1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Skandale der Boy Scouts

Janosch Delcker, Washington14. Dezember 2012

Die traditionsreiche Pfadfinder-Organisation der USA ist ins Straucheln geraten. Ihre Kritiker kommen auch aus den eigenen Reihen - ein Symptom für ein Land, das sich rasend schnell verändert.

https://p.dw.com/p/172Cq
Boy Scouts of America (Foto: picture alliance)
Bild: picture alliance/ZUMA Press

In der Schatulle vor Michael Weber klafft eine Lücke. Bis vor kurzem lag hier noch das Abzeichen, das Weber bei seiner Beförderung zum Eagle Scout bekommen hatte. So heißt der höchste Rang der amerikanischen Pfadfinder. "Ich war ziemlich stolz über das Abzeichen damals", erinnert er sich, "die Boy Scouts stehen schließlich dafür, rechtschaffene Männer heranzuziehen." Doch aus Protest hat Weber jetzt sein Abzeichen zurückgeschickt, gemeinsam mit einem Brief, in dem er der Organisation seinen Austritt mitteilt.

Seit hundert Jahren gibt es die traditionsreichen Boy Scouts, seitdem sollen 110 Millionen Amerikaner die Pfadfinder-Ausbildung durchlaufen haben. Zuletzt haben die Boy Scouts allerdings durch zwei Skandale von sich Reden gemacht: Zum Einen belegen interne Dokumente, dass in der Vergangenheit mehrfach Kindsmissbrauchsfälle vertuscht worden sein sollen. Die Boy Scouts ordneten eine Untersuchung an. Nach einem Gerichtsurteil gaben sie im Oktober 2012 außerdem mehr als tausend der vertraulichen Dokumente frei. "Wir haben aus dieser Tragödie wichtige Lektionen gelernt", erklären die Boy Scouts auf DW-Anfrage. "Mittlerweile verlangen wir sowohl bei ehrenamtlichen Betreuern als auch Angestellten Background-Checks, und haben sehr strenge Sicherheitsrichtlinien."

Homophobe Grundsätze 

Daneben beschäftigt die Boy Scouts ein zweiter Skandal, der sie in finanzielle Nöte bringen könnte. Eine homophobe Praxis, die lange Zeit von der Gesellschaft stillschweigend akzeptiert wurde, stößt auf immer mehr Kritik: Die Organisation schließt jugendliche Mitglieder und erwachsene Mitarbeiter aus, die sich zu ihrer Homosexualität bekennen. Die Boy Scouts sind eine private Organisation; als solche haben sie in den USA das Recht, selbst über die Zusammensetzung ihrer Mitglieder zu entscheiden. Im Sommer 2012 bekräftigte daher ein Komitee der Boy Scouts: Alles bleibt beim Alten, auch weiterhin werden bekennende Homosexuelle aus den Reihen der Pfadfinder ausgeschlossen.

Michael Weber lebt mit seiner Verlobten und zwei Katzen im Souterrain eines Einfamilienhauses am Stadtrand von Washington DC. "Diese Praxis betrifft mich nicht", sagt der 26-Jährige. "Aber akzeptieren will ich sie trotzdem nicht." Die amerikanische Gesellschaft sei in den letzten Jahren deutlich liberaler geworden. Bei der Präsidentschaftswahl im November haben sich die Wähler in vier Volksentscheiden zugunsten der gleichgeschlechtlichen Ehe ausgesprochen. Auch Präsident Obama unterstützt mittlerweile öffentlich die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen. "Das Verhalten der Boy Scouts ist reaktionär", sagt Weber, "anstatt liberaler zu werden, wie der Rest der Gesellschaft, halten sie fest an ihren homophoben Grundsätzen."

Michael Weber, ein ehemaliger Boy Scout of America (Pfadfinder), der aus Protest sein Abzeichen zurückgegeben und aus der Organisation ausgetreten ist. Er lebt am Rand von Washington D.C. Foto: Janosch Delcker / DW, Dezember 2012
Michael Weber hat aus Protest sein Abzeichen zurückgegeben und ist aus der Organisation ausgetreten.Bild: DW/J. Delcker

Öffentlicher Druck auf Spender

"Die Einstellung der Organisation hinkt hinter der Einstellung ihrer Mitglieder hinterher; genauso war es auch, als es darum ging, ob Afro-Amerikaner oder Frauen Mitglieder der Boy Scouts werden dürfen", sagt auch Zach Wahls. Den Telefonanruf nimmt Wahls aus einem Hotelzimmer im konservativen Texas entgegen. Hier hat der 21-Jährige gerade vor hunderten Studenten darüber gesprochen, wie er als Sohn zweier lesbischer Mütter aufwuchs. Bekannt wurde Wahls vor zwei Jahren durch ein Youtube-Video mit seinem Plädoyer vor dem Abgeordnetenhaus in Iowa. Mittlerweile hat er ein Buch veröffentlicht und tourt durch die USA. Und er hat gemeinsam mit drei Kollegen die Dachorganisation "Pfadfinder für Gleichberechtigung" ("Scouts for Equality") gegründet. Ihr Ziel: Die Gleichstellung von Homosexuellen bei den Boy Scouts. Öffentlichkeitswirksam tritt Wahls in seiner Eagle-Scout-Uniform auf und veranstaltet Kampagnen in sozialen Netzwerken. Eine Online-Petition wurde bereits über 150,000 Mal unterschrieben.

Wahls weiß, wo die Organisation am verletzlichsten ist: bei ihren Finanzen. Denn neben ehrenamtlicher Unterstützung und Mitgliedsbeiträgen finanziert sich der Dachverband zu einem großen Teil durch Firmenspenden. "Zuletzt sind wir auf Firmen zugegangen, die die Boy Scouts finanziell unterstützen", formuliert er vorsichtig, "wir wollten gemeinsam mit ihnen auf Nummer Sicher gehen, dass ihre Spendenpraxis auch ihren Firmenrichtlinien entspricht, die sexuelle Diskriminierung größtenteils verbieten." Die wichtigen Geldgeber Intel und UPS haben ihre Spenden an die Boy Scouts mittlerweile eingestellt. Wahls sagt, sie seien noch in Kontakt mit weiteren Geldgebern.

Zach Wahls in der Uniform der Boy Scouts of America Credits: Christine Irvine Zulieferer: Janosch Delcker
Zach Wahls in der Uniform der Boy Scouts of AmericaBild: Christine Irvine

Institution soll bestehen bleiben

Genau wie Michael Weber will Wahls nicht als Gegner der Boy Scouts verstanden werden. "Es ist traurig zu sehen, wie die Boy Scouts Unterstützer verlieren und sich immer weiter isolieren", sagt Wahls. Sollte er einmal einen Sohn haben, wolle er ihn zu den Pfadfindern schicken, sagt er.

Und die Boy Scouts selbst? Interviewanfragen beantworten die Pfadfinder nur schriftlich. Wenn man nach ihren Kritikern fragt, verweisen sie darauf, dass sie über eine Million Mitglieder haben: "Während die Mehrheit unserer Mitglieder mit unserem Vorgehen übereinstimmt, wird es nie eine Linie geben, die alle Ansichten unserer Mitglieder oder unserer Gesellschaft vertritt." Michael Weber schüttelt mit dem Kopf: "Keiner von uns will, dass die Boy Scouts ihre Wertvorstellungen aufgeben, wir wollen auch nicht, dass neue Werte eingeführt werden", sagt er. "Wir bitten die Boy Scouts nur, mit ihren Werten im 21. Jahrhundert anzukommen."