Die Basis hat die Wahl
9. September 2016Wie mühsam Basisdemokratie zuweilen sein kann, wissen die Grünen nur zu gut. Wenn die Basis nicht mitzieht, fliegt dem Parteivorstand schon mal ein Antrag um die Ohren. Auch die sogenannte Urwahl der beiden Spitzenkandidaten ist ein recht umständliches Verfahren. Aber es ist eines, auf das die Grünen stolz sind: Das Spitzenduo für die Bundestagswahl wird nicht in Hinterzimmer-Runden von der Parteiführung bestimmt, sondern von den knapp 60.000 Mitgliedern gewählt. "Keine andere Partei traut sich das" sagt Michael Kellner, der Bundesgeschäftsführer der Grünen.
Mehr Mitbestimmung wagen
In einer Zeit, in der die Bindekraft der Parteien nachlässt und die Loyalitäten der Wähler volatil sind, finden die Grünen solche Angebote wichtig. "Basis ist Boss" heißt die Kampagne, mit der die Partei für die Urwahl des Spitzenduos wirbt. "Bei der CDU dürfen die Mitglieder klatschen, bei uns dürfen sie abstimmen", teilt Bundesgeschäftsführer Kellner in Richtung CDU aus. Bei den Parteitagen der Christdemokraten wird der Applaus für die Bundeskanzlerin gerne in Minuten gemessen.
Vier prominente Kandidaten
Mit der Urwahl, die am Samstag mit einem formellen Parteibeschluss eingeleitet wird, wollen die Grünen außerdem neue Mitglieder anlocken. Wer bis Anfang November der Partei beitritt, darf mit abstimmen. Zur Wahl stehen bisher vier Kandidaten - drei Männer und eine Frau, die jeder in der Partei kennt: Parteichef Cem Özdemir, der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck und die beiden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt.
Leichtes Spiel wird Göring-Eckardt haben, die schon 2013 Spitzenkandidatin ihrer Partei war: Für einen der beiden Spitzenposten ist, wie immer bei den Grünen, eine Frau gesetzt. Spannend wird hingegen das Rennen der drei Männer. Weitere Kandidatinnen und Kandidaten können bis Mitte Oktober ihren Hut in den Ring werfen, das Ergebnis der Urwahl wird dann im Januar verkündet.
2017: Raus aus der Opposition
Das Spitzenduo soll die Partei durch den Bundestagswahlkampf führen. Schon jetzt ist klar: Eine Koalitionspräferenz wird es dabei nicht geben, die Devise heißt "Eigenständigkeit". Kellner formuliert es so: "Wir wollen aus uns heraus stark sein". Trotzdem wünscht sich die Partei, die seit 2005 im Bund in der Opposition ist, eine Machtoption. Eine davon könnte ein schwarz-grünes Bündnis sein. Seit in Hessen und in Baden-Württemberg CDU und Grüne miteinander regieren, wird darüber auch in Berlin viel diskutiert.
Nicht immer zur Freude von Cem Özdemir. "Soll ich das Kabinett gleich mit vorstellen?", fragte der Grünen-Vorsitzende kürzlich einen Journalisten, der das Thema "schwarz-grüne Bundesregierung" ein Jahr vor der Wahl brandheiß fand. Noch sei es viel zu früh für Koalitionsdebatten. Natürlich wollten die Grünen künftig im Bund wieder mitregieren. Aber mit wem, das bleibe offen. "Wir konzentrieren uns auf uns", wehrt Özdemir ab.
Kretschmanns bevorzugte Konstellation
Die Debatte um Schwarz-Grün hat allerdings hat kein eifriger Journalist neu entfacht, sondern Özdemirs Parteifreund Winfried Kretschmann. Schwarz-Grün passe in eine Zeit, die von Unsicherheit und Krisen geprägt sei, meint der populäre Ministerpräsident von Baden-Württemberg.
Kretschmann war einer jener Grünen, die nach der letzten Bundestagswahl die Chancen für ein Regierungsbündnis mit der Union ausloteten. Doch 2013 waren die Differenzen zu groß, was Kretschmann bedauerte. Er persönlich pflegt ein gutes Verhältnis zu Angela Merkel. Ihre Flüchtlingspolitik unterstützt er voll und ganz, mit ihr als Bundeskanzlerin kann er sich eine schwarz-grüne Bundesregierung vorstellen.
Flexibel bleiben bis zum Wahltag
Das aber sehen bei weitem nicht alle Grünen so. Da die Basis Boss ist, hat sie hier ein Wörtchen mitzureden. Aber nicht nur die grüne Basis könnte einer gemeinsamen Regierung mit den Unionsparteien im Weg stehen, sondern auch die bayerische CSU, deren politische Positionen oft Lichtjahre von denen der Grünen entfernt sind.
Und so halten sich die Grünen, derzeit die kleinste Oppositionspartei im Bundestag, einstweilen alle Optionen offen. Dass sie nicht auf ein Bündnis festgelegt sind, zeigt sich in den zehn Bundesländern, in denen sie mitregieren - mit CDU, SPD, FDP und Linkspartei in ganz unterschiedlichen Konstellationen. Diese Erfahrungen könnten sich dann als nützlich erweisen, wenn sich die "Ermüdungsbrüche" in der großen Koalition im Wahljahr 2017 manifestieren. "CDU/CSU und SPD sind zutiefst erschöpft voneinander", sagt Kellner. "Und darin liegt eine Chance für die Grünen."