Polens Bauern protestieren wieder: Jetzt wird es politischer
6. März 2024Eine Woche nach dem großangelegten Sternmarsch haben am Mittwoch (06.03.2024) erneut Zehntausende Landwirte die polnische Hauptstadt Warschau für viele Stunden lahmgelegt. Diesmal schloss sich dem Protest erstmals die eng mit der im Oktober abgewählten nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) verbundene Gewerkschaft NSZZ Solidarnosc an. Das gab der Protestaktion eine klare politische Spitze gegen die neue Mitte-Links-Regierung von Donald Tusk, die seit knapp drei Monaten regiert.
Vor dem Regierungssitz in Warschau demonstrierten außer den Bauern auch Vieh- und Nerzzüchter, Jäger, Forstarbeiter und Imker, aber auch Beschäftigte der Speditionsfirmen und Bergleute. Sie forderten die Schließung der Grenze zur Ukraine sowie die Abschaffung des Green Deals, des Reformpakets also, mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden möchte. "Wir stehen auf der Seite der Landwirte. Wir müssen den Green Deal in die Mülltonne werfen", rief Solidarnosc-Chef Piotr Duda den Demonstrierenden bei der Protestveranstaltung zu. Er verwarf die Brüsseler Umweltpläne als "linksextreme Ideen".
Nach Angaben der Organisatoren beteiligten sich am Protest 150.000 Teilnehmer. Nach Informationen der Warschauer Stadtverwaltung waren es etwa 30.000. Auch nach dem offiziellen Ende der Demo verblieb ein großer Teil der Protestierenden vor dem Parlament, vereinzelt kam es zu Ausschreitungen. Einige Teilnehmer bewarfen die Sicherheitskräfte mit Pflastersteinen und Feuerwerkskörpern, die Polizei setzte Tränengas ein. Nach Angaben der Polizei wurden einige Beamte verletzt und etwa ein Dutzend Demonstranten festgenommen.
Die Protestaktion beschränkte sich nicht auf Warschau. Blockiert wurden unter anderem die Autobahn A2 zwischen Poznan und Lodz sowie die Schnellstraße S7 zwischen Gdansk und Elblag.
Ein Sarg, brennende Reifen und Kampfpanzer aus Stroh
Die Stimmung war von Anfang an geladen. Vor dem Regierungssitz verbrannten die Demonstranten symbolisch einen Sarg mit der Aufschrift "Ein Bauer - er lebte 20 Jahre, der Green Deal tötete ihn". Autoreifen wurden angezündet, Feuerwerkskörper abgefeuert und ein aus Stroh gebauter Kampfpanzer in Stellung gebracht. Über der Gegend hingen dichte Rauchwolken.
Der polnische Landwirtschaftsminister Czeslaw Siekierski warf der Opposition vor, die Proteste anzuheizen, um von der eigenen Verantwortung abzulenken. "Die Gespräche mit den Landwirten liefen gut, bis sich die Politiker eingemischt haben. Die Opposition hat das Problem politisiert", sagte er im Parlament.
Tusk: "Parade der Betrüger"
Als eine "Parade der Betrüger" bezeichnete der polnische Regierungschef Donald Tusk die Demonstration. Er erinnerte am Vortrag daran, dass er bereits im Sommer 2022 vor den negativen Folgen der Öffnung der polnischen Grenze für zollfreie Getreideimporte aus der Ukraine gewarnt hatte. Damals wurde er vom Chef der damals noch regierenden PiS-Partei, Jaroslaw Kaczynski, als russischer Agent beschimpft. Die PiS lobte zunächst den Green Deal als "ihr" Projekt, entworfen federführend von ihrem EU-Kommissar Janusz Wojciechowski. "Und jetzt marschieren die PiS-Politiker in der ersten Reihe der Protestierenden mit", so Regierungschef Tusk.
Tusk weiß jedoch, dass er den Protest trotz der Vereinnahmung durch die Opposition nicht ignorieren kann. Denn abgesehen von den Provokationen der PiS hat die Unruhe unter den Landwirten auch reale Gründe. Deshalb traf er sich am vergangenen Freitag (01.03.2024) mit Vertretern der Protestierenden, vorerst ohne Ergebnis. Für diesen Samstag wurde ein neues Treffen angekündigt.
