Die Formel 1 der Mode
6. Juli 2004
"Haute Couture, das sind von Generation zu Generation im Flüsterton weitergegebene Geheimnisse." Sagt Yves Saint Laurent. Der einflussreiche und hoch dekorierte Stardesigner hat sich allerdings inzwischen aus dem Geschäft mit den Luxusroben zurückgezogen. Viele seiner Kollegen und Konkurrenten auch. Die Zeiten, in denen sich die Damen von Welt die sündhaft teuren, handgenähten Modelle im Dutzend aus den Pariser Modehäusern kommen ließen, sind vorbei. Was bleibt von der Haute Couture – der "hohen Schneiderkunst" – ist der Wert der jeweiligen Marke.
Vorbild
"Mode ist so unerträglich hässlich, dass wir sie alle Halbjahre ändern müssen", ätzte der irische Dandy und Schrifsteller Oscar Wilde. Und er meinte damit nicht die Haute Couture, sondern die Pret-á-Porter-Kollektionen, also die Konfektionsmode. Für die ist die Haute Couture nach wie vor Ideengeber und Trendsetter. Und idealer Werbeträger: Im Schlepptau ihrer Edelgewänder verkaufen viele Häuser heutzutage Mode von der Stange, Kosmetik, Parfüm und Accessoires. Die klassische Haute Couture macht zwar nur noch drei Prozent des Gesamtumsatzes aus, aber: "Die Kosten einer solchen Kollektion sind geringer als die für eine weltweite Werbekampagne", rechnet Didier Grumbach, Präsident des französischen Modeverbandes Fédération Francaise de la Couture, vor. Zwischen 500.000 und fünf Millionen Euro investieren die Labels in ihre Haute-Couture-Präsentationen von durchschnittlich 20 Minuten Länge.
Konzentration auf das Wesentliche
In seinen Glanzzeiten in den 1950er Jahren hatte Paris 23 Haute-Couture-Häuser. Jetzt sind nur noch sieben übrig: Chanel, Torrente, Christian Dior, Christian Lacroix, Jean-Louis Scherrer, Jean-Paul Gaultier und Dominique Sirop. Die 78-jährige Japanerin Hanae Mori zeigt am 7. Juli ihre letzte Kollektion. "Die Haute Couture antwortet nicht mehr auf die Erwartungen der Frau von heute", erklärte Emanuel Ungaro vor wenigen Monaten in seinem Abschiedskommuniqué. Der 71-jährige Designer setzt stattdessen auf Prêt-à-porter Kollektionen. Seit 1996 wird das Modehaus ohnehin von der italienischen Gruppe Salvatore Ferragamo – einer Nobelmarke für Schuhe, Taschen, Accessoires, Uhren und Parfüm – kontrolliert. Christian Dior, Christian Lacroix und Givenchy gehören zum weltgrößten Luxuskonzern LVMH (Louis Vuitton Moét Hennessy). Das 150 Jahre alte Unternehmen verkauft Haute Couture in ausgesuchten Boutiquen, macht aber seinen Hauptumsatz mit Wein, Spirituosen, Konfektionsmode und Lederwaren.
Hermès, das Nobellabel für Accessoires und Parfüm, hält 35 Prozent der Aktien des Modehauses Jean-Paul Gaultier. Yves Saint Laurent wurde von Sanoli aufgekauft, Jean-Louis Scherrer von Seibu aus Japan. Nach 30 Jahren Arbeit auf eigene Rechung verließ Scherrer das Haus. Auch Versace konzentriert sich derzeit lediglich auf die Prêt-à- Porter-Schauen. Nach einer negativen Bilanz im Jahr 2002 fehlt für die kostspielige Haute Couture schlicht das Geld. Das 1914 gegründete Modehaus Balmain hat bereits Konkurs angemeldet, hofft aber auf ein Fortbestehen, "vor allem, seit wir die Verhandlungen mit anderen Investoren aufgenommen haben". Givenchy kann derzeit nichts präsentieren, da sie nichts haben: Das Haus sucht händeringend ein Nachfolger für seinen ehemaligen britischen Chefdesigner Julien Macdonald.
Der Anschein tut's auch
"Ich bin der Arzt der Linien des Körpers", definierte Madeleine Vionnet, Grand Dame der französischen Modeszene und Weggefährtin von Coco Chanel, ihre Arbeit. Haute-Couture-Kleider sind Einzelstücke, Standard ist tabu: Haute Couture macht Hängeschultern schön, kaschiert den Schwanenhals, zaubert ein perfektes Dekolleté. Ein Tageskleid kostet um die 15.000 Euro, eine Abendrobe ab 35.000 Euro aufwärts. Aber ist es das wert? Auch unter den Superreichen ist Geiz inzwischen geil. In kleinen unscheinbaren Schneiderateliers kann man sich die aktuelle Kollektion kostengünstig kopieren lassen. Das Internet bringt die Fotos der Modelle direkt vom Laufsteg auf die Schneidertische der Kopisten. Und in die Designabteilungen der Bekleidungsketten. Didier Grumbach beklagt zwar die "Beutezüge" von Massenlabels wie Zara oder H&M - aber dagegen tun kann er nichts.