Schwarzes Schaf
14. Oktober 2007Am 21. Oktober wird ein neues Bundesparlament gewählt. Bis dahin erlebt die Schweiz einen Wahlkampf, den man so aggressiv, so polarisierend in dem auf Konsens angelegten politischen System bisher nicht kannte: Normal ist in der Schweiz eine eher betuliche Auseinandersetzung - schließlich muss man danach wieder in der traditionellen Super-Koalition aller großen Parteien zusammenarbeiten. Diesmal aber gab es Beleidigungen, Intrigen, Komplotte und eine Straßenschlacht, den "Tiefstand politischer Unkultur", wie es der Intellektuelle Adolf Muschg ausdrückte, einen Wahlkampf, der "Spuren in der Politik" hinterlassen wird, wie die sozial-demokratische Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey meint.
Dabei geht es der Schweiz so gut: Arbeitslosigkeit kennt man kaum, der Lebensstandard und die Löhne sind weit höher als in den Nachbarländern. Christoph Blocher versteht es trotzdem, Ängste zu mobilisieren. Der Milliardär ist Justizminister und Vorsitzender der Schweizer Volkspartei SVP - eine früher kleine Bauernpartei, die er bei der letzten Wahl mit rund 27 Prozent zur stärksten Fraktion im Berner Bundesparlament gemacht hat. Sein Programm: Gegen "die da oben", gegen EU und UN, für Steuersenkungen, für die nationale Unabhängigkeit - und vor allem gegen Ausländer.
Die Sache mit den Schafen
In diesem Wahlkampf wird die Schweiz mit einer perfiden SVP-Kampagne überzogen. Ein Plakat (siehe Titelbild) zeigt beispielsweise einen Ausländer als "schwarzes Schaf", das von einem weißen, also schweizerischen Schaf mit einem kräftigen Tritt in den Hintern hinausbefördert wird. Das Motiv ist auch im Shop der SVP-Website auf T-Shirt und sogar Krawatte zu finden. Einen Klick weiter geht es zum Online-Spiel "Zottel rettet die Schweiz": Ein heimattreuer Geißbock rammt die anströmenden schwarzen Schafe zurück über die Grenze.
20 Prozent aller Arbeitnehmer in der Schweiz sind Migranten, der Ausländeranteil ist mit der höchste in Europa. Schon heute gilt aber auch das Einbürgerungsgesetz als das härteste Europas, das Asylgesetz wurde schon 2006 erheblich verschärft. Der SVP geht das längst nicht weit genug: Sie will kriminelle Ausländer "ausschaffen", bei jugendlichen Delinquenten soll gleich die ganze Familie abgeschoben werden. Der Bau von Minaretten soll verboten, das Antirassismusgesetz abgeschafft werden.
"Schande für die Schweiz"
"Qualitativ ist das nichts Neues", meint Oliver Geden von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, der über das Phänomen Rechtspopulismus forscht. "Neu ist nur, dass dies im Ausland jetzt wahrgenommen wird." Tatsächlich schaffte es die Schweiz sogar auf die Titelseite der "New York Times" - zum ersten Mal seit den Skandalen um die eingezogenen jüdischen Vermögen und den Holocaust 1994. Anlass waren die Krawalle von Bern Anfang Oktober - ein Ausbruch von Gewalt, wie ihn die Schweiz im Wahlkampf noch nie erlebt hatte: Autonome zerschlugen Infostände der SVP, Schaufensterscheiben gingen zu Bruch, es gab Verletzte. Blocher sprach von einer "Schande für die Schweiz"- und konnte in den Umfragen danach nochmals Prozente zulegen.
Die Welt sieht aber eher Blochers Wahlkampf als eine Schande für die Schweiz. "Die ausländische Presse widmet den SVP-Schafen, der Ausschaffungs- und Minarett-Kampagne längere Artikel, ganzseitige Reportagen und sogar Titelgeschichten", wie die "Neue Zürcher Zeitung" leicht verwundert feststellt. Tatsächlich ist das europäische Echo auf den Wahlkampf denkbar schlecht: Die britische Zeitung "The Independent" schreibt beispielsweise von der Schweiz als "Europas Herz der Finsternis" und vergleicht die Pläne zur Ausweisung von Familien mit der Sippenhaft der Nazis. Selbst der UN-Sonderberichterstatter für Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung, Doudou Dienne, brandmarkte den Wahlkampf als "rassistisch und fremdenfeindlich".
Bundespräsidentin Calmy-Rey warnte schon vor einem teuren Image-Schaden der Schweiz. Das Wohl des Landes sei gefährdet, immerhin verdiene die Schweiz einen von zwei Franken im Ausland. Laut Calmy-Rey werden die Schweizer Botschafter im Ausland befragt. "Sie fragen uns, was sie antworten sollen."
Die SVP ficht hingegen die Kritik nicht an. Ein Partei-Sprecher verbat sich die Reaktionen aus dem Ausland als Einmischung in Schweizer Angelegenheiten. Sie kann ja auch auf neue Freunde zählen: Die NPD kopierte das SVP-Plakat mit den schwarzen Schafen für den Landtagswahlkampf in Hessen.