Parlamentsbeschluss soll Brüssel umstimmen
Auf Tusks Anregung hin soll am Donnerstag (07.03.2024) über einen möglichen Parlamentsbeschluss beraten werden. Darin appelliert die Regierung an die Europäische Union, die Getreideeinfuhren aus Russland und Belarus vollständig zu verbieten. Als Vorbild soll Lettland dienen, das ein solches Verbot bereits beschlossen hat.
Im Parlamentsbeschluss fordert Polen zudem die Wiedereinführung der Zölle auf Lebensmittel aus der Ukraine, wie vor dem Kriegsausbruch, sowie eine Änderung des Green Deals. Die EU soll auch das Getreide aufkaufen, das in den polnischen Speichern noch von vergangenen Ernten gelagert wird - nach Regierungsangaben etwa neun Millionen Tonnen - und das Korn im Rahmen humanitärer Hilfe nach Afrika und Asien bringen.
Macht die EU beim Green Deal einen Rückzieher?
Es sieht so aus, als ob Brüssel dem polnischen Premier schnell entgegenkommen wolle. EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski sagte dem Sender RMF FM, dass die Europäische Kommission bereits in der nächsten Woche Vorschläge unterbreiten will, die die polnischen Postulate berücksichtigen.
Im Streit mit der Ukraine bewegt sich die polnische Regierung jedoch auf dünnem Eis. Aktuelle Zahlen zeigen: Polen verdient beim Handel mit dem östlichen Nachbarn viel mehr als umgekehrt und würde sich bei der Grenzschließung ins eigene Fleisch schneiden. 2023 betrug der polnische Handelsüberschuss mehr als 31 Milliarden Zloty (mehr als 7 Milliarden Euro).
Kiew: In der Ukraine fließt das Blut der Bauern
Für die Ukraine geht es bei der Diskussion um die Bauernproteste nicht nur um das Getreide - sondern auch um Solidarität. "Wir verstehen die innenpolitische Situation in Polen, doch in der Ukraine fließt heute das Blut der Landwirte, sie verlieren ihre Leben, ihre Maschinen und ihren Boden. Sie leiden nicht weniger als ihre Nachbarn", wird der ukrainische Regierungschef Denyz Szmyhal in der Gazeta Wyborcza zitiert.
Der Konflikt mit Kiew ist im Interesse der rechtsnationalistischen Partei Konfederacja, die aus ihrer prorussischen Sympathie keinen Hehl macht und seit langem eine Einstellung der Hilfe für die Ukraine fordert. Ihre Politiker mischen bei Protesten der Landwirte kräftig mit.
"Dieser Konflikt ist im Interesse Putins", schreibt Ernest Skalski in der Gazeta Wyborcza. Die Organisatoren der Proteste distanzieren sich zwar von prorussischen Parolen, die vereinzelt bei Demonstrationen und Blockaden auftauchen. Jedoch: "Prorussische Zwischenfälle sind Wasser auf den Mühlen russischer Propaganda. Man kann nicht ausschließen, dass sie vom Kreml angeregt wurden. Russland braucht offene Feindschaft gegen die Ukraine und EU", betonte der Publizist.
Kaczynski bleibt und will weiterkämpfen
Die Proteste werden durch den begonnenen Wahlkampf vor den Kommunalwahlen am 07.04.2024 befeuert. Die PiS hofft, nach der Niederlage bei der Parlamentswahl im vergangenen Oktober den weiteren Stimmenrückgang zu stoppen. PiS-Chef Kaczynski, der sein Amt eigentlich im kommenden Jahr abgeben wollte, hat seine Meinung kurzfristig geändert und will nun, befeuert durch die Proteste, weiterkämpfen. "Ich werde meine Kandidatur für den PiS-Vorsitz anmelden und um die Wiederwahl bitten", sagte der 74-Jährige.
Dabei setzt er auf die Eskalation des Streits mit den Landwirten. "Der Konflikt kann durch Unterstützung der Solidarnosc zur Änderung der politischen Lage führen", schwärmte er im Gespräch mit dem konservativen Wochenblatt Sieci.