Fluch des Öls
17. August 2008Entführungen, Anschläge, Sabotage: Das Nigerdelta im Süden Nigerias kommt aus den negativen Schlagzeilen nicht heraus. In den letzten Jahren hat sich hier unter Kriminellen ein neuer Geschäftszweig entwickelt - die Entführung ausländischer Angestellter von Ölfirmen. Nachdem diese besser geschützt werden, spezialisierten sich Kriminelle auf einheimische Mitarbeiter.
Bauunternehmen verläßt Krisenherd
Wie viele andere Firmen zuvor, zieht das deutsche Bau-Unternehmen Julius Berger Konsequenzen und evakuiert derzeit seine Standorte in den besonders gefährlichen Bundesstaaten des Nigerdeltas: River und Bayelsa. Das Unternehmen könne die Sicherheit der Mitarbeiter nicht mehr gewährleisten. Erst am Freitag (15.08.2008) sind zwei deutsche Ingenieure der Firma nach fünf Monaten Geiselhaft befreit worden. Insgesamt sieben Entführungen musste das Bau-Unternehmen in Nigeria bisher teuer verschmerzen. Julius Berger, eine Tochter des Mannheimer Bauriesen Bilfinger und Berger, ist das größte Bauunternehmen in Nigeria und bedient viele staatliche Aufträge. Es hat zum Beispiel den Präsidentenpalast, das Nationalstadion und mehrere Ministerien gebaut. Landesweit sind rund 17.000 Nigerianer hier beschäftigt und 500 Deutsche. Etwa ein Drittel der Beschäftigten ist nach Angaben des Unternehmens von der Evakuierung betroffen. Julius Berger hinterlässt verwaiste Baustellen, unter anderem ein großes Straßenbauprojekt.
Keine "Robin Hoods": Die Rebellen im Delta
Immer wieder war die Firma von der Separatistengruppe "Movement for the Emancipation of the Niger Delta" (Mend) bedroht worden. Die Forderung: Julius Berger, wie auch die hier ansässigen Ölfirmen, sollten sich aus dem Nigerdelta zurückziehen. Die Mend kämpft für die Abspaltung der ölreichen Region vom Rest des Landes. Die Menschen im Nigerdelta stehen mehrheitlich hinter den politischen Zielen der Mend, nicht aber den Methoden. Matthias Basedau vom GIGA-Institut in Hamburg (Global Institut für Regional und Area Studies) warnt allerdings davor, die Mend zu heldenhaften "Robin Hoods" zu stilisieren. In Wirklichkeit mischten sich politische Ziele mit kriminellen und kommerziellen Interessen. Es gäbe aber auch immer mehr Trittbrettfahrer, die im Windschatten der Mend auf eigene Faust Geiseln nehmen, um Lösegeld zu erpressen.
Basedau diagnostiziert einen "klaren Frustrationskonflikt". Kriminelle Jugendbanden verbünden sich mit unterbezahlten Polizisten, Militärs aber auch mit erfolglosen Lokalpolitikern. Sie holen sich mit Gewalt ein Stück vom Ölreichtum des Landes.
Ölgeld macht arm
Obwohl Nigeria der größte Ölexporteur Afrikas ist, wird die Bevölkerung immer ärmer. 70 Prozent der Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Mehr als 90 Prozent der Exporterlöse erzielt Nigeria aus dem Ölgeschäft. Zwischen 1,5 bis zu 3 Millionen Barrel produziert das Land pro Tag. Nigeria hat sich komplett auf Öl eingestellt und anderen Wirtschaftszweigen dadurch schwer geschadet. "Ressourcenfluch" nennt die Wissenschaft dieses Phänomen, das in Nigeria besonders deutlich ausgeprägt ist. Durch sprudelnde Öleinnahmen steigt die Geldmenge im Land. Dadurch entsteht Inflation. Alles wird teurer. Landwirtschaft und verarbeitende Industrie sind international nicht mehr konkurrenzfähig und sterben ab. Genau das ist in Nigeria geschehen. Das Land hat sich vom Öl und seinen Preisschwankungen abhängig gemacht. Heute müssen Nahrungsmittel teuer importiert werden.
Die Menschen im Nigerdelta, die zum größten Teil von Fischerei und Ackerbau in Subsistenzwirtschaft leben, haben zudem mit großen Umweltschäden zu kämpfen. 10.000 Kilometer Ölpipeline ziehen sich durch das Nigerdelta, schlecht gewartet und nicht zu kontrollieren. Separatisten verüben vermehrt Sabotageakte und schlagen Lecks in die Rohre. Dadurch, aber auch durch simple Korrosionsschäden, sickern Tage lang unbemerkt, riesige Mengen Öl in die Erde.
Korruption ist allgegenwärtig
"In Nigeria dreht sich die Innenpolitik um das eine Thema: 'Wie werden die Ölmilliarden verteilt?', berichtet Stefan Cramer, Leiter der Außenstelle der Heinrich-Böll-Stiftung in Lagos. 13 Prozent des Ölgeldes dürfen die einzelnen Bundesstaaten behalten, der Rest geht an die Zentralregierung, die das Geld weiter umverteilt. Die Bundesstaaten in Nigerdelta fordern mehr. Sie wollen die Hälfte der Einnahmen. Aber auch wenn sie das durchsetzten, bleibt es fraglich, ob die Bevölkerung tatsächlich davon profitieren würde. Denn wie das Öl aus den Pipelines leckt, so versickern die Gelder in der Bürokratie. Nigeria ist eines der korruptesten Länder der Welt. Die Weltbank geht davon aus, dass ein Drittel der Ölförderung außer Landes geschmuggelt wird. "Das geht nur mit der Hilfe von Experten und einer gut funktionierenden organisierten Kriminalität", urteilt Nigeria-Experte Stefan Cramer. Große Tankschiffe verlassen täglich unkontrolliert die Westküste.
Solange die Bevölkerung weiter verarmt, kann sich kein sozialer Friede einstellen. "Der Staat muss endlich eine konsequente Entwicklungspolitik im Nigerdelta betreiben", fordert Cramer. Er müsse die Grundlagen dafür schaffen, dass sich andere Wirtschaftszweige erholen könnten. Dazu müsse die Stromversorgung sicher gestellt werden. Und es sei notwendig, das Straßennetz auszubauen. Nur so könne man der Landflucht Einhalt gebieten, so Cramer. Die Realität ist noch sehr weit davon entfernt. Im Nigerdelta liegen vorerst die Baustellen brach.