Entfremdung nach 70 Jahren Teilung Koreas
7. September 2018Laut Satellitenbildern üben bereits seit Wochen Zehntausende Soldaten auf einem Militärgelände mit dem nachgebautem Kim Il Sung-Platz von Pjöngjang für die Militärparade am Sonntag. Nordkorea wird seinen 70. Gründungstag nutzen, um im Scheinwerferlicht der internationalen Presse seine militärische Macht zu demonstrieren. Die Aufmerksamkeit der meisten Experten richtet sich vor allem darauf, welches Waffenarsenal das Kim-Regime aufbieten wird. Sollte es Interkontinentalraketen präsentieren, könnte dies als Affront an US-Präsident Donald Trump und seine Bemühungen zur Denuklearisierung des Landes interpretiert werden.
Südlich der entmilitarisierten Zone jedoch werden die jährlichen Fernsehbilder der im Gleichschritt marschierenden Soldaten meist nur mit Achselzucken und Befremden aufgenommen. Schließlich verdeutlichen sie vor allem, in welch diametral unterschiedliche Richtungen sich die beiden Gesellschaften seit dem Koreakrieg (1950-1953) entwickelt haben: Wenn in der südkoreanischen Hauptstadt zehntausende Menschenmassen aufmarschieren, dann handelt es sich in aller Regel um Demonstrationen - zuletzt etwa bei der Seoul Pride für die Rechte von sexuellen Minderheiten. Oder im letzten Winter bei den Regierungsprotesten, die schließlich zur Amtsenthebung der Ex-Präsidentin Park Geun Hye geführt haben. In Nordkorea wäre dies undenkbar: Spontane Versammlungen stehen unter Gefängnisstrafe, eine oppositionelle Zivilgesellschaft gibt es nicht.
Lernen von der deutschen Teilung
Das Interesse der Südkoreaner gegenüber Nordkorea ist dennoch im Zuge der jüngsten Annäherung seit den Olympischen Winterspielen merklich gestiegen. Dazu haben auch die zwei Gipfeltreffen zwischen Südkoreas Präsident Moon Jae-in und Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un beigetragen, die öffentlichkeitswirksam im Fernsehen übertragen wurden. Damals zeigten sich viele Südkoreaner verwundert ob der menschlichen Gesten von Kim Jong Un, die im Kontrast stehen zu den gängigen Parodien und Dämonisierungen in den Medien. Nach dem ersten Handschlag zwischen den Staatschefs der beiden Koreas über die Demarkationslinie hinweg und dem anschließenden, vom Protokoll nicht vorgesehenen gemeinsamen Schritt in den Nordteil, fuhren in den folgenden Wochen Tausende Südkoreaner an ein Filmset östlich von Seoul, auf dem das Friedensdorf Panmunjom als Kulisse nachgebaut wurde - nur, um jene historische Geste nachzuspielen und fürs Fotoalbum festzuhalten.
Als deutscher Korrespondent ist man in Seoul derzeit ein äußerst gefragter Gast bei Talkshows: Wie genau lief die Wiedervereinigung zwischen BRD und DDR damals ab, wollen viele TV-Moderatoren fast täglich von mir wissen. Oder wie man sich - ausgehend vom Beispiel Deutschland - auf eine Wiedervereinigung vorbereiten könne. Dabei sind die enttäuschten Reaktionen kaum zu übersehen, wenn ich vom ernüchternden historischen Vergleich erzähle: In Korea ist die Trennung schließlich weitaus strikter, dauert nun mehr bereits doppelt so lange und sind die Aussichten auf eine baldige Vereinigung dementsprechend düster.
Junge Südkoreaner wollen keine Wiedervereinigung mehr
Regelmäßig werden in Umfragen die Einstellungen der Südkoreaner gegenüber Nordkorea abgefragt. Dabei zeichnet sich seit Jahren ein deprimierender Trend ab: Je jünger die Befragten, desto weniger emotionale Verbindungen haben die Leute zum Nachbarland. Zwar wird Nordkorea nicht mehr als das Feindbild schlechthin wie zu Zeiten des Kalten Kriegs wahrgenommen, dafür jedoch als wirtschaftlicher Klotz am Bein, für den man im Falle einer Wiedervereinigung nicht bereit zu zahlen ist.
Zuletzt hat das staatliche National Youth Policy Institute im Juli die Meinungen südkoreanischer Schüler in einer repräsentativen Studie erhoben. Dabei gaben nur mehr knapp 20 Prozent an, dass eine Wiedervereinigung auf der koreanischen Halbinsel erzielt werden müsse. Vor zehn Jahren waren es noch über 30 Prozent. Allerdings gaben vier Fünftel den Wunsch an, einmal im Rahmen eines Klassenausflugs Nordkorea zu besuchen.
Bald könnte dieser Wunschtraum Realität werden: Ein Studentenclub der Seouler Nationaluniversität setzt sich derzeit dafür ein, mit der Kim Il Sung-Universität in Pjöngjang einen akademischen Austausch zu etablieren. Initiiert wurde das Projekt vom Studenten Shin Jae Yong, der darauf besteht, dass sich die Jugend seines Heimatlandes sehr wohl für Nordkorea interessiere: "Wir sind ein Volk, eine Nation”, sagt Shin selbstbewusst. 70 Jahre Teilung können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Korea eine jahrtausendealte Kultur verbinde.
Letztlich jedoch können sich die Beziehungen der beiden Staaten nur normalisieren, wenn ein offizieller Friedensvertrag zwischen den Koreas - und den USA - unterzeichnet wird. Bis zum heutigen Tage ist der kalte Konflikt nur durch ein Waffenstillstandsabkommen beigelegt.