die Augsburger Religionspädagogin, auch außenpolitisch sehr wichtig, weil nicht in Deutschland, aber in globaler Betrachtung die Religionen wüchsen. Da brauche es die Fähigkeit und den Willen, "miteinander im Dialog zu sein, um einander kennenzulernen und um letztlich auch Frieden miteinander zu fördern".
Auf Weltebene nahm der interreligiöse Dialog in der Moderne Schwung auf mit dem "Weltparlament der Religionen" im September 1993 in Chicago, lange vor 9/11. Dort trafen sich rund 6500 Vertreter der verschiedensten großen und kleineren Religionen.
Sie verabschiedeten eine Erklärung zum Weltethos, die der Schweizer Theologe Hans Küng (1928-2021) vorbereitet und beworben hatte. Darin formulierten die verschiedenen Religionen einen Basiskonsens an Werten und Maßstäben: unter anderem Gewaltlosigkeit, Gleichberechtigung, ökologische Verantwortung. Viel weiter ist man auch heute nicht. Die Breitenwirkung ist gleichwohl kaum zu überschätzen. Küng gilt global als bekanntester katholischer Theologe seiner Zeit.
Heute tagt alle paar Jahre das "Weltparlament der Religionen", zuletzt 2018 in Toronto und dann 2021 online. Parallel laufen "Religions for Peace", zuletzt 2019 in Lindau und 2023 eventuell in Asien sowie einige kleinere Initiativen. Der Terror von 2001 brachte das Thema verschärft in den Blick. Aber so mancher Impuls versandete. Einzelne Organisationen, die nach dem Terror des 11. September gegründet wurden, verschwanden bald wieder. Andere muten durchaus seltsam an. So tagte Anfang August im südkoreanischen Seoul eine Konferenz der "Universal Peace Federation", bei der aus verschiedenen Ländern diverse abgehalfterte Politiker konservativer Prägung auftraten.
Kein Weltfrieden ohne Religionsfrieden
Karl-Josef Kuschel, der lange an der Universität Tübingen Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs lehrte, sieht vor allem in Chicago 1993 einen historischen Schritt. Letztlich sei mittlerweile der Grundsatz von Küngs Projekts Weltethos akzeptiert und bekräftigt worden, dass es keinen Weltfrieden ohne Religionsfrieden und keinen Religionsfrieden ohne interreligiösen Dialog gebe, sagt er der Deutschen Welle. Seitdem gebe es von unterschiedlichen Seiten eben viele Konferenzen.
Und eine wachsende politische Dimension. Einerseits hat die internationale Politik außenpolitisch das Thema entdeckt. Eine Reihe von Ländern hat in seinen Außenministerien Abteilungen für den interreligiösen Dialog geschaffen oder die Rolle der Religion für Außenpolitik erkannt. Auch Deutschland nimmt, seitdem Frank-Walter Steinmeier Außenminister war, dieses Thema in den Blick.
Andererseits verschieben sich die Gewichte. Über Jahrzehnte waren die USA und Japan zentrale Regionen des interreligiösen Gesprächs. Hinzu kam Europa. Seit einer Reihe von Jahren engagieren sich besonders die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Auch die RfP-Weltkonferenz in Lindau hatte wohl ein Angebot aus Abu Dhabi, den Gastgeber zu machen. Dort entsteht ein Dialogzentrum für das religiöse Gespräch, das den Anspruch auf Beteiligung verkörpert.
Seit dem sensationellen Besuch von Papst Franziskus im Februar 2019 und dem "Dokument über die Geschwisterlichkeit aller Menschen" hat Abu Dhabi auf der Weltkarte des religiösen Dialogs einen festen Platz. Franziskus kam gemeinsam mit dem sunnitischen Scheich Ahmed al-Tajjib, Großimam der Al-Azhar-Universität in Kairo, auf die arabische Halbinsel. Später bekam selbst die Annäherung der Emirate, Bahrains und Israels im September 2020 mit der Bezeichnung "Abrahams Accord Deklaration" einen religiösen Touch.
