Europas Bauern auf den Barrikaden
25. Mai 2009Unter dem Geläut von Kuhglocken zogen nach Polizeiangaben am Montag (25.05.2009) rund 900 Landwirte aus zehn EU-Staaten ins Europaviertel. An der Demonstration des europäischen Milcherzeuger-Verbandes European Milk Board (EMB) beteiligten sich auch Bauern aus Deutschland, Frankreich, Dänemark und den Niederlanden.
Milchquote soll bleiben
Hauptforderung der Bauern ist der Erhalt der Milchquote, die Höchstmengen für die Erzeugung vorschreibt. Nach einem EU-Beschluss soll die Quote bis 2014/2015 auslaufen und bis dahin jährlich um ein Prozent angehoben werden. Die Milchbauern fürchten weitere Preisrückgänge, wenn die Beschränkung wegfällt.
Am Montagnachmittag wollen sich die EU-Agrarminister in Brüssel mit den Milchpreisen befassen. Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) hatte kürzlich ein Vorziehen von EU-Subventionen unter anderem für Milchbauern vorgeschlagen. Ob der Vorstoß Erfolg hat, ist weiter offen.
Molkerei-Blockaden in Frankreich
In Frankreich haben Bauern bei Protesten gegen die fallenden Milchpreise über 80 Molkereien im ganzen Land blockiert. An den Protesten beteiligten sich 12.000 Menschen, wie der Bauernverband FNSEA am Montag mitteilte. Dies seien dreimal so viele wie beim ersten landesweiten Protesttag vor knapp einer Woche. Die französischen Bauern verlangen eine Erhöhung des Abnahmepreises für ihre Milch, der im Vergleich zum vergangenen Jahr um fast ein Drittel gefallen ist. Derzeit liegt der Preis pro Liter bei 21 Cent; die Bauern wollen 30,5 Cent. Mit ihrem Protest wollen die französischen Bauern auch Druck auf die Sitzung der EU-Agrarminister in Brüssel ausüben.
Laut dem Pariser Landwirtschaftsministerium wollen Deutschland und Frankreich dort gemeinsam von der EU-Kommission einen Zwischenbericht zur Lage auf dem Milchmarkt fordern. "Zwei politische Treffen sind 2010 und 2012 vorgesehen, um über die Optionen einschließlich der Zukunft der Quoten zu entscheiden", erinnerte das Ministerium am Sonntagabend. Zahlreiche Milcherzeuger verlangen inzwischen Produktionsbeschränkungen, um die Preise wieder steigen zu lassen. Dazu müsste auf geplante Quotenerhöhungen in Europa verzichtet und ihre erwartete EU-weite Abschaffung 2014 aufgegeben werden.
Deutsche Bauern protestieren gegen Preisverfall
Mit einer Großdemonstration haben am Montag auch in Berlin tausende Landwirte aus allen Teilen Deutschlands gegen fallende Lebensmittelpreise protestiert. Die Bauern-Proteste waren begleitet von einer Traktoren-Sternfahrt zur Siegessäule nahe dem Bundestag und dem Kanzleramt. Laut Deutschem Bauernverband (DBV), der zu der Aktion aufgerufen hatte, demonstrierten rund 6000 Landwirte. DBV-Präsident Gerd Sonnleitner griff in einer Rede vor den Bauern unter anderem Billig-Supermarktketten wie Aldi und Lidl an und warf ihnen "modernes Raubritter- und Freibeutertum" vor.
Wegen der Wirtschaftskrise sind derzeit auch die Preise für viele Lebensmittel-Rohstoffe wie etwa Milch unter Druck. Schon seit Monaten gibt es unter den Discountern einen massiven Preiskampf, mit dem sie höhere Marktanteile erobern wollen. Dabei versuchen sie auch, über günstige Milchprodukte bei den Verbrauchern zu punkten. Sonnleitner forderte deswegen, den "Wahnsinn der Preisspirale" nach unten zu stoppen. Sonst drohten zahlreiche Arbeitsplätze auf Bauernhöfen und in Molkereien wegzufallen. Auch sei die Qualitätssicherung gefährdet.
Große Koalition will Agrar-Dieselsteuer senken
Der Bauernpräsident forderte die Bundesregierung auf, ein Krisenpaket für die Landwirtschaft auf den Weg zu bringen. Die Politik müsse die Besteuerung von Agrardiesel - die in Deutschland im EU-Vergleich am höchsten ist - deutlich absenken und sich für eine vorgezogene Auszahlung der EU-Betriebsprämie einsetzen. - Die Senkung der Steuer auf Agrardiesel hat die Große Koalition inzwischen eingeleitet. Die Fraktionsvorsitzenden von Union und SPD, Volker Kauder und Peter Struck, legten am Montag eine Senkung von derzeit 40 auf 25 Cent pro Liter für den Zeitraum von zunächst zwei Jahren fest. Die Bauern verlangen hingegen eine Verringerung auf 10 Cent.
Die Bundesregierung räumte ein, dass Milchbauern in keinem Teil Deutschlands angesichts des Milchpreisverfalls von bis zu 40 auf 18 bis 20 Cent je Liter noch kostendeckend produzieren könnten. Sprecher Ulrich Wilhelm sagte: "Die Situation ist von deutlichen Verschlechterungen geprägt." Mit Liquiditätshilfen sollen jene Bauern unterstützt werden, die investiert hätten und nun ihre Verbindlichkeiten nicht bedienen könnten.
Zeitgleich mit den Bauernprotesten in Berlin hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den deutschen Landwirten nochmals Unterstützung zugesichert. "Wir werden uns des Themas annehmen", sagte Merkel am Montag in Berlin. Angesichts der Milchkrise lud sie die Bauern für Freitag zu einem Spitzentreffen ins Kanzleramt ein. (je/mm/dpa/afp/ap)