Roher Streit um rohes Öl
30. Juni 2012Zwei Männer an einem Tisch verhaken ihre Zeigefinger – und versuchen, den anderen über den Tisch zu ziehen. In Bayern ist das "Fingerhakeln" ein beliebter Wirtshaussport. In der Politik ist es ein schönes Bild, um die Maßnahmen der EU gegen den Iran zu verstehen: Seit dem 1. Juli kauft die EU kein iranisches Öl mehr – und verschärft damit die Gangart. Sie will Irans Tanker erst wieder in ihre Häfen lassen, wenn Teheran ernsthaft über sein Atomprogramm verhandelt. EU und USA werfen dem Iran vor, nach Atomwaffen zu streben. Der Iran weist das zurück und pocht auf sein Recht, die Kernenergie zu friedlichen Zwecken zu nutzen.
Beide Seiten erleiden beim "Fingerhakeln" gewisse Schmerzen. Ähnlich ist es auch beim Ölembargo – die EU muss auf Öl verzichten, der Iran auf Einnahmen. Dabei brauchen beide – aller Feindseligkeit zum Trotz – den jeweils anderen. Auf lange Sicht nämlich sind der viertgrößte Ölproduzent und der zweitgrößte Ölverbraucher der Welt aufeinander angewiesen.
Das größte Problem hat Griechenland
Wen von beiden die Sanktionen stärker treffen, zeigen schon die Zahlen: Etwa ein Fünftel der iranischen Ölexporte ging bisher in die EU. Die wiederum bezog knapp sechs Prozent ihres Öls aus dem Iran. Deutschland deckte seinen Bedarf zu einem Prozent mit iranischem Öl.
"In Europa hat momentan Griechenland das größte Problem", erklärt der Münchner Ölexperte Volker Blandow von der "Association for the study of peak oil and gas" (ASPO), einer Vereinigung von Ölförderexperten. "Griechenland hatte Verträge mit dem Iran, bei denen Lieferung und Zahlung entkoppelt waren." Das bedeutet: Griechenland bekam Öl auf Pump und musste erst später dafür bezahlen. Nun aber müsse Griechenland seinen Bedarf an einer Ölbörse decken, sagt Blandow. Und für die dort übliche Vorkasse habe das Land nicht genug Bargeld. Spanien und Italien dagegen, die zwei anderen großen Abnehmer von iranischem Öl, hätten sich rechtzeitig umorientiert. "Die haben sich gut versorgen können, etwa in Saudi-Arabien. In Europa konnte man sich ja relativ verlässlich darauf vorbereiten, dass dieses Embargo in Kraft tritt", sagt Blandow. Die EU-Außenminister hatten sich im Januar auf den Importstopp zum 1. Juli geeinigt.
Kein Geld für das Ramadan-Festmahl
Den Iran dagegen treffen die Sanktionen empfindlich – so sehen es zumindest viele Analysten, darunter Blandow. "Die iranische Wirtschaft hängt sehr, sehr stark von den Einnahmen aus dem Ölexport ab. Man spricht da von etwa 30 bis 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Und wenn davon wiederum 20 bis 30 Prozent fehlen, dann tut das schon weh."
Die Ölsanktionen sind nur eine von mehreren Maßnahmen der USA und der EU gegen den Iran. Auch der Austausch von Geld und Waren ist zurzeit stark eingeschränkt. Die iranische Währung hat aufgrund dessen stark an Wert verloren. "Es ist eine Doppelklemme, in der die iranische Regierung im Moment steckt", erklärt Blandow. "Man braucht dringend die Einnahmen aus dem Ölverkauf. Und gleichzeitig sind durch die Währungsabwertung die Preise für Güter aus dem Ausland stark gestiegen."
Vor dem Beginn des islamischen Fest- und Fastenmonats Ramadan Mitte Juli sorgen sich Medienberichten zufolge viele Iraner, wie sie die nächtlichen Festmahle bezahlen sollen. Blandow glaubt, dass die Situation die iranische Regierung gefährden kann: "In Ägypten war 2010 der Eigenverbrauch an Öl höher als die Eigenproduktion. Das Land konnte also kein Öl mehr exportieren. Und im selben Moment haben die Unruhen angefangen, weil die Regierung Lebensmittel und Energie nicht mehr subventionieren konnte wie in den Jahren zuvor." Die iranischen Machthaber dagegen bestreiten, dass die Sanktionen bereits Auswirkungen zeigen. "Diese Länder [EU und USA] bereiten ihren eigenen Leuten mehr Probleme als uns", sagte der hohe Geistliche Hojatoleslam Kazem Seddiqi der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA.
Katz-und-Maus-Spiel
Wie schon in der Vergangenheit zeigt sich der Iran kreativ im Umgehen der Sanktionen. Schiffe der staatseigenen Tankerflotte fahren Medienberichten zufolge seit kurzem unter der Flagge der Pazifikinsel Tuvalu, um den Sanktionen zu entgehen. Auch eine Pipeline in Ägypten könnte den Iranern als Schlupfloch dienen. Iranische Tanker, so wird spekuliert, könnten ihr Öl in das Südende der Pipeline am Roten Meer pumpen. Am Nordende der Pipeline am Mittelmeer könnten andere Tanker das Öl aufnehmen und in Europas Häfen bringen. Nur die Ägypter wüssten von dem Etikettenschwindel – vor dem Hintergrund der ägyptisch-iranischen Wiederannäherung eine interessante Spekulation, von der auch Blandow gehört hat. "Das macht die Dinge aufwändig und teuer. Und es geht auch nicht unbegrenzt. Also die momentanen Förderkürzungen, die wir sehen im Iran zwischen 20 und 30 Prozent, die sind vermutlich das, was man nicht über Umwege aus dem Land kriegt. Diese Einbußen werden sie in jedem Fall haben."
Niedriger Ölpreis
Seit Anfang März hat der Ölpreis um rund 30 Prozent nachgegeben, die Nachfrage ist gering. "Wenn die Konjunktur in Europa und den USA wieder anzieht", sagt Blandow, "dann sitzt der Iran ganz klar am längeren Hebel. Dann brauchen wir dieses Öl. Dann wird der Ölpreis sehr stark steigen. In einer solchen Situation wäre es interessant zu sehen, wie die westliche Welt reagiert. Ob sie dann den Ölpreis über die Moral stellt."
Der Iran hat das Öl, das andere – früher oder später – dringend brauchen. Die energiehungrigen China und Indien etwa kommen als Abnehmer immer in Frage. Viel zu verlieren hat der Iran durch das EU-Embargo dennoch, weiß Blandow. "Bei einem ernsthaften Embargo bekämen die meist ausländischen Förderanlagen irgendwann keine Ersatzteile mehr. Das kann nicht im Interesse der westlichen Länder sein. Man ist langfristig auf das iranische Öl sehr angewiesen. Also können die Sanktionen nur eine temporäre Drohkulisse sein. Man wird alles tun, um zu verhindern, dass da bleibende Schäden entstehen."