Ein bisschen Verrücktheit für Oslo
13. März 2010Als Jennifer Braun am Freitagabend (12.03.2010) ihren letzten Song zum Besten gibt, hört Stefan Raab gar nicht mehr richtig zu. Raab sitzt im Fernsehstudio in Köln-Mülheim und ist nervös. Eigentlich müsste er jetzt konzentriert auf die Sängerin blicken und mit dem Körper zur Musik wippen - für die Fernsehkameras. Denn er sitzt in der Jury der Castingshow "Unser Star für Oslo". 4500 Menschen hatten sich beworben, weil sie Deutschland im Mai beim Eurovision Song Contest in Oslo vertreten wollen. Doch Raab wippt nicht mit, er schaut zerstreut in die Gegend und spielt mit seinem Mikrofonkabel herum.
Zwei 18-jährige junge Frauen sind ins Finale gekommen: Jennifer Braun und Lena Meyer-Landrut. Vielleicht sind es die großen Unterschiede zwischen den beiden Frauen, die Raab so nervös machen und die Frage, wie das TV-Publikum gleich per Telefonabstimmung entscheiden wird.
Große Stimme gegen britischen Akzent
Jennifer stammt aus der hessischen Provinz, hat eine großartige Stimme und schmettert Rocksongs oder Balladen mit einer Sicherheit herunter, die man sonst nur von großen Stars kennt. Aber Jennifer könnte auch in vielen anderen Fernsehshows auftreten. Ihr letzter Song des Abends "I care for you" hätte auch schon in den 90er-Jahren im Radio laufen können. Wenn Jennifer gewinnt, ist das nicht die lange ersehnte Erneuerung der deutschen Auftritte beim Eurovision Contest. Vielleicht ist es genau das, was Raab so nervös macht.
Lena Meyer-Landrut stammt aus der Großstadt Hannover, hat keine großartige Stimme, aber sie hat das deutsche TV-Publikum in den letzten Monaten verzaubert. Sie bewegt sich zu ihren Liedern mit zuckenden X-Beinen, so, wie man sich eigentlich nicht bewegt in den Castingshows, die Deutschland in den letzten Jahren überschwemmt haben. Sie erzählt, dass sie Lippenstifte mit Cola- und Fantageschmack mag und beide gleichzeitig benutzt, "weil das zusammen Mexxo-Mix ergibt". Lena singt ihre englischen Songs mit einem ziemlich britischen Akzent, ihr Großvater war jahrelang deutscher Botschafter in Moskau.
Unfreiwillige Apple-Ikone
Lena Meyer-Landrut ist die ein wenig verrückte Kosmopolitin unter den Bewerbern. "Neben der Musik ist das auch Theater", attestiert Juror Raab. Sie ist das, wonach die Organisatoren der Show gesucht haben. Am Ende der Sendung steht sie als Siegerin auf der Bühne. Sie wird im Mai in Oslo den Song "Satellite" singen. "Das andere Konzept, das andere Prinzip" habe gewonnen, sagt Stefan Raab später auf der Pressekonferenz. "Dieses bisschen Verrücktheit und dieses moderne Frauenbild werden uns im Ausland gut stehen", meint Raab. Jetzt hofft er in Oslo auf eine Platzierung unter den ersten zehn Plätzen. Für Deutschland, das in den letzten Jahren viele Misserfolge beim Eurovision Song Contest landete, wäre das ein großer Erfolg.
Um zu verstehen, was Raab meint, genügt ein Blick in das TV-Studio der Sendung. Dort steht ein gigantischer Bildschirm, auf dem die Sängerinnen gezeigt werden. Die Form des Bildschirms erinnert stark an das iPhone von Apple. Ob Werbemaßnahme oder Zufall: Lena Meyer-Landrut verkörpert dasselbe Gefühl, das der kalifornische Computerhersteller in seinen Werbespots vermittelt. Und sie erinnert an Künstlerinnen, mit deren Songs Apple erfolgreich Werbung gemacht hat, Yael Naim aus Israel oder Feist aus Kanada etwa. Die beiden Sängerinnen und Lena Meyer-Landrut verkörpern ein leichtes, internationales Image. Und sie sind, obwohl ein bisschen abgedreht, auch irgendwie lieb. "Es sollen sich alle gedrückt fühlen", sagt Lena nach ihrem Erfolg.
Autor: Benjamin Hammer
Redaktion: Dirk Eckert