"Es ist wirklich ein Trauerspiel!"
25. Januar 2006DW-World: Google beugt sich nun auch der Selbstzensur in China. "Reporter ohne Grenzen" haben das als "schwarzen Tag für die Meinungsfreiheit" bezeichnet. Warum?
Katrin Evers: Aus Sicht von "Reporter ohne Grenzen" ist das ein ganz schwarzer Tag für die Meinungsfreiheit in China, weil diese nun noch ein ganz großes Stück weiter eingeschränkt wird. Seiten, die nicht ohnehin schon von den chinesischen Behörden gesperrt sind, tauchen nun in den Suchergebnissen gar nicht mehr auf. Unter Umständen tauchen nur noch Regierungsseiten auf. Der Bevölkerung in China wird wirklich ein großer Teil von Informationen vorenthalten.
Wie funktioniert das technisch?
Google wird bestimmte Seiten aus seiner Datenbank löschen beziehungsweise nicht aufrufen. Und so werden sie dann als Suchergebnis nicht erscheinen. Bisher war es so, dass die Google-Seiten von außerhalb Chinas operiert haben. Dadurch kam es teilweise zu Verzögerungen. Außerdem haben die chinesischen Behörden natürlich auch vorher schon eingegriffen. Sie sind sehr erfinderisch. Manchmal wird nur ein technischer Fehler suggeriert. Aber manchmal geht es auch so weit, dass so genannte Spiegelseiten gebaut werden. Man hat das Gefühl, man ist auf der Seite einer bestimmten Organisation, aber man findet nur Inhalte der Regierung. Es wird einem etwas vorgetäuscht. Dass Google nun gemeinsame Sache mit der Diktatur macht, das kritisieren wir ganz, ganz scharf. Das ist wirklich ein Trauerspiel!
Um welche Inhalte geht es denn eigentlich, die nun ausgeblendet werden?
Vor allem Themen, die sich mit Meinungsfreiheit, Demokratie oder mit Menschenrechten befassen. Etwa die Unabhängigkeit Tibets oder Taiwans, also Menschenrechte im weitesten Sinne, Demokratiebewegungen, das Massaker vom Frühling 1989 usw. All solche Sachen werden ausgespart.
Kann man sagen, dass Google jetzt kooperiert mit einem quasi-autoritären Staat?
Auf jeden Fall! Google, ebenso wie Yahoo oder Microsoft MSN stellen ihre wirtschaftlichen Interessen wirklich ganz weit in den Vordergrund. Googles Firmengrundsatz, "Don't be evil" ["Sei nicht gemein!", A. d. R.], rückt in den Hintergrund, um diesen gigantischen Markt mit ungefähr 110 Millionen Internetnutzern zu erobern. Auf den will Google auf keinen Fall verzichten. Doch es steckt auch Scheinheiligkeit dahinter: Google hat jüngst in den USA die Meinungsfreiheit in den Vordergrund gestellt, indem es sich nicht an einem Aufruf der Regierung zur Einschränkung von pornografischen Seiten beteiligt hat. Nun aber unterwirft es sich der chinesischen Regierung und macht mit ihr gemeinsame Sache und trägt damit auch dazu bei, die Bevölkerung uninformiert zu halten, sie zu unterdrücken.
Google selbst betont aber, dass seine chinesische Seite trotzdem ein wichtiger Beitrag für die Entwicklung in China ist.
Das ist wirklich ein fadenscheiniges Argument, sich jetzt auch noch ein paar positive Körnchen rauszupicken, um das zu rechtfertigen. (…) China hat unheimlichen Erfolg damit, das Internet weiterhin einzuschränken: Es sind über 30.000 Internetpolizisten in dem Land zugange, um das Internet zu filtern. In Internetcafés wird man überwacht, man muss einen Personalausweis vorzeigen, es werden Fingerabdrücke genommen usw. Das Internet war eigentlich noch die letzte Bastion, unabhängige Informationen zu bekommen. Google aber trägt jetzt entscheidend dazu bei, es weiter einzuschränken.
Es gelingt doch aber vor allem jungen Chinesen, die Schranken der Regierung technisch zu umgehen. Ist es nicht nur eine Frage der Zeit, bis die chinesischen User an alle Informationen kommen, die sie wollen?
Es gibt natürlich immer Möglichkeiten, das zu umgehen. Wir haben im vergangenen Jahr auch ein Handbuch für Weblogger und Internet-Dissidenten herausgebracht mit Tipps, wie man das Ganze umgehen kann. Wir hoffen natürlich, das sich diese weiterverbreiten. Letztendlich können diese Möglichkeiten aber kein Argument dafür sein, dass Firmen wie Google, Yahoo und Microsoft in China gemeinsame Sache machen mit der Diktatur.
Ist Google noch das, was es mal war?
Aus unserer Sicht nicht. Eben weil der Firmengrundsatz "Don't be evil", der Grundsatz, sich ethisch und moralisch korrekt zu verhalten, mit diesem Schritt ausgehebelt wird.