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Religiöse Spannungen in Syrien nehmen zu

Andreas Gorzewski23. Februar 2013

Die Fronten im syrischen Bürgerkrieg verlaufen zunehmend entlang religiöser Trennlinien. Dabei ist die Lage der christlichen, alawitischen und drusischen Minderheiten im Land sehr unterschiedlich.

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Jahrzehntelang haben die Religionsgruppen in Syrien friedlich miteinander gelebt. Doch der andauernde Bürgerkrieg reißt immer tiefere Gräben zwischen den Konfessionen auf. Der UN-Menschenrechtsrat warnt in seinem jüngsten Syrien-Bericht vor der wachsenden Rolle der Religion in dem Konflikt.

Syrien ist ein ethnischer und religiöser Flickenteppich. Dreiviertel der etwa 22 Millionen Syrer sind sunnitische Muslime. Daneben stellen Alawiten und Christen jeweils rund zehn Prozent der Bevölkerung. Auch einige hunderttausend Drusen, Schiiten und Yeziden leben im Land. Jenseits der Religion haben auch die ethnischen Spannungen zwischen der arabischen Mehrheit und den etwa 15 Prozent Kurden im Land zugenommen.

Zu Beginn der Proteste gegen das Regime von Baschar al-Assad hätten die Christen wie fast alle Syrer die Rufe nach Reformen begrüßt, erzählt Pfarrer Adeeb Awad von der Synode protestantischer Kirchen in Syrien und Libanon. Doch mit dem Beginn der bewaffneten Revolte seien immer mehr ausländische Kämpfer ins Land geströmt. Darunter seien militante Islamisten, die die Christen in vielen Dörfern terrorisiert und vertrieben hätten, sagt Awad im Gespräch mit der Deutschen Welle. In den großen Städten – mit Ausnahme von Aleppo – gebe es dagegen keine gezielten Angriffe auf Christen.

Mit der Religion wird die Haltung zum Regime verknüpft

Die Einstellung für oder gegen das Regime wird vielen Menschen aufgrund ihrer Konfession zugeschrieben – unabhängig von ihrer tatsächlichen Haltung. Weil die meisten Rebellen Sunniten sind, gelten Sunniten als Oppositionelle. Dagegen werden Alawiten pauschal als Stütze des Regimes gesehen. Präsident Assad und viele führende Köpfe in Politik, Militär und Wirtschaft sind Alawiten. Auch die berüchtigten Schabiha-Milizen des Regimes rekrutieren sich aus Alawiten. Verüben diese Milizen Gräueltaten in sunnitischen Dörfern, werden Misstrauen und Feindschaft immer größer. Alawiten in der Opposition oder sunnitische Regimevertreter werden dagegen kaum noch wahrgenommen.

Auch die Christen stehen Awad zufolge ganz überwiegend zur Regierung in Damaskus. "Syrien als einziger säkularer Staat unter den arabischen Nachbarstaaten bot den Christen das beste Umfeld", sagt der Geistliche. Für die Anhänger der orthodoxen, katholischen und protestantischen Kirchen sei eine Machtübernahme radikaler Islamisten ein Schreckensszenario. "Das hat die Christen und die anderen Minderheiten zu Unterstützern der Armee und der Regierung gemacht", meint Awad.

Syrische Christen besuchen 2011 in Damaskus einen Gottesdienst (Foto: Reuters)
Syrische Christen besuchen in Damaskus einen GottesdienstBild: AFP/Getty Images

Bei der Zuspitzung des Konflikts entlang konfessioneller Trennlinien spielt auch das Ausland eine große Rolle. Die Hisbollah im Libanon und der Iran – beides schiitische Akteure – unterstützen das syrische Regime. Dagegen helfen die sunnitischen Golfstaaten den Rebellen.

Namen können die Religion verraten

Welche Religion eine Person hat, erkennen Syrer schnell. Oft liefert der Name Hinweise. Wer etwa Omar heißt, ist Sunnit, erklärt der schwedische Syrien-Experte Aron Lund. Kein Alawit, Schiit oder Christ würde so heißen. Auch das Wohnviertel sagt viel aus. "Die Leute wissen, dieses oder jenes Viertel ist eher sunnitisch oder alawitisch und sie wissen, welches Viertel das Regime unterstützt", sagt Lund.

Als Mitglied einer bestimmten Konfession und damit als Anhänger einer politischen Haltung zu gelten, kann gefährlich sein. Die UN-Mitarbeiter zählten für ihren Bericht mehr als zehn Bombenanschläge in Wohnvierteln von Minderheiten oder nahe religiösen Stätten. Diese Sprengsätze hätten keinerlei militärischen Sinn, sondern sollten lediglich die religiösen Spannungen erhöhen. Vielerorts seien Kranke und Verwundete wegen ihrer Religionszugehörigkeit nicht behandelt worden. Oft trauten sich dem UN-Bericht zufolge Kranke und Verletzte gar nicht in staatliche Kliniken, weil sie aufgrund ihrer Religion Festnahme oder Folter fürchteten. 

Syriens Präsident Assad (M.) und Großmufti Hassun (r.) in einer Moschee 2006 (Foto: dpa)
Syriens Präsident Assad (M.) und Großmufti Hassun (r.) in einer MoscheeBild: picture-alliance/dpa

Das Schicksal der Alawiten ist mit dem Regime verknüpft

Die Lage der Minderheiten ist sehr unterschiedlich. Das Schicksal der alawitischen Gemeinschaft, die vor mehr als tausend Jahren aus dem Schiitentum entstand, ist Lund zufolge eng mit dem Regime verknüpft. Stürze die Regierung, würden die Alawiten mit in den Abgrund gerissen. Mit den Drusen, die im Süden des Landes leben, sei das anders. Auch die Drusen seien überwiegend auf Seiten der Regierung.  "Aber wenn das Regime fällt, könnten sie sich vielleicht auch abspalten und selbst zu regieren versuchen", sagt der Forscher, der für die Europäische Stiftung für fortschrittliche Studien (FEPS) einen Bericht über Syriens Opposition verfasst hat.

Auch den Kurden im Norden des Landes wird nachgesagt, dass sie sich in einem zerfallenden Syrien selbstständig machen könnten. Das kommt für die Christen nicht in Frage. Sie sind über viele Städte und Dörfer verstreut. Pfarrer Awad klammert sich an die Hoffnung einer Einigung zwischen Regierung und dem friedlichen Teil der Opposition. Dazu verweist er auf den Großmufti als obersten Vertreter der Sunniten. Dieser habe für ein friedliches Zusammenleben aller Syrer geworben.

Danach sieht es jedoch nicht aus. Der Krieg werde weiter entlang konfessioneller Linien geführt, erwartet Lund. Die Situation erinnere an bestimmte Phasen der Konflikte im Libanon und Irak. Religiöse und dschihadistische Gruppen wie Al-Kaida könnten in einem solchen Umfeld aufblühen. "Sie werden immer stärker, wenn es einen Krieg zwischen verschiedenen religiösen Gruppen gibt", sagt Lund.