Gaddafis Geld
28. August 2011Wie viele Milliarden US-Dollar Libyens langjähriger Machthaber Muammar al-Gaddafi tatsächlich im Ausland deponiert hat, wird sich wohl nie vollends klären lassen. Schätzungen zufolge sollen es 80 bis 150 Milliarden US-Dollar sein. Zumindest ein Teil dieses Vermögens konnte ausfindig gemacht und eingefroren werden. Die USA ließen Konten des einstigen Herrschers sperren, auch die Europäische Union hat Gaddafi-Geld eingefroren. Weitere Gelder werden in der Schweiz und in vielen afrikanischen Staaten vermutet.
Der richtige Zeitpunkt?
Der libysche Übergangsrat fordert dieses Vermögen nun zurück. Doch Experten und Politiker sind sich darüber uneins, ob es tatsächlich sinnvoll ist, dieses Geld schon jetzt den Rebellen zur Verfügung zu stellen. "Finanzielle Mittel sind für den Wiederaufbau in Libyen im Moment das Unwichtigste", sagt Markus Kaim, Leiter der Forschungsgruppe Sicherheit bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Das Land sei aufgrund von Öl- und Gasvorkommen wohlhabend. Zum anderen hätten die Herstellung von Sicherheit und die Entwicklung politischer Institutionen jetzt oberste Priorität, so Kaim.
Ganz anders sieht das Hamadi El-Aouni, Dozent für Politik und Wirtschaft an der Freien Universität Berlin. Für ihn ist eine Auszahlung der Gaddafi-Gelder an die Übergangsregierung überfällig. Schon längst hätte der Übergangsrat das Geld gut gebrauchen können, so der tunesischstämmige Politikwissenschaftler. "Libyen leidet sehr unter einem Mangel an medizinischen Geräten, Medikamenten, auch ausgebildetes Personal fehlt." Jetzt müssten die Gelder so schnell wie möglich freigegeben werden, um der notleidenden Zivilbevölkerung zu helfen.
Gelder gegen Ölförderrechte?
Bislang haben die Vereinten Nationen 1,5 Milliarden Dollar vom Gaddafi-Vermögen freigegeben - Gelder, die bislang in den USA eingefroren waren. Auch Italien hat bereits angekündigt, den Rebellen schnellstmöglich 350 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Wohl nicht ohne Hintergedanken: Italien und andere nationale Regierungen witterten nämlich ein großes Geschäft, vermutet SWP-Experte Kaim. "Viele Verträge bei der Ölförderung und bei der Gasförderung werden jetzt neu ausgehandelt. Da machen sich einige Regierungen sicher berechtigte Hoffnungen, dass ihre jeweiligen ölproduzierenden Firmen zum Zuge kommen", ist er überzeugt.
Während die ersten Staaten also vorpreschen, tut sich die Europäische Union mit einer Freigabe der Gaddafi-Milliarden schwer. Vor allem, weil bislang staatliche Institutionen fehlten, die mit den Geldern auch sachgerecht umgehen können, erklärt Joachim Hörster, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und Nahost-Experte im Deutschen Bundestag. Innerhalb der EU werde daher zunächst geprüft, ob man den Rebellen diese Gelder tatsächlich guten Gewissens überlassen dürfe.
Kontrolle durch die UN?
Dieses Argument will Hamadi El-Aouni so nicht gelten lassen. Von einigen afrikanischen Staaten abgesehen, sei der Nationale Übergangsrat weltweit als legitimer und alleiniger Vertreter des libyschen Volkes anerkannt worden, so El-Aouni. Deshalb stehe ihm das Geld auch rechtlich zu. Man könne die Verwaltung dieser Gelder gegebenenfalls durch einen UN-Ausschuss kontrollieren lassen. Aber grundsätzlich handele es sich um libysches Geld und nicht um Hilfszahlungen des Westens.
Doch ist es überhaupt möglich und realistisch, die Verwendung des Geldes in Libyen zu kontrollieren? Mit einer solchen Aufgabe "wäre jede Regierung überfordert", ist sich der deutsche Parlamentarier Joachim Hörster sicher: "Selbst wenn die NATO-Verbündeten nun beim Wiederaufbau in Libyen eine gemeinsame Sprache sprächen und dafür sorgten, dass sie mit abgestimmten Verfahren vorgehen, könnte man nicht garantieren, dass das Geld immer und in jedem Fall an der richtigen Stelle ankommt."
Es ist auch nicht gesagt, dass der Nationale Übergangsrat einer solchen Konstruktion zustimmen würde. SWP-Experte Markus Kaim jedenfalls glaubt nicht daran: "Die Libyer werden zu Recht darauf verweisen, dass sie selber die Revolution durchgesetzt haben und sie werden sich wahrscheinlich keinem westlichen Diktat unterwerfen wollen."
Warten auf die UN-Resolution
Gerade deshalb wollen viele Regierungen mit der Auszahlung der Gelder noch abwarten. Zumindest, bis es dazu eine eindeutige Resolution der Vereinten Nationen gibt. Diesen Standpunkt teilt auch die deutsche Bundesregierung. Zu Recht, meint der CDU-Abgeordnete Joachim Hörster. Denn erst dann sei klar, dass die Gelder im Einklang mit dem Völkerrecht an die neue libysche Führung freigegeben werden.
Autor: Thomas Latschan
Redaktion: Monika Dittrich