DW-Film über Streit um Raubkunst aus Kamerun
2. September 2020An den Wänden hängen Plakate gegen das Berliner Humboldt Forum, Ventilatoren rattern, Neonröhren werfen ihr grelles Licht auf die Nachbildung des sogenannten "Tangué", die in dem schmucklosen Konferenzraum der Stiftung AfricAvenir in Douala, der größten Stadt Kameruns, steht. Das Replikat ist eine Art Mahnmal. Denn das Original, der kunstvoll aus Holz geschnitzte Schiffsschnabel, der einst, im 19. Jahrhundert, die Spitze eines königlichen Kanus zierte, ist geraubt. Der Tangué ist ein rituelles Objekt, das die Menschen in der Küstenstadt mit den spirituellen Kräften des Flusses verbindet. Er befindet sich seit mehr als 130 Jahren in Deutschland, rund 5000 Kilometer Luftlinie entfernt, im Münchner Museum Fünf Kontinente.
Für den Gründer der Stiftung AfricAvenir, Prinz Kum'a Ndumbe III., ist das bis heute ein schmerzlicher Verlust. Der Historiker und Germanist war lange als Hochschullehrer an der Freien Universität Berlin tätig. "Alles, was eine tiefe spirituelle Bedeutung hatte für die Afrikaner, das hat man weggenommen, um ihnen dann sozusagen Ersatz-Religionen zu bringen. Aber man kann doch nicht die Seele ganzer Völker rauben, wegbringen und dann sagen, man bringt ihnen Zivilisation!", sagt er im Interview für die DW-Dokumentation "Die gestohlene Seele".
Ein klarer Fall von kolonialer Raubkunst
Als Ende des 19. Jahrhunderts Kamerun im Begriff ist, deutsche Kolonie zu werden, ist der Tangué noch im Besitz von Lock Priso, dem Oberhaupt der königlichen Bele Bele Familie, Herrscher eines Stadtteils von Douala. Um sich exklusive Handelsvorteile zu sichern, überzeugen die Deutschen damals die Könige der florierenden Küstenstadt Douala, einen Schutzvertrag zu unterzeichnen. Nur einer verweigert seine Unterschrift: Lock Priso, der Großvater von Stiftungsgründer Kum'a Ndumbe.
Im Dezember 1884 laufen deutsche Kriegsschiffe in Douala ein und Lock Prisos Widerstand wird gewaltsam gebrochen. Er muss einen Friedensvertrag mit den Deutschen schließen. Als die Kolonialtruppen dessen Dorf angreifen, sichert sich der deutsche Konsul Max Buchner den Tangué aus dem Haus des Oberhaupts, bevor dieses in Brand gesteckt wird.
Ein klarer Fall: Der Schiffsschnabel wird als Kriegsbeute geraubt. Ein Jahr später übergibt Buchner seine Beute der Königlich Ethnographischen Sammlung in München, dem heutigen Museum Fünf Kontinente - als Geschenk.
Warum die Raubkunst bis jetzt in Deutschland ist
In den 1990er Jahren entdeckt Historiker Kum'a Ndumbe den Schiffsschnabel dort wieder und fordert ihn zurück. Doch bisher ohne Erfolg.
Für Uta Werlich, Direktorin des Museums in München, liegt das Problem darin, dass "nicht ausreichend nachgewiesen ist, ob Kum'a Ndumbe III. wirklich legitimiert ist, für die Familie der Bele Bele als Nachfolger von Lock Priso den Tangué zurückzuerhalten". Die Komplexität liegt in den für deutsche Behörden schwer nachvollziehbaren Machtverhältnissen in Douala: Kum'a Ndumbe, der Enkel von Lock Priso und Teil der einflussreichen und gesellschaftlich in Kamerun anerkannten Königsfamilie der Bele Bele ist, sieht sich als rechtlicher Nachfolger von Lock Priso. Doch das offizielle, vom Staat Kamerun ernannte Familienoberhaupt der Bele Bele ist Paul Mbappe, den der Tangué bisher kaum interessiert hat.
