60 Jahre Bundesrepublik
3. Juli 2009Die Absicht, seine politische Karriere mit dem Amt des Bundeskanzlers zu krönen, hat er schon Mitte der 1980-er Jahre: Als Gerhard Schröder nach dem Genuss einiger Gläser Wein am Bonner Bundeskanzleramt vorbeikommt, geht er geradewegs auf das mächtige elektrisch angetriebene Tor zu, packt und rüttelt es mit beiden Fäusten. "Ich will hier rein!", ruft er durch das geschlossene Tor und gibt damit einen Vorgeschmack auf seinen politischen Willen und seinen ausgeprägten Machtinstinkt.
Geboren wird Gerhard Schröder am 7. April 1944. Sein Vater fällt im Zweiten Weltkrieg, seine Mutter bringt ihn und seine Geschwister mit Putzen und Aushilfsarbeiten durch. Dieser Start ins Leben prägt Gerhard Schröder. Nach einer Lehre zum Einzelhandelskaufmann beginnt er mit einer erstaunlichen Karriere, um sich aus diesen ärmlichen Verhältnissen zu befreien: Er holt sämtliche Schul- und Hochschulabschlüsse nach. 1971 folgt das erste juristische Staatsexamen ab, fünf Jahre später wird er in Hannover zum Rechtsanwalt zugelassen.
"Sozialdemokratischer Pragmatismus"
Parallel zu seinem sozialen Aufstieg engagiert sich Gerhard Schröder in der SPD, wird Juso-Vorsitzender und Mitglied des SPD-Bezirksvorstands in Hannover. 1978 bis 1980 amtiert er als Bundesvorsitzender der Jungsozialisten. Es folgen sechs Jahre als Bundestagsabgeordneter, bevor er 1986 Mitglied des niedersächsischen Landtags wird.
Auch hier spielt sich der rhetorisch begabte Gerhard Schröder schnell in die vorderste Reihe und wird Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion. 1990 tritt er als Spitzenkandidat gegen Amtsinhaber Ernst Albrecht (CDU) an. Gemeinsam mit den Grünen erreicht die SPD die Regierungsmehrheit, Schröder wird Ministerpräsident einer rot-grünen Landesregierung, die allerdings oft unter dem von ihm gepflegten "sozialdemokratischen Pragmatismus" zu leiden hat.
Insbesondere als Gerhard Schröder dem "Asylkompromiss", der das deutsche Asylrecht einschränkt, zustimmt und sich für ein lukratives Waffengeschäft mit Taiwan einsetzt, scheint die Regierungskoalition in Hannover zerrüttet. In der Landesregierung kann er sich mit harter Hand und einer später sprichwörtlich werdenden "Basta-Politik" durchsetzen. Bei der Wahl zum neuen SPD-Vorsitzenden zeigt sich 1993, dass die Partei ihm nicht mehr bedingungslos folgt. Die SPD-Basis entscheidet sich für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping. Fortan bilden Rudolf Scharping, Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder die sozialdemokratische "Troika", die mit vereinten Kräften Amtsinhaber und Dauerkanzler Helmut Kohl ablösen will.
Kampf um die Kanzlerkandidatur
Aber zwischen den drei Spitzen-Sozialdemokraten herrscht ein erbitterter Kleinkrieg um die Kanzlerkandidatur 1998. Nachdem alle internen Einigungsversuche gescheitert sind, wird die Landtagswahl in Niedersachsen zur Entscheidungsgrundlage herangezogen. Gerhard Schröder gewinnt diese Wahl mit knapp 48 Prozent der Stimmen und wird noch am Abend der Wahl von SPD-Generalsekretär Franz Müntefering zum Spitzenkandidaten ausgerufen.
Die Bundestagswahl 1998 ist von einer ausgeprägten Wechselstimmung geprägt. Amtsinhaber Helmut Kohl hat den Bonus des "Kanzlers der Einheit" aufgebraucht und muss sich auch gegen Stimmen aus seiner eigenen Partei zur Wehr setzen. Am Abend des 27. September 1998 ist seine 16-jährige Amtszeit beendet: Die SPD und Herausforderer Gerhard Schröder gewinnen die Wahl eindeutig. Es kommt zur ersten rot-grünen Regierungskoalition. Außenminister wird der grüne Spitzenkandidat Joschka Fischer, der in den 1970-er Jahren zur radikalen und teilweise gewalttätigen linken Szene in Frankfurt gehört hatte.
Deutschland führt wieder Krieg
Beiden steht kurze Zeit später die schwerste politische Entscheidung ihres Lebens bevor. In Rambouillet scheitern die Verhandlungen mit der serbischen Regierung um die Autonomie der mehrheitlich von Albanern bewohnten Provinz Kosovo. Daraufhin beginnen am 24. März 1999 mit Beteiligung der Bundeswehr NATO-Streitkräfte mit der Bombardierung Serbiens. Zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist die Bundesrepublik aktiv in einen Krieg verwickelt – und das ausgerechnet in der Verantwortung einer rot-grünen Regierung.
Die Verunsicherung innerhalb des neuen Regierungsbündnisses wird durch den überraschenden Rücktritt von Finanzminister Oskar Lafontaine noch verstärkt. Lafontaine legt am 11. März seine Ämter nieder und hinterlässt neben Ratlosigkeit und Frustration auch den nun vakanten Posten des SPD-Vorsitzenden. Einen Monat später wird Gerhard Schröder zum Vorsitzenden gewählt, der ehemalige hessische Ministerpräsident Hans Eichel wird Finanzminister.
Während Gerhard Schröder den Krieg gegen Serbien mitträgt, lehnt er nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eine militärische Intervention gegen den Irak ab, die der amerikanischen Präsident George. W. Bush vehement fordert. Es ist eines der entscheidenden Argumente, die bei der Bundestagswahl 2002 den Ausschlag für Gerhard Schröder gegen den CSU-Herausforderer Edmund Stoiber geben.
Drastische Einschnitte
Kernstück des Regierungsprogramms der zweiten rot-grünen Regierung ist die Reform des Sozialsystems, das unter dem Begriff "Agenda 2010" bekannt wird. Die "Agenda 2010" und die damit verbundenen drastischen Einschnitte in den Sozialstaat bringen Gerhard Schröder heftige Kritik von Teilen der SPD und von den Gewerkschaften ein. Arbeitgeber und weite Teile der Oppositionsparteien bezeichnen die "Agenda 2010" hingegen als "Schritt in die richtige Richtung".
Trotz der Reformen steigen die Arbeitslosenzahlen ebenso wie das Milliardedefizit in den öffentlichen Haushalten weiter. Innerparteiliche Auseinandersetzungen und dramatische Wahlniederlagen für die SPD sind die Folgen. Nach einer Niederlage im sozialdemokratischen "Stammland" Nordrhein-Westfalen kündigt Gerhard Schröder vorgezogene Neuwahlen für 2005 an. Am 18. September 2005 wird die SPD mit wenigen Stimmen Unterschied zweitstärkste Fraktion und die CDU-Spitzenkandidatin Angela Merkel
Bundeskanzlerin einer großen Koalition.
Gerhard Schröder verlässt den Deutschen Bundestag und die große politische Bühne, sorgt aber hinter den Kulissen weiter für Diskussionen. Insbesondere sein Engagement beim russischen Gasmonopolisten "Gazprom" stößt bei vielen Beobachtern auf Unverständnis.
Autor: Matthias von Hellfeld
Redaktion: Dеnnis Stutе