Große Erwartungen
5. Mai 2012Deutsche Welle: Herr Professor Wielenga, der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck besucht am 5. Mai in die Niederlande. An dem Tag feiern die Niederländer die Befreiung von Nazi-Deutschland. Ist das ein unglücklich gewählter Termin?
Prof. Friso Wielenga: Nein, im Gegenteil, das ist ein sehr gelungener Termin. Die Einladung war übrigens auch schon für Herrn Wulff ausgesprochen worden und wenn er nicht in der Zwischenzeit zurückgetreten wäre, hätte er diese Rede gehalten. Aber es ist schon ein besonderer Termin, dass jetzt der deutsche Bundespräsident kommt: Denn es ist das erste Mal, dass ein Deutscher an diesem Tag in den Niederlanden eine so bedeutende Rede hält. Das unterstreicht noch einmal die Normalisierung der Beziehungen. Es gibt zwar vereinzelte Proteste gegen den Gauck-Besuch, aber die sind nicht ernst zu nehmen. Gerade bei einem Redner wie Joachim Gauck, der so viel Betonung auf den Begriff Freiheit legt, würde ich sagen: Am Befreiungstag, an dem das Motto "Freiheit weitergeben" gilt, könnte man keinen besseren Vortragenden haben als Herrn Gauck.
Die Kritik derjenigen, die Proteste gegen den Besuch Gaucks organisieren, richtet sich vor allem dagegen, dass Deutschland den Kriegsverbrecher Klaas Carel Faber seit Jahrzehnten nicht ausliefert. Wie bewerten Sie diese Proteste?
Es ist eine sehr, sehr kleine Minderheit, die jetzt diese Faber-Geschichte aufgreift und gegen den Besuch von Herrn Gauck protestiert. Sicher, die Faber-Geschichte ist eine langwierige Angelegenheit. In den frühen 50erJahren sind sieben Niederländer aus dem Gefängnis in Breda entkommen und nach Deutschland geflohen. Diese sieben Niederländer (von denen Klaas Carel Faber als Einziger noch am Leben ist - Anmerkung der Redaktion) waren verurteilte Kollaborateure, und die hatten, weil sie in Dienst der Deutschen getreten waren in der Kriegszeit, auch die niederländische Nationalität verloren. Deutsche Gerichte haben dann anerkannt, dass sie durch das In-Dienst-Treten bei den Deutschen die deutsche Nationalität bekommen hätten, beziehungsweise, dass man nicht ausschließen könnte, dass sie diese hätten. Das deutsche Grundgesetz verbietet aber nun einmal, dass Deutsche ausgeliefert werden. Das ist der juristische Hintergrund, der aber nichts mit dem Besuch des Bundespräsidenten Gauck zu tun hat. Es wird jetzt überprüft, ob Faber nicht noch in Deutschland vor Gericht kommen kann und das ist gut so.
Trotzdem kommt Gauck ausgerechnet nach Breda, an den Ort, aus dem Faber geflohen ist. Warum?
Das sind Sachen, die nun wirklich nichts miteinander zu tun haben. Die Befreiungsfeiern beginnen in den Niederlanden jedes Jahr in einer anderen Provinz und dieses Jahr ist das die Provinz Nord Brabant. Breda ist eine wichtige Stadt in dieser Provinz. Nicht mehr und nicht weniger.
Was erwarten die Niederländer an einem solchen Tag und an einem solchen Ort von einem Bundespräsidenten Joachim Gauck?
Es geht an diesem Tag nicht um das Gedenken an die Toten. Die Niederländer gedenken am 4. Mai abends zwischen acht und zwei Minuten nach acht – dann ist es auch zwei Minuten still im ganzen Land. Am 5. Mai ist Befreiungstag. Das ist ein Tag, an dem man nach vorne schaut, an dem man die Freiheit feiert. Und es geht natürlich auch um das Motto an diesem Tag: "Freiheit weitergeben". Wie kann man unsere Freiheit verteidigen? Was sind die zentralen Werte unserer Freiheit? Hier kann der Bundespräsident eine wichtige Rolle spielen. Am Ende wird festzustellen sein: Diese Freiheit ist eine gemeinsame westliche Freiheit, das ist keine niederländische Freiheit, keine deutsche Freiheit, keine französische Freiheit. Das ist eine westliche Freiheit. Und diese Freiheit, die müssen wir gemeinsam weitergeben, gemeinsam verteidigen, gemeinsam ausbauen und uns gemeinsam darüber im Klaren sein, dass Freiheit nicht selbstverständlich ist. Und daher glaube ich, dass man keinen besseren Redner haben kann als Joachim Gauck, um zu zeigen: Hier sind gemeinsame Interessen und gemeinsame Ziele, gemeinsame Ideale zwischen dem heutigen Deutschland und den heutigen Niederlanden. Ich bin mir sicher, dass er mit der Art und Weise, wie er das kommunizieren kann, sehr vielen Niederländern aus dem Herzen sprechen wird.
Prof. Dr. Friso Wielenga ist Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte der Niederlande und die deutsch-niederländischen Beziehungen, ebenso wie vergleichende niederländische und deutsche Zeitgeschichte.