"Es ist hier eine für uns schwer zu durchschaubare Gemengelage, die wir nach wie vor erst klären müssen, bevor wir allzu vorschnell zurückgeben", erklärt Stefan Eisenhofer, Kurator der Afrika-Abteilung im Münchner Museum.
Wer entscheidet, wer der rechtmäßige Erbe ist?
Welches Familienmitglied hat das Recht, die Raubkunst zurückzunehmen? Auf der einen Seite steht der kritische Kum'a Ndumbe, der auch mit deutschen NGOs, die den Kolonialismus aufarbeiten, gut vernetzt ist. Auf der anderen der offizielle Familienvertreter Paul Mbappe, dem Kum'a Ndumbe vorwirft, eben deshalb vom Staat ausgewählt worden zu sein, weil er beim Thema Restitution eine weniger kritische Haltung vertritt und keinen Widerstand leistet. Und wer kann und darf in dieser Frage überhaupt entscheiden?
An diese Fragen schließt sich zudem eine weitere an: Dienen die verworrenen Machtverhältnisse in Kamerun womöglich nur als Ausrede, um eine Rückgabe des eindeutig geraubten Schiffsschnabels hinauszuzögern?
Leitfaden für deutsche Museen - ohne rechtliche Bindung
Ethnologische Museen in Deutschland sind voll mit Kunst und Kulturgütern, die in der Zeit des Kolonialismus gesammelt wurden. Das Deutsche Kaiserreich machte sich in der Zeit seit den 1880er Jahren bis nach dem Ersten Weltkrieg, der 1918 endete, Kolonien zu eigen. Schätzungsweise lagern rund 1,5 Millionen Kolonial-Objekte in den Depots deutscher Museen. Sie wurden getauscht, gekauft, geschenkt - und geraubt. An wie vielen der Gegenstände Blut klebt, ist unklar.
Klar ist, dass der Diebstahl von Kulturgütern in Afrika für die Kolonialherren gängige Praxis war. Seit geraumer Zeit werden die Forderungen nach Rückgaben an Herkunftsgesellschaften immer lauter. Die Politik ist sensibilisiert: Unterstützt von der deutschen Kulturstaatsministerin Monika Grütters, gab der Deutsche Museumsbund 2019 einen Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialem Kontext heraus. Rechtlich bindend ist dieser jedoch nicht.
Diskussionen um Rückgabe angestoßen
Im Februar 2019 macht das deutsche Bundesland Baden-Württemberg den Auftakt und gibt die geraubte Bibel und die Viehpeitsche des Nama-Führers Hendrik Witbooi an Namibia zurück. Witbooi, der von 1830 bis 1905 lebte, kämpfte gegen die deutschen Kolonialtruppen. Die Rückgabe ist ein Anfang - doch im Vergleich zu der Vielzahl der weiteren Kunst- und Kulturgüter ein rein symbolischer Akt. Denn wenn es um wertvollere Objekte geht, die auf dem Kunstmarkt teilweise für mehrere Millionen gehandelt werden, wie beispielsweise die berühmten Benin-Bronzen aus dem heutigen Nigeria, bewegt sich auf europäischer Seite kaum etwas.
Wenn es um den Schiffsschabel aus Kamerun, den Tangué, geht, gibt Prinz Kum'a Ndumbe III. die Hoffnung nicht auf. 2019 veröffentlichte er ein Buch, in dem er Dokumente zusammenstellte, die seinen Anspruch auf Lock Prisos Erbe unterstützen sollen. "Ich warte", erklärt der Historiker. "Ich habe das Meine getan. Sie wollten Dokumente - ich habe ihnen die Dokumente jetzt geschickt, aber öffentlich."
Die längst überfällige Debatte über Raubkunst und das koloniale Erbe Europas ist so langsam in der Öffentlichkeit angekommen.