Ebola und die apokalyptischen Reiter
24. Oktober 2014Leichen, die in den Straßen herumliegen, massenhaftes Sterben, Helfer in Schutzanzügen: Hätte es im Mittelalter schon Fernsehkameras gegeben, die Bilder hätten sich kaum von jenen im heutigen Westafrika unterschieden. Der Kölner Mittelalter-Forscher Klaus Bergdolt hält Pest und Ebola denn auch für vergleichbar, zumindest was die Angst der Bevölkerung vor Ansteckung angeht. "Die Pest war schlimm. Aber fast so schlimm wie der Ausbruch der Pest war das Gerücht, dass die Seuche die Nachbarstadt erreicht hatte." Auch in der aktuellen Ebola-Debatte spiele die Angst vor Ansteckung eine Rolle, so der Mediävist im DW-Gespräch, "eine etwas zu große Rolle!"
Bergdolt ist maßgeblicher Buchautor zum Schwarzen Tod in Europa, der Mitte des 14. Jahrhunderts in nur vier Jahren ein Drittel der europäischen Bevölkerung dahinraffte. Zwischen 1347 und 1351 starben rund 20 Millionen Menschen. Die meisten hielten die Seuche für eine Strafe Gottes. Weltliche und kirchliche Obrigkeiten traten folgerichtig in Verhandlungen mit dem "Weltenrichter", versuchten Gott durch Prozessionen und Bußwallfahrten zu beschwichtigen. Die Bevölkerung hatte strenge Kleider- und Luxusverordnungen zu befolgen. Geholfen hat es – rückblickend – aber wenig.
Kein kollektives Handeln
Der Schwarze Tod ließ die Menschen wie in einem Bürgerkrieg verrohen. Die Angst vor einer Infektion besiegte Moralgesetze und Verantwortungsgefühl. Die Folgen waren Hunger und Tod, Einsamkeit und Verzweiflung. Albrecht Dürers "Apokalyptische Reiter" symbolisieren die Zusammenhänge von Krieg, Teuerung, Hungersnot, Pestseuchen und Massensterben – ein Alptraum der Menschheit.
Im Kampf gegen das Ebola-Virus lassen sich Lehren aus der Geschichte ziehen, meinen die Münsteraner Historiker Jan Keupp und Katharina Wolff. Die wichtigste: "Es fehlt heute an einem vergleichbaren politischen Willen zum kollektiven Handeln!", so Keupp im Gespräch mit der Deutschen Welle. Stattdessen delegiere die moderne Politik die Bekämpfung der Epidemie an einen Stab medizinischer Experten, an Nichtregierungsorganisationen und an eine Handvoll enthusiastischer Freiwilliger. Die Entscheidung über die klinische Entwicklung eines Impfstoffes werde kommerziellen Pharma-Unternehmen überlassen. Kollektives staatliches Entscheiden bleibe auf der Strecke.
Forscher fordern Umdenken
Das sei fatal, so Keupp, weil durch Ebola – wie zu Zeiten der Pest - traditionelle Werte im Gemeinwesen bedroht seien. So schreibe sich etwa Deutschland auf die Fahnen, mehr Verantwortung für die Menschen in der Welt zu übernehmen. Diese Verantwortung definiere sich aber durch den Einsatz von Kriegswaffen gegen andere Menschen. "Man zielt mit Waffen auf Menschen", kritisiert der Wissenschaftler, "dabei könnte man mit Medikamenten auf Menschen zielen." Die Seuchenvorsorge deutscher Behörden beschränke sich auf Deutschland. "An der Landesgrenze endet unsere Verantwortung", so Keupp.
Wird die Ebola-Gefahr etwa unterschätzt? "Es ist eine historische Erfahrung, dass die Behörden erst mit der Zeit umdenken und etwas verzögert allgemeine Maßnahmen zur Abwehr ergreifen", weiß der Mittelalter-Forscher Bergdolt. "Eigentlich kann das nicht anders ablaufen, weil sonst das gesamte öffentliche Leben und vor allem der Handel in der Vergangenheit sofort erloschen wäre." Das sei heute nicht anders: "So müssen wir ein bisschen vorsichtig sein mit Vorwürfen an die Behörden, die Verantwortlichen, auch überregional und international. Man musste immer erst mal abwarten, was sich daraus entwickelt."
Er sei zwar kein Politikberater, unterstreicht Jan Keupp, der am Excellenzcluster Religion und Politik der Universität Münster forscht. Wer jedoch als Mittelalter-Historiker die Berichte von Zeitzeugen der Pest durchforste, blicke "nicht mehr in die weite Ferne einer vermeintlich finsteren Epoche". Der fühle sich unmittelbar in die Gegenwart katapultiert: "Viele Berichte decken sich in erschreckender Weise mit den jüngsten Meldungen über die unaufhaltsame Verbreitung des Ebola-Virus".