EU: Russische Zinsen für ukrainische Waffen
20. März 2024Vor einem Jahr hatten die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union versprochen, eine Million Schuss für die Armee der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland zu liefern. Dieses militärische Versprechen konnte die EU bislang nur zur Hälfte einlösen.
An diesem Mittwoch jedoch wurden in Brüssel eine ganze Reihe an finanziellen und politischen Hilfsmaßnahmen für die von Russland angegriffene Nation präsentiert. Wenigstens das Geld soll weiter fließen.
50 Milliarden für ukrainischen Staatshaushalt
Zum ersten Mal trat der Assoziierungsrat von EU und Ukraine zusammen, seit die EU im Dezember offiziell den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine angekündigt hatte. In diesem Gremium werden die weiteren Schritte bis zur Aufnahme von förmlichen Beitrittsverhandlungen vorbereitet.
Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal legte einen Plan zu Reformen und zum Wiederaufbau der Ukraine vor, während der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine andauert. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gab bekannt, dass heute die erste Tranche von 4,5 Milliarden Euro aus dem insgesamt 50 Milliarden Euro umfassenden neuen Finanzierungsinstrument der EU für das Beitrittsland Ukraine ausgezahlt wurden.
Bis zum Ende des Jahres 2027 soll so der Staatshaushalt der kriegsgebeutelten Ukraine mitfinanziert werden. "Das ist ganz entscheidend für die Ukraine", sagte Ursula von der Leyen in Brüssel. Die Ukraine werde weiter unterstützt, solange es nötig sei, versprach EU-Erweiterungskommissar Oliver Varhelyi.
"Wir sind sehr dankbar für die Unterstützung", meinte der ukrainische Premierminister Schmyhal. Der Finanzierungsmechanismus sei mit seinen 50 Milliarden Euro der Schlüssel für Stabilität. "Die EU ist jetzt wirklich in höchstem Alarmzustand, weil sie weiß, dass auch ihre vitalen Interessen auf dem Spiel stehen", so Denys Schmyhal.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell lobte, dass der Beitrittskandidat Ukraine schnelle Fortschritte bei der Annäherung an die Union vorzuweisen habe, und dies alles unter Kriegsbedingungen. Wann die Beitrittsverhandlungen allerdings förmlich mit einer Regierungskonferenz aller 27 EU-Mitgliedsstaaten plus der Ukraine beginnen könnten, wollte die EU-Kommission heute noch nicht festlegen.
Dazu ist erneut ein einstimmiger Beschluss aller Mitgliedsstaaten nötig. Ungarn hatte den Beitrittsprozess der Ukraine immer wieder verzögert. Und auch beim nächsten fälligen Schritt erwarten EU-Diplomaten Widerstand oder neue Forderungen aus Budapest.
Russische Zinserträge sollen Waffen für die Ukraine finanzieren
Nach einem Grundsatzbeschluss im Februar durch die Staats- und Regierungschefs der EU hat die EU-Kommission an diesem Mittwoch einen Plan vorgelegt, wie die Gewinne aus eingefrorenem russischem Staatsvermögen in der EU für die Ukraine nutzbar gemacht werden sollen.
Es geht um Zinsgewinne von jährlich rund drei Milliarden Euro, die aus Vermögen der russischen Staatsbank beim belgischen Finanzdienstleister Euroclear erwirtschaftet werden. Vermögen der russischen Staatsbank in Höhe von fast 200 Milliarden Euro waren dort durch Sanktionen der EU eingefroren worden, konnten also von der russischen Zentralbank nicht mehr abgehoben oder transferiert werden.
Eine komplette Beschlagnahmung dieser Gelder, wie von der Ukraine gefordert, lehnt die Europäische Union mit Verweis auf rechtliche Probleme und einen Schaden für das Vertrauen internationaler Anleger in die Euro-Zone ab. Nach langen Beratungen konnten sich die EU-Staaten darauf einigen, wenigstens die Gewinne aus den russischen Geldanlagen zu beschlagnahmen.
