Die kochende Fanseele
10. Dezember 2012"Wir müssen alles daran setzen – im Sinne der 99,5 Prozent friedlicher Fans – unsere Stadien noch sicherer zu machen als sie sind", erklärt DFB-Präsident Wolfgang Niersbach vor dem Treffen der Erst- und Zweitligisten am 12.12. Dort soll ein entsprechendes Papier diskutiert und bestenfalls verabschiedet werden. Doch die Sicherheitsdebatte im deutschen Fußball hat bei den Fans zu zahlreichen Diskussionen und einem enormen Schulterschluss geführt: In der Aktion "12:12 – Ohne Stimme keine Stimmung" schwiegen an den letzten Spieltagen von der ersten bis zur vierten Liga weitestgehend alle Fans die ersten zwölf Spielminuten und zwölf Sekunden lang und demonstrierten damit ihre Abneigung gegen das geplante Sicherheitskonzept.
Fußballfans fühlten sich weit über die Ultraszene hinaus stigmatisiert, sagt Volker Goll von der Koordinationsstelle Fanprokjekte (KOS) im Interview mit der Deutschen Welle: "Der mediale Fokus auf Gewalt, die interessengeleitete wie unseriöse Zuspitzung seitens der Innenpolitik im Zusammenspiel mit den Polizeigewerkschaften, sowie die daraus diskutierten neuen Sicherheitsmaßnahmen stoßen bei einer Mehrheit der Stadionbesucher auf Ablehnung." Professor Harald Lange vom Institut für Fankultur der Universität Würzburg sagt sogar, dass diese "beachtliche" Aktion mit Blick auf andere gesellschaftliche Felder ihresgleichen suche: "Hier zeigt sich eindrucksvoll ein besonderes politisches Engagement, das zudem treffend und originell inszeniert wird."
Verfeindete Fangruppen demonstrieren gemeinsam
Der Augsburger Michael Hartmann von der Ultra-Vereinigung Legio Augusta bringt die Stimmung auf den Punkt: "Ich würde das komplette Papier ablehnen. Die deutschen Stadien sind sicher. Es gibt keine Sicherheitsmängel in den deutschen Stadien, es sind schon die best überwachten der Welt." Die Fans fühlen sich kriminalisiert, als Fußball-Konsumenten degradiert und fürchten Repressionen. Und so gingen am Wochenende tausende Fußballfans deutschlandweit bei mehreren Demonstrationen auf die Straße. Selbst "verfeindete" Ultragruppen agieren gemeinsam, nach dem Motto: "In den Farben getrennt – in der Sache vereint".
Für Wissenschaftler Lange stellt dies eine Klammer der Fankultur dar. Hier zeige sich das übergeordnete Interesse an einer gemeinsamen, vereinsübergreifenden Idee von Fußball und Fankultur. "Sie wollen aktiv teilhaben am Fußballgeschehen. Sie verfügen über einen ausdifferenzierten Wertekanon, den sie angesichts rasanter Kommerzialisierungsinteressen in Gefahr sehen." Außerdem fürchten viele die Abschaffung der Stehplätze. Nur in einem sind sich nicht alle Fans einig: Thema Pyrotechnik. Die Ultras setzen sich für abgetrennte Bereiche in den Fankurven ein, wo Bengalische Feuer erlaubt sein sollen. "Wir als Ultras sehen Pyrotechnik als Stilmittel", erklärt Michael Hartmann. "Das magische Leuchten der Fackeln trifft es am besten." Die Deutsche Fußball-Liga DFL ist in diesem Punkt allerdings unnachgiebig, betont ihr Präsident Reinhard Rauball. "Wir werden zum Thema Pyrotechnik eine Null-Toleranz-Schwelle legen und werden uns da auch nicht bewegen." Denn das sei eine einheitliche, beschlossene Lage.
