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Es wird einsam um Pinochet

Emilia Rojas, z.Z. Santiago de Chile15. Dezember 2004

Chile schreibt die Geschichte um: Die Verbrechen der Diktatur werden nicht mehr geleugnet und der Versuch Ex-Diktator Pinochet anzuklagen bedroht nicht mehr die politische Stabilität. Eine Analyse von Emilia Rojas.

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Der Ex-General hat nur noch wenige UnterstützerBild: AP

Es mutet ironisch an, dass gerade die Verteidiger des ehemaligen Diktators von einem "Affront gegen die Menschenrechte" sprechen, nachdem Richter Juan Guzmán beschlossen hat, Augusto Pinochet unter Hausarrest zu stellen und gerichtlich gegen ihn vorzugehen. Zumindest im Sinne des Hausarrests muss die Verteidigung zugestehen, dass ihr Einspruch geltend gemacht wurde Der General im Ruhestand bleibt auf freiem Fuß bis ein Berufungsbericht über den Haftbefehl entscheidet. Die Opfer der Militärdiktatur hatten dagegen nie die Chance ihren Anspruch auf ein ordentliches Verfahren durchzusetzen.

Wenig Beachtung

Unabhängig vom Verlauf des Prozesses oder der Frage, ob Pinochet irgendwann einmal verurteilt wird, stärkt dieses zweite Verfahren gegen Pinochet hat den Demokratisierungsprozess in Chile zu einem wichtigen Zeitpunkt. Bemerkenswert ist, dass die einzige harsche Reaktion auf das Verfahren von Pinochets Anwalt stammt. Weder die konservative Opposition, die die Reste der politischen Erbschaft Pinochets verwaltet, noch die Armee, haben die Stimme für ihren einstigen Führer erhoben. Die derzeitige Militärführung hüllt sich ebenfalls in Schweigen und abgesehen von einigen rechten Abgeordneten hat die Nachricht von der Anklage insgesamt kaum politische Beachtung gefunden.

Ein Grund für die Gelassenheit ist ein vor zwei Wochen veröffentlichter Bericht über Folter und Inhaftierungspraktiken während der Militärdiktatur. Er beschäftigt noch immer eine Gesellschaft, die nun angefangen hat, die Schrecken der Ereignisse vor drei Jahrzehnten zu verdauen. Zudem hat die Anerkennung der historischen Tatsachen durch die Militärs inzwischen auch den treuesten Gefolgsleuten des Generals ihrer Alibis beraubt. Selbstverständlich gibt es nach wie vor Unverbesserliche, aber deren Protest tendiert gegen Null.

Glaubwürdigkeit der Justiz

Trotzdem gibt es Anlass zur Sorge: Das institutionelle Schuldeingeständnis geht nicht mit der Haltung der Justiz einher, welche die Verbrechen anerkennt, aber nicht die Mitverantwortung. Die Mehrheit der Richter am Obersten Gerichtshof, sucht nach wie vor nach Ausreden für ihr klägliches Verhalten während der Diktatur. Angesichts dieser Tatsache, stellt Juan Guzmáns Entscheidung, Pinochet mit der Vergangenheit zu konfrontieren einen Rettungsring für die chilenische Justiz dar, die auf diesem Wege hofft, ihre Glaubwürdigkeit zurückgewinnen zu können.

Auf der anderen Seite bröckelt die Verteidigungsstrategie des Ex-Diktators, der sich auf eine Altersdemenz beruft. Richter Guzmán ist überzeugt, dass dem 89-Jährigen sehr wohl bewusst ist, was er sagt und getan hat. Sollte sich diese Auffassung durchsetzen, dürfte das weitreichende Auswirkungen auf andere Nachforschungen haben, bis hin zu den millionenschweren Geheimkonten Pinochets in den USA. Höchstwahrscheinlich wird Pinochet nie eine Gefängniszelle von innen sehen, dessen ist sich die Mehrheit der Bevölkerung bewusst. Dennoch wäre es wichtig, dass in das unausweichliche Urteil der Geschichte auch ein Urteil chilenische Gerichte Eingang findet.