Der Jerusalemer Benediktiner Nikodemus Schnabel arbeitete zwischenzeitlich im Auswärtigen Amt in Berlin mit, im Jahr 2019. Die Frage nach der Gesellschaftsverantwortung von Religion stehe heute an, sagt er. Nach seinem Eindruck seien die Religionen auch bereit zu sagen "Ja, challenge accepted, wir nehmen die Herausforderung an."
Ein Aha-Moment der Religionen
Anders als bei der ökumenischen Annäherung der Kirchen gebe es im interreligiösen Dialog noch wirklich ein "neu entdecken und aufeinander zu gehen", zeigt sich Schnabel überzeugt. Das gelte weniger für das bereits etablierte Gespräch von Christen, Juden und Muslimen. "Das derzeit neue ist der Aha-Moment in der globalisierten Welt mit Religionen".
Der Benediktiner nennt die asiatischen Religionen, Buddhismus und Hinduismus, Shintoismus und Konfuzianismus sowie verschiedene indigene Religionen. Man lerne einander kennen, und man lerne miteinander, auf die globalen gesellschaftlichen Herausforderungen zu schauen, den Klimawandel und die Bewahrung der Schöpfung, den Umgang mit Flucht und Migration. "Eigentlich haben alle Religionen die Demut vor dem Schöpfer und werden also zur Rechenschaft gezogen, wie sie mit der Erde umgehen", so Schnabel.
Aber Kuschel sieht ein Grundproblem der großen Dialogbühnen: "Die Statements solcher Veranstaltungen bleiben entweder bei der Rezeption der Eliten stecken oder werden gleich schubladisiert." Es fehle die Weitergabe an die jeweilige Basis. Kuschel spricht von der Gefahr des "window dressings". Man nutze die Gelegenheit, um sich als dialogfähig in Szene zu setzen, "aber tut nichts, um die Bedeutung von Dialog und Bewegung weiterzuvermitteln." So blieben viele Begegnungen an der Oberfläche.
Dialoge leiden unter eisernen Gegenwind
Und Kuschel sieht neue Hürden durch die "radikal veränderte Weltlage". Über Jahrzehnte lang habe die interreligiöse Bewegung Rückenwind gehabt. Ihre Impulse seien von UN-Konferenzen oder vom Club of Rome aufgegriffen worden. Die Pandemie, das Erstarken der Populisten, die Aggression Russlands bedrohten nun jedes regelbasierte und dialogorientierte Modell. "Den Religionen im Dialog weht der Wind eisern entgegen." Aber die Idee sei nicht überholt, man müsse sich nur einsetzen und Angriffen widerstehen.
Vielleicht schauen viele deshalb gespannt auf einen weiteren Höhepunkt dieses Jahres beim Dialog der Religionen. Am 14. und 15. September steigt in Nur-Sultan, der Hauptstadt Kasachstans, der siebte "Kongress der Führer der großen und der traditionellen Religionen". Auch Papst Franziskus will daran teilnehmen. Wegen dessen Reise und der langen Spekulationen, ob Franziskus dort den russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill treffe, nimmt die Weltöffentlichkeit diesen Termin nun wahr.
Seit rund 20 Jahren organisiert Kasachstan solche Konferenzen, jedes Mal nehmen Repräsentanten aus zahlreichen Ländern teil. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 hat ein solcher Termin ein anderes Gewicht, wenn es um Dialogpartner oder Friedensbündnisse geht.
Schon in den Schulen Feindbilder verhindern
Bei allen globalen Events wirbt Elisabeth Naurath in Karlsruhe vor allem für den interreligiösen Ansatz an der Basis, bei dem jede Kirche mitmachen könne. Dort müsse interreligiöses Lernen beginnen. Sie selbst bietet an der Universität Augsburg einen Studiengang für Religions-Lehrkräfte mit dem Titel "Interreligiöse Mediation".
Angehende Lehrerinnen und Lehrer, Christen, Juden, Muslime, lernten dort, mit anderen Religionen ins Gespräch zu kommen, "und tragen das an ihre Schulen. Meine Vision ist, dass sie den Kindern solche Kenntnisse weitergeben, Dialogfähigkeit vermitteln und die Entstehung von Feindbildern verhindern".