"Es gibt keinen hundertprozentigen Schutz"
16. Juli 2016Deutsche Welle: Der Anschlag in Nizza fand am Rande eines Feuerwerkes statt. An diesem Samstag findet in Köln ein großes Fest mit Feuerwerk statt, die Kölner Lichter. Da werden Hunderttausende erwartet. Droht da die Gefahr von Nachahmern?
Andreas Armborst: Der Anschlag in Nizza ändert nicht unmittelbar das Anschlagsrisiko in Deutschland. Das bestand schon vorher. Das wird es auch weiter tun. Nachahmungstäter sind tatsächlich eine mögliche Gefahr. Der ein oder andere könnte sich inspiriert fühlen und der Meinung sein, er müsse jetzt schnell handeln, um einen erhöhten Aufmerksamkeitseffekt mitzunehmen.
Solange es keine konkrete Warnungen von deutschen Sicherheitsdiensten gibt, sollte sich keiner davon abhalten lassen, zu Großveranstaltungen zu gehen, wenn er darauf Lust hat. Ansonsten hätte der Terrorismus insofern Erfolg, als das er es schafft, in den westlichen Ländern das Sicherheitsempfinden so stark zu beeinträchtigen, dass die Leute nicht mehr das machen, worauf sie Lust haben, und sich eine Kultur der Angst etabliert.
In Deutschland gibt es eine wachsende Salafistenszene. Knapp 1000 deutsche Dschihadisten sind nach Syrien gereist und haben sich dem Islamischen Staat angeschlossen. Müsste der Kampf gegen den Dschihadismus auch auf der ideologischen Ebene geführt werden?
Es gibt ja die Strategie der Konternarrative, also ein bewusstes Gegensteuern gegen die Narrative und die Ideologie des Dschihadismus. Und je nachdem, wie man das macht, kann das erfolgreich sein. Andererseits: Gegennarrative gibt es im Prinzip ja schon - jede aufgeklärte journalistische Arbeit, Demokratieerziehung, überhaupt unsere schulische Ausbildung - das alles ist im Prinzip eine Impfung gegen terroristisches Gedankengut.
Ob man da mehr machen sollte, ist eine berechtigte Frage. Was sind eigentlich die theologischen Prinzipien, mit denen der Einsatz von dschihadistischer Gewalt legitimiert wird? Wenn man da genau hinschaut, sieht man, dass im islamischen internationalen Recht der Einsatz von Gewalt nur unter ähnlichen Umständen legitimiert ist wie im UN-Völkerrecht. Das heißt: Wenn die verschiedenen militanten Gruppen ihre eigenen theologischen Prinzipien befolgten, dann würden sie einen Anschlag wie in Nizza überhaupt nicht durchführen.
Beim Anschlag von Nizza wurde ein Lkw benutzt. Sind dies Anschläge, vor denen es keinen Schutz gibt?
Andreas Armborst: Einen hundertprozentigen Schutz wird es nie geben und Terroristen, die so entschlossen vorgehen, werden leider immer Opfer finden. Diese Anschlagsform kommt nicht ganz überraschend. Im Herbst 2010 brachte das englischsprachige Dschihad Magazin "Inspire" - das ist eine Internet-Hochglanzpublikation von Al Qaida auf der Arabischen Halbinsel" - den klaren Aufruf, man solle Autos benutzen, um Leute umzubringen.
Da wurde sogar eine bestimmte Geländewagensorte für diese Art Anschläge empfohlen. 2014 hat auch der IS zu Anschlägen mit Autos aufgerufen. Wobei Anschläge mit Autos im Irak oder in Syrien alltäglich sind, dort allerdings voller Sprengstoff als Autobombe. Der IS ist die militante Organisation, die den Einsatz von Autobomben perfektioniert hat. Keine andere terroristische Gruppe hat derart viele Autobomben eingesetzt!
Was kann man tun, um mögliche Täter rechtzeitig zu erkennen?
Da sind zu allererst die Sicherheitsbehörden gefragt. Die können ein gewisses Gefährdungspotenzial abdecken, indem sie Leute überwachen, von denen man weiß, dass sie gefährlich sind, von denen man weiß, dass sie sich radikalisiert haben. Da muss man natürlich auch genau überprüfen und unterscheiden, wer tatsächlich auf einem gefährlichen Pfad ist, und wer vielleicht einfach nur religiös ist.
Andreas Armborst ist Dschihadismusforscher am Anfang 2016 neu gegründeten Nationalen Zentrum für Kriminalprävention in Bonn.
Die Fragen stellte Matthias von Hein