G7 in Biarritz - Macrons Alptraum-Gipfel
23. August 2019Der erste Schlagabtausch fand schon vor Beginn des G7-Gipfeltreffens statt: zwischen Emmanuel Macron und dem abwesenden brasilianischen Staatschef Jair Bolsonaro. Er habe bei seinen Zusagen zum Klimaschutz "gelogen", warf der Franzose dem Brasilianer vor. Er werde deswegen das Mercosur-Freihandelsabkommen, das die EU im Juli auch mit Brasilien unterzeichnet hatte, nicht ratifizieren. Irland schloss sich dieser Entscheidung an. Bolsonaro warf Macron daraufhin "koloniales Verhalten" vor. Das Reizthema Klimawandel sorgte für den ersten Knall noch vor dem Beginn des G7-Treffens.
Biarritz als Geisterstadt
Das Zentrum des alten Seebads Biarritz ist ringsum abgesperrt und ausgestorben wie eine Geisterstadt. Der breite Strand vor dem Veranstaltungsort, dem Hotel du Palais, ist leergefegt, und selbst das Meer ist für Schwimmer und Surfer gesperrt. Dabei ist die prunkvolle Sommervilla von Napoleon III., Mitte des 19. Jahrhunderts erbaut, vielleicht nicht der passendste Ort, um über globale Ungleichheit zu beraten, wie Kritiker des G7-Treffens bereits spöttisch anmerkten. Für die Sicherheit der Staatsgäste sorgen 13.200 Polizisten, und sogar Anwohner müssen einen Sonderausweis tragen.
Die erwarteten Gegendemonstranten sind aus der Stadt verdrängt und versammeln sich im französischen Grenzort Hendaye und im gegenüberliegenden spanischen Irun. Die Polizei hatte schon vorab versucht, Mitglieder des gewaltbereiten schwarzen Block zu identifizieren. Darüber hinaus werden radikale Gelbwesten und verschiedene Gruppen von Globalisierungskritikern erwartet. Die Hauptkundgebung der Gipfelgegner ist für Samstagmittag geplant, noch bevor die Regierungschefs sich zu einem informellen Abendessen versammeln. Sollte es zu Ausschreitungen kommen, wie bei einigen früheren Gipfeltreffen, dann finden sie jedenfalls weit entfernt von den perfekt abgeschirmten Teilnehmern statt.
Bahn frei für den Handelskrieg
Vor dem offiziellen G7-Beginn setzte China seinen nächsten politischen Nadelstich gegen den US-Präsidenten. Natürlich war es kein Zufall, dass China gerade dieses Wochenende wählte, um weitere Zölle von 75 Milliarden Dollar gegen US-Güter zu verhängen. Der US-Präsident schlug sofort per Twitter zurück und beklagte die Milliarden, die die USA im Laufe der Jahre wegen unfairer Handelsbedingungen und den Diebstahl ihres geistigen Eigentums durch die chinesische Seite verloren hätten.
Aber nicht nur die nächste Runde in diesem Handelskrieg, auch die drohende Rezession, die ihm den Wahlkampf verderben könnte, sein Zank mit der US-Zentralbank über die richtige Geldpolitik und eigentlich jedes weitere weltpolitische Thema verderben Donald Trump die Laune. Die Situation bietet quasi eine Garantie dafür, dass er in maximal kampfeslustiger Stimmung in Biarritz eintreffen wird.
Vor allem die allgemeine Diskussion über ein neues Verhältnis zu China, an dem auch die EU großes Interesse hat, kann unter diesen Umständen keine konstruktiven Lösungen hervorbringen. Sobald nämlich der US-Präsident die Einzelheiten seiner Gegenschläge veröffentlicht hat, ist die Bahn frei für die nächste Umdrehung in der sich aufheizenden Auseinandersetzung. Dabei wären Reformen der Welthandelsorganisation, eine gemeinsame Position gegenüber Peking und die Frage, ob ein regelbasierter Welthandel eine Zukunft hat, drängende Fragen.
Die Boris-Show
Der neue britische Premier tritt zum ersten Mal in diesem Rahmen auf. Seine Vorbereitungstreffen in Berlin und Paris haben ihn dabei - entgegen manchen Darstellungen in der britischen Presse - beim Brexit nicht voran gebracht. Neuigkeiten sind also in Biarritz nicht zu erwarten.
Und Boris Johnson muss eine vorsichtige Balance wahren. Er braucht die Europäer weiter als außen- und sicherheitspolitische Partner und für den Brexit. Er kann es also kaum wagen, sich von Trump verführen zu lassen und etwa in der Russland- oder der Iranpolitik plötzlich von der gemeinsamen Linie mit den Nachbarn abzuweichen.
Andererseits dürfte der US-Präsident mit größtem Vergnügen den britischen Premier als Spaltpilz benutzen, um die EU anzugreifen, den Brexit zu loben und Boris Johnson diffuse Zusagen für ein Freihandelsabkommen zu machen. Der britische Premier kann es sich dabei mit Donald Trump nicht verderben - ebensowenig aber mit den Europäern. Er wird zeigen müssen, ob er überhaupt diplomatische Fähigkeiten besitzt.
Horrorjob: G7-Gastgeber
Galt es früher als Ehre, die Regierungschefs der wichtigsten Industrieländer bei sich zu begrüßen, hat sich diese Aufgabe in den letzten Jahren zu einem regelrechten Horrorjob entwickelt. Der französische Präsident hat alles getan, um das Treffen gut vorzubereiten. Er hat sich mit Wladimir Putin getroffen, um den Kontakt zu Russland zu kräftigen, im Vorfeld den indischen Ministerpräsidenten Modi eingeladen und sogar mit den iranischen Außenminister Zarif gesprochen, um die Nuklearkrise zu entschärfen.
Aber all dies dürfte ihm gegenüber Donald Trump nichts nutzen. Denn dessen Kurs ist auf ganzer Linie auf Kontra ausgelegt: Er will die harte Linie gegen den Iran weiter führen, andererseits aber Russland die Annexion der Krim verzeihen und Putin wieder zu den G7 einladen. Er attackiert regelmäßig die EU und ihre Einigkeit, weil er nichts von internationalen Organisationen hält. Seine Ideologie des "Amerika zuerst" verhindert, dass Reformen des Welthandels auf den Weg gebracht werden. US-Beobachter sehen den-Präsidenten bei den G7 zunehmend isoliert. Allerdings können die großen Europäer, Japan und Kanada die internationale Weltordnung auch nicht ohne US-Beteiligung reformieren.
Für Emmanuel Macron ist diese Situation ein politischer Alptraum. Er hat das Thema Klimawandel angesichts der verheerenden Waldbrände am Amazonas zusätzlich auf die Tagesordnung gebracht. Da wird er die Mehrheit der Teilnehmer auf seiner Seite haben, nicht aber den US-Präsidenten. Der betrachtet den Klimawandel als Geschäftsidee, weil das schmelzende Gletschereis den hohen Norden mit Grönland plötzlich zu einem begehrenswerten Besitz macht.
Macron hatte vorsichtigerweise das traditionelle gemeinsame Schlusskommuniqué schon vor dem Gipfeltreffen abgesagt. Er weiß, dass eine Einigung unmöglich ist, und er will verhindern, dass der Gipfel offiziell zum Fehlschlag deklariert wird.