Schärfere Einlasskontrollen und weniger Gästekontingente
Zudem fordert die DFL eine Nachbesserung der Videoüberwachung zur besseren Identifizierung. Zur Diskussion stehen auch verringerte Gästekartenkontingente bei Risikospielen, Beteiligung der Vereine an den Kosten für die Polizeieinsätze und Vollkontrollen beim Einlass, wie sie die Politik fordert, zum Beispiel Ralf Jäger, Innenminister des bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen: "Wir müssen bei Risikospielen auch daran denken, dass diese Kontrollen ganzheitlich durchgeführt werden. Da können wir keine Rücksicht darauf nehmen, wie lange das dauert." Die Innenminister drohten mit verschärften und vermehrten Polizeieinsätzen und der Beteiligung an den Kosten, falls die Liga nicht zu einem Konsens komme.
Der Druck aus der Politik verschärfe die Situation, sagt so mancher Verantwortliche aus der Bundesliga. Von dem "Sicherheitseuro", der dann auf die Zuschauer abgewälzt werde, halten die meisten Vereine nichts. Auch Volker Goll von der KOS fordert mehr vertrauensbildende Maßnahmen in Richtung der Fans und weniger Einmischung der Politik. "Insgesamt muss man sich schon die Frage stellen, warum es noch eher die Ausnahme ist, dass sich Fußball wie Politik der Einschätzungen ihrer Experten bedienen, nämlich Fanprojekten, Fanbeauftragten und den aktiven und organisierten Fans." DFL-Präsident Rauball lenkt ein: "Wir lassen uns nicht von der Politik treiben. Wir sind doch daran interessiert, dass es im Fußball so zugeht, dass jeder ordnungsgemäß ins Stadion kommen kann und sicher ist im Stadion."
"Fans waren eingebunden"
Nach dem ersten Entwurf des Sicherheitskonzeptes liegt den Vereinen nun eine überarbeitete Version vor. An diesem haben einige Fanorganisationen mitgewirkt, auch die KOS hat viele konkrete Vorschläge schriftlich eingereicht. Goll glaubt, dass eine positive Grundstimmung und menschenwürdige Aufenthaltsbedingungen in den Stadien für eine Abnahme der Gewalt führen können. Fans sollten mit ihren Anliegen ernst genommen werden. Dann wären sie viel eher bereit, regulierend auch nach innen zu wirken und Verantwortung zu übernehmen. Das zumindest hätten die Verantwortlichen nun begriffen, behauptet DFB-Präsident Niersbach: "Die Fans sind ja die ganze Zeit eingebunden gewesen. Wenn einmal bemängelt wurde, dass der Dialog nicht ausreichend, nicht tief genug ging, so stimmt dies gerade in den letzten Wochen nicht."
Ein Szenario wie in Italien wünsche sich jedenfalls kein einziger Fan, gibt die KOS in einer Pressemitteilung zu bedenken. Dort habe man mit schärferen Gesetzen und mehr Polizei agiert. Das habe jedoch weder die Gewalt beseitigt noch den italienischen Stadionfußball attraktiver gemacht. Die Zuschauerzahlen seien stark gesunken, die italienische Fankultur liege am Boden. Und so wünscht sich Goll für die Zeit nach dem 12.12., dass es keinen gestylten und durchkommerzialisierten Fußball gebe, steril und nur für das besser verdienende Event-Publikum. "Die Emotionen, die dort nicht mehr ausgelebt werden können, werden sich an anderer Stelle und vielleicht noch destruktiver gesellschaftlich Bahn brechen." Er hofft, dass die Fanprojekte finanziell gestärkt werden und dass Verbände, Vereine und die Anhänger enger zusammenrücken, auch um die verbindende und soziale Kraft des Sportes konstruktiv zu nutzen. "Dafür müssten aber die Verantwortlichen erkennen, dass man sich um die Fans auf den Stehrängen genauso kümmert wie um die Sponsoren und Logenbesucher."