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Hollande in Not

Carolin Lohrenz15. April 2013

Millionen Arbeitslose, rüde Budgetkürzungen: Frankreich steckte schon in einer historischen Krise, bevor sein Budgetminister bei der Steuerflucht erwischt wurde. Wird das Land in der Krise seinem Präsidenten entgleiten?

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Foto: REUTERS/Christian Hartmann
Bild: Reuters

"Lupenrein" sollte die Republik werden, fort von der Klüngelbande des "Omnipräsidenten" Nicolas Sarkozy. Sozial gerecht, würdig und vor allem wirtschaftlich stark sollte Frankreich werden und so ein Gegenmodell zu Angela Merkels "Sparrepublik" in Europa darstellen. Aber der Präsident François Hollande, der vor etwas mehr als zehn Monaten antrat, die Deutschen das Fürchten zu lehren, ist heute vor allem eines: geschwächt.

Die Kritik der EU-Kommission, die jüngst vor der französischen Gefahr für die Eurozone warnte, erinnert an einen Troika-Bericht über südeuropäische Krisenstaaten: schlechte Handelsbilanz, sinkende Wettbewerbsfähigkeit, hohe Staatsverschuldung, rückläufiger Export, verkrusteter Arbeitsmarkt, Rekordarbeitslosigkeit und hohe Lohnkosten. Das Defizitziel von 3 Prozent könne dieses Jahr nicht eingehalten werden, wurde letzten Monat bekannt. Und gleichzeitig korrigierte Paris die Wachstumsprognosen für 2013 gerade von 0,8 auf 0,1 Prozent herunter.

Unglaubwürdiger Präsident

Jetzt wäre also ein starker Präsident gefragt. Aber seit dem Rücktritt von Haushaltsminister Jérôme Cahuzac entgleitet dem Elysée-Palast das politische Tagesgeschäft. Ausgerechnet der Mann, der für Hollande so dringend den Staat gesundsparen und den Franzosen "nötige" Opfer abverlangen sollte, entpuppte sich nicht nur als Lügner, sondern auch als Steuerflüchtling. 600.000 Euro hatte er auf einem geheimen Auslandskonto gelagert. Am 19. März war er zurückgetreten. Eine politische Bombe mit weitreichenden Folgen für die Handlungsfähigkeit des Präsidenten.

Jerome Cahuzac vor Europa-Flagge stehend. FOTO: REUTERS/Charles Platiau
Jerome CahuzacBild: Reuters

"Seit der Cahuzac-Affäre zweifeln die Franzosen sogar an der Person François Hollandes, an seiner Autorität und Glaubwürdigkeit als Präsident", erklärt Guillaume Roquette, Journalist beim Magazin "Le Figaro". "Wenn der Staatschef nicht in den nächsten Wochen eine starke politische Initiative ergreift, dann droht uns eine Regierungskrise."

Nur ein Viertel hat noch Vertrauen

Die Zahlen sind in der Tat erschreckend. Nur rund ein Viertel der Franzosen hat noch Vertrauen in den Präsidenten. Auf seiner Linken, bei den Grünen und der Linkspartei, aber auch in den eigenen Reihen bricht Hollande die Unterstützung weg. Die Opposition gibt sich immer aggressiver. Keine gute Voraussetzung für den strukturellen Umbau, den er dem Land noch dieses Jahr verordnen will. Der Arbeitsmarkt soll reformiert werden, das Rentensystem und die Familienpolitik. Alles "Großbaustellen", wie die Franzosen sagen. Aber die Zweifel wachsen, dass die Wähler sie mittragen. 2014 stehen landesweit Kommunalwahlen an.

Proteste gegen die Arbeitsmarktreform am 9. April 2013 in Marseille; Menschen mit Plakaten auf Straße; Foto: REUTERS/Jean-Paul Pelissier
Proteste gegen die Arbeitsmarktreformen am 9. April 2013 in MarseilleBild: Reuters

"Politisch folgt jetzt als allererstes die Wut“, sagt der Historiker Max Gallo. „Die Wut der Steuerzahler. Was aber hält eine Demokratie am Laufen? Das Volk, das akzeptiert, Steuern zu zahlen, weil es an das System glaubt. Heute, mit Cahuzac, kann das Volk nicht mehr an die Steuern glauben. Wir können uns für die nächste Zeit auf Proteste einrichten, wohl keine gewaltsamen, aber nicht minder heftige."

"Die Sozialdemokratie à la Hollande ist gescheitert"

Mit einem eilig zusammengeschriebenen Gesetz zur Moralisierung der Politik und der Aufforderung an alle Minister, ihre Vermögensverhältnisse offen zu legen, soll das Image der Regierung aufpoliert werden. Aber für viele ist die Initiative nur ein weiterer Beweis dafür, dass ihr Präsident ein Getriebener ist. Welchem Frankreich seine Politik dient, welchem Europa sie Opfer bringen sollen, das ist für die Bürger kaum erkennbar.

Fazit: Als Landes- und Europapolitiker sei Hollande schwächer denn je, urteilt Christophe Barbier vom Wochenmagazin L'Express: "Er wollte für eine renovierte Sozialdemokratie stehen. Starker Staat und unternehmensfreundlicher Interventionismus bei gleichzeitiger linker Steuerpolitik. Diese Sozialdemokratie à la Hollande ist gescheitert. Die Franzosen folgen ihr nicht, in Europa übernimmt niemand dieses Modell, Europa will nicht auf Hollandes Linie einschwenken. Kurz: Er sitzt in der Sackgasse."

Durchregieren, in Frankreich — und Europa

Trotzdem muss Hollande keine Revolution und Europa keine Regierungskrise in Frankreich fürchten. Die überragende Machtstellung des Präsidenten in der Verfassung erlaubt es ihm, auch in Vertrauenskrisen einfach durchzuregieren und auf bessere Zeiten zu hoffen.

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück (l) trifft am 05.04.2013 Frankreichs Präsident Francois Hollande im Elyseepalast. Foto: Jlgphotographe +++(c) dpa - Bildfunk+++
Freunde in der Not: Peer Steinbrück und François HollandeBild: picture-alliance/dpa

Darum gibt es noch eine europäische Agenda für den Präsidenten. Vielleicht gerade weil zuhause die Glaubwürdigkeit verloren ist, könnte sie sogar Rettung versprechen. Stoisch erklärte Hollande an der Seite Peer Steinbrücks, dass Sparen auf Biegen und Brechen nicht das Allheilmittel des Kontinents sein könne. Zahlreiche Kommentatoren sahen in dem Empfang des SPD-Kanzlerkandidaten im Elysée-Palast auch einen späten Hieb gegen Angela Merkel, die seinerzeit für Sarkozy Wahlkampf betrieben hatte.

Und einigen gilt der Widerstand auf europäischer Ebene sogar als Mittel, um die heimischen Wähler zurückzuerobern: "In zwei Wochen findet der nächste Gipfel in Brüssel statt", sagt der sozialistische Abgeordnete Emmanuel Maurel. "Wenn François Hollande jetzt dahin ginge, gerade mit dem Wissen im Hinterkopf, was in Frankreich gerade los ist - ein Aufschrei, eine Hoffnung auf Änderung - und auf dem Gipfel sagen würde ´Ich will die absolute Sparpolitik nicht mehr.', dann würden die Konservativen zwar maulen", so Maurel. Die Unterstützung durch das eigene Volk könnte Hollande so aber eventuell wieder gewinnen.