Diese sollen fortan in einen Sonderhaushalt eingezahlt werden, die sogenannte "Europäische Friedensfazilität". Aus diesem Topf finanzieren die EU-Mitgliedsstaaten Waffenlieferungen an die Ukraine. Bislang sind in dem Fonds fünf Milliarden Euro aus Beiträgen der EU-Staaten enthalten.
Bedenken der Europäischen Zentralbank (EZB), eine Verwendung von russischen Geldern aus Euroclear könnte zu einer finanziellen Schieflage der privaten belgischen Firma und in letzter Konsequenz zu einer größeren Finanzkrise führen, sollen Rechnung getragen werden. So kann Euroclear einen Teil der Erträge aus russischem Vermögen als Sicherheit behalten, um damit Forderungen anderer Anleger und eventuelle Gerichtsverfahren zu finanzieren.
Die EZB befürchtet, dass chinesische Banken oder andere große Anleger ihre Vermögen aus Euroclear abziehen könnten und die Firma im schlimmsten Fall vom belgischen Staat gerettet werden müsste. Das wiederum könnte zu einer finanziellen Krise im Euro-Währungsraum führen.
Außerdem könnte Russland im Gegenzug Vermögen von Euroclear beschlagnahmen. Etwa 33 Milliarden Euro der belgischen Finanzdienstleister sollen in Moskau geparkt sein. Auf Drängen der EZB will die EU nur zusammen mit anderen westlichen Industriestaaten der G7 handeln, denn auch in den USA, Japan und Großbritannien hält die russische Staatsbank Vermögen, wenn auch in geringerem Umfang.
Moskau spricht von "Diebstahl"
Die Staats- und Regierungschefs der EU sollen sich mit dem Plan zum Abschöpfen der russischen Gewinne an diesem Donnerstag befassen. Deutschland hatte seinen ursprünglichen Widerstand gegen das Modell zuletzt aufgegeben.
Belgien hat angekündigt, die Kapitalsteuern in Höhe von 25 Prozent, die auf die russischen Gewinne anfallen, an die Ukraine zu überweisen. Die EU betritt mit der möglichen Verwendung russischer Gelder für die Finanzierung ukrainischer Waffenverkäufe Neuland.
Bislang hat es die Beschlagnahme von Auslandsvermögen staatlicher Banken nur nach Beendigung von Kriegen gegeben, etwa nach dem ersten Golfkrieg des Iraks gegen Kuwait 1991 oder nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Die Reaktion aus Moskau ließ deshalb auch nicht lange auch sich warten. Der Sprecher des Kreml, Dmitri Peskow erklärte, die Reputation des Westens als sicherer Hafen für Anlagen werde zerstört.
"Der Schaden ist unabweisbar. Personen, die die Entscheidungen fällen, und Staaten, die so entscheiden, werden natürlich Objekte der Strafverfolgung für viele Jahrzehnte sein", sagte Peskow. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums sprach von "Banditentum und Diebstahl".
Wieder Zölle auf Agrarprodukte aus der Ukraine möglich
In der Nacht zu Mittwoch einigten sich die EU-Mitgliedsstaaten darauf, den zollfreien Import von Waren aus der Ukraine für ein weiteres Jahr zu verlängern. Ausgenommen werden sollen aber auf Druck von protestierenden Bauern einige Agrarprodukte, wie Honig, Eier, Geflügel, Zucker, Mais und Hafer. Auf diese Produkte können von Juni an wieder Einfuhrzölle in der EU fällig werden, wenn die Einfuhren bestimmte Mengen überschreiten.
Der ukrainische Premier Denys Schmyhal zeigte sich mit den Beschlüssen zufrieden, denn die festgelegten Obergrenzen bei den kritischen Produkten würde die Ukraine sowieso nicht erreichen. Die Obergrenze ergibt sich aus den durchschnittlichen Werten für die Jahre 2022 und 2023. Ob polnische Bauern, die wegen billiger Konkurrenz aus der Ukraine Grenzübergänge blockieren, so besänftigt werden können, bleibt abzuwarten.