Wer warum schneller gegen Corona impft
Blickt man im internationalen Vergleich auf die bisherige Impfquote Deutschlands, fühlt man sich an eine Spülmittelwerbung aus den 1990er-Jahren erinnert: In ihr schrubben die beiden fiktiven spanischen Dörfer Villarriba und Villabajo nach einer großen Paella-Party um die Wette. Die Bewohner von Villarriba, die das heiß beworbene Spülmittel verwenden, sind schneller mit der Arbeit fertig und können wieder feiern.
Beim Impfen ist es fast genauso: Nach über einem Jahr in der mühseligen Corona-Endlosschleife steht Deutschland als Villabajo da, während etwa Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate als Villarriba schon auf dem Weg in die Post-Corona Phase sind.
Abgeschlagen im unteren Mittelfeld
Mitte Dezember des vergangenen Jahres startete Israel die schnellste Impfkampagne der Welt. Noch früher waren die Vereinigten Arabischen Emirate dran: Bereits im August erteilten die Herrscher am Golf für den Einsatz des chinesischen Vakzins Sinopharm eine Notfallgenehmigung. Inzwischen sind in beiden Ländern weit über die Hälfte ihrer Einwohner geimpft, während Deutschland international weit abgeschlagen im unteren Mittelfeld liegt.
Auch wenn die Impfkampagne hierzulande nun endlich an Fahrt aufnimmt: Die Nase haben jene Länder vorn, die die Transformation von Politik und Verwaltung ins digitale Zeitalter konsequent umgesetzt haben. In internationalen Krisen oft als selbstgefälliger Oberlehrer bekannt, verzettelt sich die Bundesrepublik nicht nur mit einer ineffizienten, inkohärenten und überbürokratisierten Organisation. Auch ein Jahr nach dem Ausbruch der Pandemie wird im deutschen Gesundheitssystem immer noch per Telefon, Fax und über die Post gearbeitet. In Test- und Impfzentren dominiert weiterhin eine Zettelwirtschaft.
Die Borniertheit des Staates, alles selbst machen zu wollen, hat sich zum Bumerang entwickelt und zu einer tiefen Vertrauenskrise in die staatliche Handlungsfähigkeit geführt. Dass es auch anders geht sieht man am Beispiel Großbritanniens, wo frühe Fehler in der Pandemiebekämpfung durch offensive Impfkampagnen, einen rigorosen Lockdown und eine offene Einstellung gegenüber neuen Technologien ausgeglichen wurden. In Deutschland wird währenddessen weiter über mögliche Nebenwirkungen des AstraZeneca-Vakzins lamentiert. Ein bahnbrechender 20-Sekunden-Schnelltest der britischen Unternehmen iAbra und Histate, der eigentlich in ganz Europa vertrieben werden soll, findet in deutschen Medien stattdessen keinerlei Erwähnung.
Bevorzugte Lieferung von Impfstoff gegen Daten
Während ein Teil des Impferfolgs in Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten selbstverständlich mit der geringen Bevölkerungszahl und dem Wohlstand beider Länder erklärt werden kann, lassen sich dennoch für Deutschland einige Lektionen von beiden Ländern lernen.
In den Emiraten etwa wurde aus der Not eine Tugend gemacht: Betroffen von einer doppelten Krise durch COVID-19 und den Rückgang der weltweiten Nachfrage nach fossilen Brennstoffen, war der Druck groß, mit einer schnellen Impfkampagne eine rasche wirtschaftliche Erholung zu erzielen. So lässt sich am Golf die frühzeitige Impfstart auch auf die Bereitschaft zurückführen, Impfstoffe außerhalb des Westens zu beziehen - konkret die chinesischen Vakzine Sinovac und Sinopharm. Ein Versuch, den die Bundesregierung und mehrere Bundesländer nun mit dem russischen Impfstoff Sputnik V durch die Hintertür wagen. Vor wenigen Monaten wäre das noch undenkbar gewesen.
Gleichzeitig herrschte sowohl in Israel als auch den Emiraten eine große Offenheit, sich an klinischen Studien der dritten Phase zur Wirksamkeit der Impfstoffe zu beteiligen. Dieser Schritt wurde durch ein voll digitalisiertes Gesundheitssystem begünstigt. Der Erfolg der israelischen Impfkampagne wurde durch ein Abkommen über einen Datenaustausch mit dem US-Pharmaunternehmen Pfizer ermöglicht. Dabei verpflichtete sich Israel, gegen eine bevorzugte Belieferung mit Impfstoffen Informationen über deren Wirksamkeit auszutauschen. Analog führten die Emirate gemeinsam mit dem in Abu Dhabi ansässigen Gesundheitstechnologiefirma G42 Healthcare klinische Versuche für das chinesische Vakzin Sinopharm durch. Rund 43.000 Menschen mit 125 Nationalitäten haben an diesen Tests teilgenommen.
Mut und Innovationskraft
Mit einer vorausschauenden Organisation und einer breiten Öffentlichkeitsarbeit ließ sich zudem die Bevölkerung schnell mobilisieren. Und es war auch der Mut, von Beginn an auf öffentlich-private Partnerschaften in der Pandemiebekämpfung zu setzen, wie etwa mit der erst 2018 gegründeten G42. Das auf künstliche Intelligenz und Cloud Computing spezialisierte Unternehmen war maßgeblich am Aufbau der Test- und Diagnoseeinrichtungen in den Emiraten und an der Entwicklung des Impfprogramms beteiligt, sowie bei der Durchführung klinischer Studien und der Vakzin-Herstellung vor Ort. Eine neue Anlage des Unternehmens in Abu Dhabi soll künftig 200 Millionen Dosen des chinesischen Impfstoffs Sinopharm pro Jahr produzieren.
Während Deutschland weiter mit sich und der Corona-Pandemie hadert, hat sich in kurzer Zeit mit großer Innovationskraft am Golf ein datengetriebener Pharma- und Healthtech-Hub entwickelt. Das dort entwickelte Know-how für eine nachhaltige Gesundheitswirtschaft ließe sich genauso gut in den Bereichen Klimaschutz, intelligente Städte, Transport und Bevölkerungsschutz einsetzen. Es bietet zudem neues Potenzial für Partnerschaften, die Deutschland und Europa ohne Berührungsängste suchen sollten, um einen Ausweg aus der aktuellen systemischen Sackgasse zu finden. Die Lehre aus dem Nahen Osten: Mit mutiger Führung, digitalen Strukturen und Technologieoffenheit lassen sich Multirisiken effizienter bewältigen und können der Bevölkerung künftig eine bessere Daseinsvorsorge bieten.
Oliver Rolofs ist Managing Partner der Münchner Strategieberatung connecting trust. Er war langjähriger Kommunikationschef der Münchner Sicherheitskonferenz.