"Friedensstifterin" Susan Sontag
12. Oktober 2003Die erbitterte Gegnerin der US-Politik kritisierte am Sonntag (12.10.2003) in ihrer Rede das "imperiale Programm" von Präsident George W. Bush und das Fehlen des amerikanischen Botschafters beim Festakt. Die mit Spannung erwartete Rede war jedoch weitgehend philosophisch angelegt und beleuchtete die Wurzeln für die derzeitige Entfremdung zwischen den USA und Europa.
Vor rund 700 Gästen in der Paulskirche nannte Börsenvereins-Vorsteher Dieter Schormann die 70-jährige Autorin eine "Friedensstifterin mit ausgeprägten Sensoren für Moral und Unmoral". Sontag sei keine Diplomatin, sondern sehe es als ihre erste Pflicht an, die Wahrheit auszusprechen. Sontag, die als hervorragende Kennerin der deutschen Literatur und "europäischste Intellektuelle" in den USA gilt, ist vor allem durch kultur- und zeitkritische Bücher international bekannt geworden. Der Friedenspreis wird seit 1950 verliehen. Mit Sontag geht die mit 15.000 Euro dotierte Auszeichnung zum vierten Mal in die USA.
Altes und neues Europa
"Es ist kein Zufall, dass der energische amerikanische Verteidigungsminister einen Keil zwischen die Länder Europas zu treiben versuchte, indem er auf unvergessliche Art zwischen dem 'alten' – schlechten - und dem 'neuen' – guten - Europa unterschied", sagte Sontag in Anspielung auf Donald Rumsfelds Äußerungen vor dem Irak-Feldzug. Die Autorin erinnerte daran, dass es seit Gründung der Vereinigten Staaten als "neo-europäischem Land" stets einen unterschwelligen Gegensatz zum "alten" Europa gegeben habe.
Sontag zeigte keinerlei Verständnis für den Vorwurf, Deutschland mangle es an missionarischem Eifer zur kriegerischen Verteidigung dieser Zivilisation. Man könne einem Land, das fast ein Jahrhundert lang Schrecken über die Welt gebracht habe, nicht jetzt vorwerfen, pazifistisch zu sein. Den Menschen in den USA fällt es nach Ansicht von Sontag schwer, die Welt nicht in polarisierenden Kategorien - "die" und "wir" - zu sehen. Das begünstige nun die "imperialistischen Tendenzen" der US-Politik. "Die Amerikaner haben sich daran gewöhnt, die Welt als eine Welt von Feinden wahrzunehmen."
Kritik an Coats
Angesichts der Unterschiede zwischen den USA und Europa seien die Gegensätze nicht so schnell zu lösen. "Die Vorherrschaft Amerikas ist eine Tatsache. Aber Amerika, wie inzwischen auch seine derzeitige Regierung einzusehen beginnt, kann nicht alles alleine machen", sagte Sontag. Verständigung könne sich nur ergeben, wenn "wir gründlicher über den ehrwürdigen Gegensatz zwischen 'Altem' und 'Neuem' nachdenken".
Die Schriftstellering übte am US-Botschafter Daniel Coats verhaltende Kritik, wegen dessen Abwesenheit bei der Feier in der Frankfurter Paulskirche. In ihrer Dankesrede nach Entgegennahme der Auszeichnung sagte sie, dass Coats mit seinem Fehlen die ideologische Position der Regierung von George W. Bush bekräftige.
Schlechter Witz in Kalifornien
Den Sieg des Schauspielers Arnold Schwarzenegger bei den Gouverneurswahlen im US-Bundesstaat Kalifornien hatte Sontag tags zuvor als "schlechten Witz" bezeichnet und gesagt, die Kalifornier täten ihr leid. "Ich habe geglaubt, Schwarzenegger sei ein schlechter Witz, aber nun ist dieser schlechte Witz Realität." Der ehemalige Bodybuilder aus Österreich war in der vergangenen Woche zum Gouverneur des bevölkerungsreichsten US-Bundesstaates gewählt worden.